Wirklich zurückziehen wollte sich Willy Kissling im letzten Frühjahr eigentlich nur als VR-Präsident bei der SIG, nachdem er mit seiner Kritik an der Ausrichtung des Verpackungsspezialisten nicht durchgedrungen war. Ein Schritt, der ihm damals gerade recht kam, ging es doch bei seinem anderen Mandat Forbo bereits drunter und drüber, und auch der Unaxis-Konzern verlangte seine volle Aufmerksamkeit. Inzwischen ist Kissling auch diese Mandate los.

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Er selbst sieht sich dabei in erster Linie als Opfer einer Kampagne, welche in den Gremien, in denen er Einsitz hielt, und in verschiedenen Medien über Monate gegen ihn gefahren wurde. Doch aufgeben, sich mit etwas über 60 zur Ruhe setzen? Wer das glaubt, der kennt Willy Kissling schlecht. Müde ist er noch lange nicht. Ein Energiebündel, das war er immer. Niederlagen kann er wegstecken, sich aufzurappeln gehört zu seinen Stärken. Bereits soll Kissling nach neuen Herausforderungen suchen, wie ein bekannter Zürcher Headhunter andeutet, der ihn berät, seinen Namen allerdings nicht in der Zeitung sehen will. Verständlich. Nachdem sein Klient innert weniger Monate dreimal seinen Hut als Verwaltungsratspräsident eines grossen Schweizer Industriekonzerns hat abgeben müssen, dürfte die Sache in der Tat etwas delikat sein.

Auch die meisten Berufskollegen schweigen. Und Kissling selbst lässt sich vertreten durch einen erfahrenen Mann in Sachen Krisenkommunikation: Jörg Neef, Partner der Beratungsfirma «Hirzel, Neef und Schmid Konsulenten».

Den Finger in der Wunde

Wer austeilt, der muss auch einstecken können. Willy Kissling hat ausgeteilt, und zwar nicht zu knapp. Erst als Vollstrecker der Familie Schmidheiny bei Rigips und Landis & Gyr, später als Statthalter der Familie Bührle bei Unaxis, der ehemaligen Oerlikon Bührle.

In der Rückblende betrachtet, sieht er sich selbst gerne als Retter der Industrie, der, ausgestattet mit der Lizenz der jeweiligen Familie, auszog, um zu retten, was noch zu retten war. Willy Kissling, der richtige Mann für schwere Fälle, der das tat, was ohnehin vonnöten war, als es in den 80er und 90er Jahren bergab ging mit der Schweizer Industrie: Als knallharter Sanierer hat er Mut bewiesen und ohne Wenn und Aber aufgeräumt. Der Auftrag war klar.

Sicher als Stärken attestieren kann man Kissling dabei seine Fähigkeit, dass er den Finger auf den wunden Punkt zu legen vermochte und bereit war zu handeln. Unter Schweizer Top-Managern gehörte er zu den Ersten, die in ihren Unternehmen im persönlichen Umgang mit Mitarbeitenden eine gewisse Lockerheit nach amerikanischem Vorbild pflegten, was bei vielen Angestellten gut ankam. Als Anrede genügte ein einfaches Du.

Aber auch Zuhören gehört zu seinen Stärken, wodurch es ihm immer wieder gelungen ist, Vertrauen zu schaffen. Ein Vertrauen, das er als Sanierer fast zwangsläufig immer wieder enttäuschen musste. Denn sein Auftrag lautete anders: Bei Landis & Gyr, vor allem aber bei Oerlikon Bührle ging es darum, die Unternehmen neu auszurichten, was tausende von Stellen gekostet hat. Dafür wurde er geholt, belohnt und letztlich aufs Podest gehoben als Verwaltungsrat in mehreren Grosskonzernen.

Die Kehrseite der Medaille, und auch das gehört zu dieser Person: Im Umgang mit Mitmenschen wird er von ehemaligen Mitarbeitenden als nicht gerade zimperlich beschrieben ein Vorgesetzter, den so mancher bis heute im wahrsten Sinne des Wortes hassen dürfte. Ein Hass, der sogar zu Morddrohungen verleitete.

Was er auf seinem Weg durch die genannten Unternehmen hinterlassen hat, ist für viele, die ihn aus nächster Nähe erlebt haben, ein Trümmerfeld. Kein Erneuerer, sondern ein Mann, der mit dem Zweihänder um sich schlägt, bis sich die Reihen um ihn lichten. Das Köpferollen lief immer wieder nach demselben Muster ab. Viele mussten als Sündenböcke herhalten von Landis & Gyr über Forbo bis Unaxis vom einfachen Mitarbeitenden bis zum gestandenen Manager.

An den Menschen vorbei

Den Verschleiss an Mitarbeitern und Führungskräften unter Kissling exemplarisch nachzeichnen lässt sich am Beispiel des Halbleiterzulieferers Esec, einer Tochter des Unaxis-Konzerns. Die Bilanz beim Chipautomatenhersteller: Vier CEO in weniger als zwei Jahren. Erst traf es Felix Bagdasarjanz. Ihm folgte interimistisch Jürgen Knorr, der für ein paar Monate das Amt ausübte, bis der Posten an Hans Wunderl überging. Sieben Monate konnte sich Hans Wunderl an der Esec-Spitze halten, dann musste auch er Platz machen. Diesmal für den Amerikaner Asuri Raghavan, der seines Zeichens sogar Mitglied der Unaxis-Konzernleitung war. Doch auch Raghavan hat das Unternehmen inzwischen wieder verlassen. Nur die Probleme sind geblieben. Ist Willy Kissling vielleicht doch der eine oder andere Strategiefehler unterlaufen? Noch im Dezember verneinte er dies.

Für die Probleme bei Esec geradestehen musste Unaxis-Konzernchef Heinz Kundert, der kurz vor Weihnachten seinen Sessel räumen musste. Als Führungspersönlichkeit hinterlässt Kissling auf all seinen Stationen durch die Schweizer Industrielandschaft ein zwiespältiges Bild. Als Sanierer ist es ihm mehrmals gelungen, das Steuer in einem angeschlagenen Konzern herumzureissen. Am deutlichsten sichtbar geworden ist dies bei Unaxis, wo es ihm zwar gelungen ist, aus der ehemaligen Waffenschmiede Oerlikon Bührle innert weniger Jahre ein Technologieunternehmen zu zimmern.

Gleichzeitig war der Tribut an Menschen und Mitarbeitenden nirgends so hoch wie bei diesem Unternehmen. Was Kissling unterschätzt hat ist, dass sich Menschen auf ihre Führung verlassen müssen, denn nur im Vertrauen auf eine gemeinsame Zukunft lässt sich wirklich etwas Neues schaffen.

Willy Kisslings

Führungsprinzipien

1. Keine Angst vor harten Entscheiden.

2. Zuhören schafft Vertrauen.

3. Lockerheit nach amerikanischem Vorbild.

4. Gib niemals auf.

Zur Person

Willy Kissling (60) ist Ökonom und Absolvent der Harvard Business School Cambridge, USA. Seine Karriere startete er Anfang der 70er Jahre als Manager bei der Eternit Group der Familie Schmidheiny. Ab 1978 leitete er die Rigips Group, bevor er 1987 als Präsident und CEO zu Landis & Gyr wechselte. 1998 übernahm er die Führung der Oerlikon Bührle, der heutigen Unaxis. Kissling ist Mitglied im Verwaltungsrat von Holcim, Kühne & Nagel, Schneider Electric und dem Grand Hotel Bad Ragaz.