BILANZ: Mit einem Pensum von 80 Wochenstunden galten Sie früher als ausgeprägter Workaholic. Arbeiten Sie immer noch so viel?
Henri B. Meier: Ich bin daran, mein Pensum rapide abzubauen. Gegenwärtig sind es weniger als 60 Stunden pro Woche. Mein Ziel ist es, bis in einem Jahr auf 40 Stunden zu reduzieren. Ich bin Verpflichtungen eingegangen, und diese Projekte muss ich nun auch zu Ende führen. Man kann nicht einfach ein halbes Jahr vor Ablauf eines Mandats oder vor Beendigung eines Projekts aufhören.
In wenigen Wochen sind Sie Ihre externen Verwaltungsrats-Mandate los. Was gedenken Sie mit der neu gewonnenen Freizeit anzufangen?
Mich zurücklehnen und mich fragen, warum ich dies eigentlich alles getan habe.
Haben Sie schon eine Vermutung?
Zentral war der Drang nach Erkenntnis. Ich wollte verstehen. Das war immer die wichtigste treibende Kraft. Ich konnte nicht nur aufnehmen. Ich wollte es anschliessend auch umsetzen. Das Umwandeln und Kreieren war mir immer sehr wichtig. Wertschöpfung war und ist für mich ein zentrales Thema.
Für jemanden, der primär seinem Erkenntnisdrang folgt, sind Sie in Geldangelegenheiten aber erstaunlich erfolgreich.
Ich habe mich schon als relativ junger Mensch mit modernen Finanzinstrumenten befasst und hatte dabei sicher den Vorteil, dass ich erstens in der Weltbank eine ausgezeichnete Ausbildung in angewandter Makroökonomie erhielt und ein gutes Verständnis für Geld- und Währungspolitik erwarb. Zweitens musste ich mich ganz früh mit Rechnungswesen und Werttheorien befassen und drittens als Investment-Banker am Finanzmarkt teilnehmen und mit Marktmechanismen vertraut werden. Ich hatte das Glück, diese drei für Investitionsentscheide wichtigen Gebiete bei erstklassigen Lehrmeistern zu lernen. Wenn man mit der Logik des Zahlenwerkes vertraut ist, erhält man ein ganz anderes Gespür für die Wertschöpfung in einem Unternehmen und erkennt, wie Werte entstehen und wie diese auch wieder zerstört werden. Die Finanzen sind wie ein Thermometer. Sie sind nicht das Fieber, sondern sie messen dieses. Finanzdaten widerspiegeln die ganze Wertschöpfungskette.
Warum sollte sich ein Finanzchef um den Produktionsprozess kümmern?
Wenn ich mir eine Bilanz und Erfolgsrechnung ansehe, habe ich nach einer halben Stunde eine gute Vorstellung davon, wie die betreffende Firma funktioniert. So entschied ich mich etwa im Falle von Esec in ganz kurzer Zeit, eine Beteiligung zu kaufen, weil ich realisierte, dass Esec ein enormes Wertschöpfungspotenzial besass. Das Gewinnchancen-Verlustrisiko-Verhältnis war ideal, weil der typische IT-Zyklus nach einem halben Jahr einen Gewinn bringenden Verkauf sehr wahrscheinlich erscheinen liess.
Sie geniessen den Ruf eines genialen Wertvermehrers. Woher rührt diese Begabung?
Es ist, meine ich, eine Kombination von Analyse und Intuition, die zu erkennen erlaubt, wo Wertschöpfung stattfindet. Hinzu gesellt sich wahrscheinlich das bäuerliche Erbe der Vorfahren väterlicherseits, für die Säen und Ernten der Lebensinhalt war. Ich pflanze wahrscheinlich deshalb immer noch gerne Bäume. Wachsen und gedeihen zu lassen, ist wahrscheinlich ein Urtrieb.
Haben Sie das Ausmass der Börsenbaisse der Jahre 2001 und 2002 vorgängig richtig eingeschätzt?
Vom Ausmass wurde auch ich überrascht. Eine Korrektur war angesagt, aber die extremen Ausschläge sind inzwischen wieder geglättet. Exzesse gibt es immer wieder. Dann muss man verkaufen.
Wann haben Sie letztmals eine grössere Summe in den Sand gesetzt?
Wenn ich mich richtig erinnere, dann habe ich nur einmal in meinem Leben
einen Totalverlust erlitten. Und zwar bei einem Immobiliengeschäft in Venezuela. Ich war damals erst 21 Jahre alt, das Erdöl bescherte dem Land einen Boom, und entsprechend zahlreich waren die Spitzbuben. Das war mir eine wichtige Lehre. Von da an habe ich vor jeder Transaktion sehr genau geschaut, wer die Partner sind.
Und Ihr Lucky Punch als Investor?
Viele einzelne Glücksfälle. Ich habe Fridolin Tschudis Empfehlung befolgt und zum Glück Sorge getragen.
Es heisst, Sie seien ein passionierter Tänzer?
Angefangen habe ich damit in Venezuela. Als Maturand ging ich dort jedes Wochenende tanzen. Man tanzte jeweils die Nacht durch und ging am nächsten Morgen an den Strand. In dieser Zeit habe ich wahrscheinlich mein Rhythmusgefühl entwickelt. Nicht nur für lateinamerikanische Tänze, sondern auch für Rock’n’Roll, der damals aufkam. Auch in späteren Jahren haben meine Frau und ich immer enorm viel getanzt.
Wo befindet sich Ihr Lebensmittelpunkt?
Dort, wo ich meine Familie vor allem an Wochenenden und Feiertagen treffe. Also in Buonas.
Verraten Sie uns etwas über Ihre persönliche Asset-Allocation?
Mein Ziel im dritten Lebensabschnitt ist es, junge Unternehmen aufzubauen, und nicht, andere Leute beim Geldanlegen zu beraten.
Einen beträchtlichen Teil Ihres Privatvermögens haben Sie in die Beteiligungsgesellschaft HBM BioVentures investiert, die Ihre Renditeziele bisher klar verfehlt hat. War die Erwartung eines jährlichen Wertzuwachses von 20 Prozent im Rückblick nicht etwas verwegen?
Vorerst möchte ich festhalten, dass die Zahl von 20 Prozent ihren Ursprung in der Presse hat und durch Wiederholung ein Eigenleben führt. Meine persönlichen Erwartungen, die ich nie nach aussen bekannt gegeben habe, sind unverändert, und bisher ist auch nichts verfehlt. Genentech hat die Erwartungen auch erst im neunten und zehnten Jahr erreicht. Der lange Zeithorizont liegt in der Natur dieses Geschäftes.
Um bis 2011 auf einen Schnitt von 20 Prozent pro Jahr zu kommen, müssten Sie in den verbleibenden sechs Jahren eine jährliche Wertsteigerung von annähernd 40 Prozent erreichen. Halten Sie das nicht für eine Utopie?
War Genentech eine Utopie?
Inwiefern hat Sie der Erfolg mit Genentech zur Gründung von HBM BioVentures motiviert?
Nachdem wir Genentech gekauft hatten, wiesen wir während vieler Jahre einen buchhalterischen Verlust aus. Die Entwicklungskosten für die neuen Produkte waren immens. Aber wir wussten, dass auch das Wertschöpfungspotenzial riesig war, sobald die Produkte auf den Markt kommen würden. Lange kamen die Aktien von Genentech denn auch kaum vom Fleck. In diesem Sinn liesse sich von einer Parallele zu HBM BioVentures sprechen. Bei Genentech kam es dann im zehnten Jahr zu einer regelrechten Kursexplosion mit einer Verzwanzigfachung des Aktienkurses. In einem einzigen Jahr haben wir damals allein mit Optionen gegen zehn Milliarden Franken verdient.
Mit Ihrer eigenen Gesellschaft spekulieren Sie nun auf einen ähnlichen «big bang». Richtig?
Nein. Die Erfahrung mit Genentech, die inzwischen ein halbes Dutzend Blockbuster hervorgebracht hat, hat mir geholfen zu verstehen, dass es durchaus möglich ist, dass die Bewertung eines Unternehmens durch den Markt während mehrerer Jahre stagniert. Da von aussen niemand den tatsächlichen Unternehmenswert erkennen kann, bietet für die betreffende Gesellschaft auch niemand einen hohen Preis. Trotzdem wird in die Entwicklung von neuen Medikamenten investiert, was im Erfolgsfall eine überdurchschnittliche Wertschöpfung generiert. Wenn sich aus all unseren Investitionen nur ein einziger Blockbuster ergibt, dann sind alle bislang angestellten Berechnungen und Erwartungen überholt.
Und wenn sich kein Milliardenpräparat in der Pipeline befindet?
Investitionen in Biotech-Unternehmen sind risikobehaftet. Wenn man dieses Risiko aber auf siebzig Gesellschaften verteilt, wie wir das tun, kann man es auch leicht tragen. Deshalb bin ich guten Mutes, dass wir nach zehn Jahren besser verdient haben werden als mit jedem Aktienindex. Da bin ich zuversichtlich, denn wir haben einige sehr interessante Firmen im Portefeuille. Wie hoch unsere Rendite im Rückblick sein wird, weiss ich natürlich auch nicht. Deshalb habe ich auch nie Prognosen gemacht.
Kritiker halten Ihnen vor, exorbitante Verwaltungsgebühren zu verrechnen.
Wir kaufen und verkaufen nicht einfach Aktien, sondern sind vergleichbar mit
einem hoch spezialisierten Team von Fachleuten, das die Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten von mehreren tausend Mitarbeitern mitführt, begleitet und öfters über «go or no go» entscheidet. Es handelt sich um eine gewaltige Leistung, die wir zu bescheidenen Kosten erbringen. Mit 1,5 Prozent Verwaltungsgebühr per annum gehören wir zu den günstigsten Anbietern in unserem Geschäft. Im Gegensatz zu so genannten Funds of Funds, die den Anlegern oftmals vier Prozent belasten, begleiten wir unsere Firmen über Jahre. Das ist echtes Management.
Sie beschäftigen bei HBM BioVentures inzwischen Dutzende von Molekularbiologen, Chemikern und Medizinern und greifen auf ein internationales Netzwerk aus hoch dotierten Consultants zurück. Baut sich da nicht ein administrativer Wasserkopf auf?
Ein durchschnittliches Unternehmen hat vier bis fünf Prozent administrative Kosten. Im Vergleich sind wir ein hocheffizienter Betrieb.