Der italienische Journalist traute seinen Augen nicht: Zu später Stunde hatte er im Siemens-Forum in kleiner Runde mit anderen Kollegen dem künftigen Siemens-Chef Klaus Kleinfeld die Frage gestellt, was der von Konkurrenzprodukten der Firma Nokia halte und sein Handy dem Topmanager vor die Nase gehalten. Kleinfeld schnappte sich das Mobiltelefon und versenkte es in einem Wasserglas. Das Gerät gab seinen Geist auf, der Gast reagierte geschockt und Kleinfeld schenkte dem Korrespondenten zwei neue Siemens-Handys.
Alle Hände voll zu tun
Die Anekdote aus dem vergangenen Jahr sagt eine Menge über den neuen Spitzenmanager des bedeutendsten deutschen Industriekonzerns aus. Spontan, aggressiv und nassforsch - Kleinfeld fackelt nicht lange, wenn er punkten will, auch wenn sein Förderer und Vorgänger Heinrich von Pierer recht indigniert auf den Handy-Vorfall reagierte und seinen Kronprinzen ungnädig fragte, ob er zu tief ins Glas geschaut habe. Doch Kleinfeld hatte nicht getrunken, sondern sich lediglich einen derben Scherz erlaubt.
Mit solchen Spielchen ist es erstmal vorbei. Der Siemens-Steuermann hat alle Hände voll zu tun, die Schwachstellen im Konzern auszusortieren. Die sind hinlänglich bekannt. Da ist zum einen die Handysparte, die seit langem rote Zahlen schreibt, sowie die angeschlagene IT-Tochter SBS, die ein Nischendasein führt und ums Überleben kämpft. Kaum am Ruder hat Kleinfeld erste Entscheidungen getroffen. SBS wird umgebaut, unrentable Teile werden abgestossen oder ausgelagert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass SBS eventuell ganz unter den Hammer kommt. «Alle strategischen Optionen sind offen», so Kleinfeld in einer Telefonkonferenz mit Analysten dieser Tage.
Auch beim hart umkämpften Handygeschäft hat sich der 1,90-Meter-Mann noch nicht festgelegt. Die Mobilfunksparte hat dem Konzern vergangenes Jahr aber rund 150 Mio Euro Verluste beschert, inakzeptable Zustände, wie man im Hause Siemens offen zugibt. Kleinfeld hat soeben auf der CeBIT Einsparungen in Milliardenhöhe angekündigt. Auch die Verkehrstechnik ist durch technische Probleme beim Strassenbahntyp «Combino» ins Gerede gekommen, und die von der einstigen Schweizer Elektrowatt-Gruppe übernommene Gebäudetechnik schwächelt.
Pizza-Meeting
Sanierungsaufgaben gibt es also genug. Und der Konzernchef kann durchgreifen. Im fränkischen Forchheim hat man es erlebt. In der Medizintechniksparte war Kleinfeld 1998 angetreten, den Verlustbringer in die schwarzen Zahlen zu pushen. Im Werk für Diagnosegeräte dauerte die Produktion eines Scanners bis zu sechs Wochen. Durch flexiblere Schichten, Mehrarbeit und schnellere Produktion gelang es dem Senkrechtstarter, in harten Verhandlungen, die Belegschaft samt Gewerkschaften von den notwendigen Änderungen zu überzeugen und die Montagezeit auf eine Woche zu verkürzen.
Kleinfeld organisierte spätabends so genannte «Pizza-Meetings», in denen er zusammen mit Logistikern, Betriebsräten und Produktionsmitarbeitern die Einzelheiten ausarbeitete. Er habe damals die Mitarbeiter «motiviert und zusammengeschweisst», betont Siemens-Betriebsrat Werner Mönius, die Arbeitnehmer hätten daher die Einschnitte akzeptiert, weil sie eingebunden waren. Heute zählt die Medizintechnik zur profitabelsten Sparte des Konzerns.
In den USA übernahm Kleinfeld 2001 das Kommando und schlug erneut zu. Wieder bei der Medizintechnik, anschliessend als US-Chef für alle Siemens-Aktivitäten in Nordamerika. 10000 von 80000 Jobs wurden kurzerhand wegrationalisiert oder ausgelagert, nachdem der Weltkonzern allein in den USA rund 600 Mio Dollar an Verlusten verkraften musste.
Zwei Jahre später fuhr Siemens 685 Mio Dollar an Gewinn ein, und Kleinfeld hatte seine Visitenkarte hinterlegt. Der Coup verfehlte nicht seine Wirkung bei seinem Ziehvater von Pierer, der ihn zum Kronprinzen erkor.
Als Meisterstück galt Kleinfelds «Siemens One»-Projekt, eine Art «cross-selling», bei dem alle Sparten des Konzerns bei einem Grossprojekt (Krankenhäuser, Flughäfen, Kraftwerke usw.) gemeinsam antreten und von der Klimaanlage bis zum Telefonsystem alle Produkte liefern.
In den USA knüpfte Kleinfeld auch politische und industrielle Kontakte, die ihm nützlich sein sollten. Ohne Networking geht es in der Industrie nicht, und die Aufnahme in den Washingtoner Kreis der 150 wichtigsten Konzernchefs der Welt gehörte ebenso dazu wie ein Treffen mit Bill Gates oder die Mitgliedschaft im Vorstand der Metropolitan Opera in New York.
Durch den bei Siemens generalstabsmässig geplanten Machtwechsel hat Kleinfeld weitere wichtige politische Kontakte erhalten, indem Vorgänger von Pierer ihn in den Monaten vor dem Amtsantritt auf allen Reisen wichtigen Gesprächspartnern von Bundeskanzler Schröder bis hin zu Russlands Präsident Putin vorstellte.
Härte vier
Von Pierer hat Massstäbe gesetzt und den einst schläfrigen Riesen Siemens auf Trab gebracht. Kleinfeld weiss, dass er in «grosse Fussstapfen» tritt, doch ist ihm nicht bang. Der schlaksige Marathonläufer ist selbstbewusst und verfügt über Durchstehvermögen. Insider berichten, dass er seine Herausforderungen in Härtegrade unterteilt. Grad 1 ist die Idee, 2 steht für ein Projekt, 3 für Umsetzung und 4 für die Resultate.
Kleinfeld weiss um die Bedeutung von Ergebnissen, weil nur Gewinne letztlich zählen. Der Jazzliebhaber gilt als Arbeitstier, schreibt noch nachts um 2 Uhr E-Mails und fordert von den Untergebenen Antworten. Erfolgskontrolle ist dem Ex-Ciba-Geigy-Produktmanager wichtig und Tempo.
Gleichzeitig gilt der Schnellsprecher als guter Kommunikator, der durch einfache Sprache und offene Kommunikation auch die eigenen Mitarbeiter erreicht. Kleinfeld sei «extrem lernbereit, fleissig und begeisterungsfähig», sagt der Genfer Managementberater Heinz Goldmann, ausserdem «offen für Kritik und kein Egozentriker».
Ob Kleinfeld allerdings die in den USA durch rigoroses Durchgreifen erzielten Resultate auch in Deutschland erreichen kann, muss bezweifelt werden. Denn noch haben die Gewerkschaften ein wichtiges Wort mitzureden, auch wenn die Arbeitnehmervertreter im Zeitalter der Globalisierung mit dem Rücken zur Wand kämpfen.
General Electric kommt
Dass Kompromisslösungen aber möglich sind, zeigen die Verhandlungen um die deutschen Handyproduktionsstandorte. Kleinfeld drohte mit Auslagerung nach Ungarn, falls die Mitarbeiter längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich verweigern sollten. Der Betriebsrat gab nach, und die Standorte waren gerettet, doch muss Siemens weit mehr tun, um den ewigen Konkurrenten General Electric auszustechen.
Kleinfeld braucht vor allem höhere Gewinne, obwohl Siemens immerhin 75 Mrd Euro Umsatz und 3,4 Mrd Euro Gewinn nach Steuern erzielt. Siemens beschäftigt noch heute 170000 Mitarbeiter in Deutschland, die allerdings nur 23% des Gesamtumsatzes und nicht mal 10% der Rendite einfahren. Weiterer Jobabbau ist also zu befürchten, wenn die Parole «Beat GE» umgesetzt werden soll.
Der Erzrivale schläft seinerseits nicht und hat den Siemensianern vor den Toren Münchens den Fehdehandschuh hingeworfen, mit dem Bau des Forschungszentrums Garching.
Klaus Kleinfelds Führungsprinzipien
1. Work hard - play hard.
2. Freiheit, Selbstverantwortung, Leistungsorientierung.
3. Gut zuhören, kritisch fragen, schnell entscheiden, geschickt durchsetzen.
4. Höchstleistung verträgt kein Mittelmass.
5. Erfolg kommt durch strategisches Konzept, gute Vorbereitung, Durchhaltevermögen und Kampfgeist.
6. Nobody is perfect but a team can be!
Hans-Jürgen Maurus, Berlin
Zur Person
Klaus Kleinfeld, 47, stammt aus einfachen Verhältnissen. Die Familie floh 1950 vor den Kommunisten in Ostdeutschland nach Bremen und landete im Arbeiterviertel Woltmershausen. Im Alter von zehn Jahren verlor Kleinfeld seinen Vater und trug zum Unterhalt der Familie bei. Für 1.50 Fr. Stundenlohn füllte er Regale in einem Supermarkt auf. Nach Ersatzdienst und BWL-Studium an der Universität Göttingen landete der promovierte Diplom-Volkswirt nach einem Zwischenstopp beim Schweizer Konzern Ciba-Geigy 1987 bei Siemens als Referent für Werbung und Design und begann eine steile Karriere: 17 Jahre später erklomm er den Chefsessel. Kleinfeld ist verheiratet und hat zwei schulpflichtige Töchter.