Wenn Swisscom-Chef Jens Alder mal wieder eine Nachtsitzung in Bern hinter sich hat und sich die Heimfahrt nach Wohlen AG nicht mehr lohnt, checkt er bevorzugt im «Allegro» ein. Das Viersternhotel über dem Berner Kursaal ist bekannt für seine Designermöbel, die vier Restaurants und den Blick auf die Altstadt. Für Alder freilich ist etwas anderes entscheidend: Der ganze Hotelkomplex ist mit WLAN, drahtlosem Internetzugang, ausgestattet. Wo immer Jens Alder sein silbergraues Fujitsu-Siemens-Notebook aufklappt, ob im Zimmer, in der Lobby oder auf der Sommerterrasse – überall genügt ein Knopfdruck, und die E-Mails rauschen in kürzester Zeit auf seinen PC. Selbst im Jacuzzi ist der Empfang perfekt. WLAN ist momentan das Lieblingsspielzeug von Jens Alder. So hat er letzte Weihnachten auch in seinem Privathaus für Frau und Sohn den drahtlosen Internetzugang installieren lassen. «Wir möchten es nicht mehr missen», sagt Alder.

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WLAN ist auch das Lieblingsspielzeug der Swisscom-Strategen. Jahrelang hörte man kaum etwas vom Exmonopolisten, ausser wenn er Mittel von zweifelhafter Fairness einsetzte, um seine Marktdominanz zu verteidigen. Die Milliarden aus dem Verkauf der
Immobilien und eines 25-Prozent-Anteils der Mobilfunksparte an Vodafone liess die Swisscom ungenutzt. Mehr als 200 Unternehmen hat Alder (Jahresgehalt: 1,4 Millionen Franken) für eine Übernahme prüfen lassen. Nur eine Hand voll genügte seinen restriktiven Kriterien, und diese Hand voll wurde vom Verwaltungsrat verworfen. Auch eine Übernahme von Telekom Austria kam trotz allen Spekulationen bis heute nicht zu Stande. So wusste die Swisscom über Jahre mit ihrem Geld nichts Besseres anzufangen, als es den Aktionären zurückzugeben – insgesamt zehn Milliarden Franken seit dem Börsengang.

Jetzt genügt vielleicht viel weniger Geld, um die Swisscom zukunftskompatibel zu machen. Letzten Herbst hatten die Berater der Boston Consulting Group WLAN als einziges noch unbesetztes Wachstumsfeld im Ausland identifiziert (siehe «Was ist WLAN?» auf dieser Seite). Der drahtlose Internetverkehr boomt: Allein im Verlauf des letzten Jahres ist die Anzahl der Hotspots europaweit von 829 auf 15 308 explodiert. Nächstes Jahr sollen es bereits über 35 000 sein, schätzen die Marktforscher von Gartner Dataquest. Stimmen die Vorhersagen, winkt ein Milliardenmarkt.

Der Run aufs WLAN-Geschäft ist eröffnet. «Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit», sagt Alder. Nicht gut für eine Organisation, die sich bisher in weiten Bereichen durch die sprichwörtliche Berner Behäbigkeit auszeichnete. Aber diesmal nahm der Verwaltungsrat unter Präsident Markus Rauh seinen Mut zusammen und genehmigte innert kurzer Zeit drei Akquisitionen: Anfang März gab Alder den Kauf der englischen Megabeam und der deutschen WLAN AG bekannt, Mitte April jene der holländischen Aervik. So kamen 470 Hotspots zusammen. Gleichzeitig schlossen Swisscoms Hausjuristen Standortverträge für 350 Hotspots in der Schweiz ab. Und plötzlich befindet sich das Worblaufener Unternehmen auf dem Zukunftsmarkt WiFi europaweit in der Pole-Position. Weltweit belegt Swisscom hinter Korea Telecom (8500 Hotspots), T-Mobile USA (2200) und der japanischen NTT Docomo (1000) den vierten Platz.

«WLAN ist für uns von strategischer Bedeutung», begründet Alder die plötzliche Aktivität. In der Schweiz ist WiFi eine Ergänzung zum Mobilfunkangebot – auch deswegen sind die 350 Hotspots organisatorisch Swisscom mobile unterstellt. Die Verflechtung geht so weit, dass Natel-Kunden per SMS den Zugangscode zu einem Hotspot anfordern können und die WLAN-Gebühren später auf der Handy-Rechnung erscheinen. Damit ist die Swisscom ihren Konkurrenten klar voraus: Sunrise schliesst erst dieser Tage eine Kooperation mit der deutlich kleineren Monzoon ab (siehe «Gestrauchelter Blitzstarter» auf Seite 48); Orange bietet gar keinen Zugang zu Hotspots, sondern installiert WiFi nur auf Anfrage bei Firmenkunden.

Die Auslandsaktivitäten freilich sind der anspruchsvollere Teil der alderschen Strategie. Nicht nur, dass sie keine Synergien mit dem bisherigen Geschäft bieten. Vor allem sind (mit Ausnahme der inzwischen zur Finanzbeteiligung heruntergestuften Debitel) bislang alle Auslandsengagements der Swisscom kläglich gescheitert. «Auch wir haben aus unseren Fehlern gelernt», sagt Alder. Deswegen wird die WLAN-Strategie nicht vom Berner Hauptquartier aus gesteuert, sondern von der juristisch unabhängigen Tochtergesellschaft Swisscom Eurospot. Weil Alder mit Ventures keine Erfahrung hat, hat er den Sitz des VR-Präsidenten seinem Strategiechef Michael Shipton überlassen. CEO und damit der wichtigste Mann Alders im WLAN-Rennen ist Frédéric Gastaldo. Der 39-jährige Franzose und ehemalige BCG-Berater hatte zuvor verschiedene Telekom-Start-ups mit aufgebaut, unter anderem den französischen Fixline-Anbieter LDCom. Direkt gegenüber des Flughafens Genf-Cointrin hat Gastaldo für sein Team ein halbes Stockwerk in einem Swisscom-Gebäude gemietet. «Eines Start-ups würdig», beschreibt er die bescheidenen Räumlichkeiten.

Die Vorwärtsstrategie ist für Jens Alder «ein neues Gefühl», wie er selbst sagt. Denn der 45-Jährige verdankt seiner Karriere hauptsächlich seinen Fähigkeiten als Restrukturierer. So Anfang der Neunzigerjahre, als er unter Profisanierer Ernst Thomke die Kabelfernsehaktivitäten der Motor-Columbus in kurzer Zeit liquidierte und sich dabei den Ruf eines zielstrebigen, bisweilen wenig subtilen Aufräumers erwarb. Später, in der Geschäftsleitung von Alcatel, profilierte sich Alder vor allem durch die entschlossene Restrukturierung des Telekombereiches. Auch bei der Swisscom war er bislang hauptsächlich für den Rückbau zuständig: Er reduzierte die Anzahl der Mitarbeiter um 15 Prozent, legte Call-Centers zusammen, restrukturierte das Geschäftskundengeschäft.

Bisher bekommt seine WLAN-Strategie gute Noten: «Die Swisscom hat richtig erkannt, dass der Markt in den nächsten zwei bis drei Jahren ausschliesslich aus Geschäftskunden bestehen wird», sagt Monica Paolini vom kalifornischen Technologieinstitut Analysys. Anders als die Freaks sind diese bereit, für einen problemlosen Dienst auch zu bezahlen. Und die Investitionskosten für den Operator sind gering. «Mit 100 000 Franken pro Stadt hat man in der Regel die meisten Aufenthaltsorte der Geschäftsreisenden abgedeckt», errechnet Paul van Arkel, Telekomexperte bei der Strategieberatung Monitor.

Das Problem ist, an die richtigen Hotspots zu kommen. Aus kommerziellen Überlegungen, aber auch um technische Interferenzen zu vermeiden, bestehen die WLAN-Betreiber auf Exklusivverträgen mit den Standorteigentümern. «Sobald man einen Hotspot besitzt, hat man dort ein Lokalmonopol», nennt es Alder. Mit Monopolen kennt er sich aus – auch hier: So ist die Swisscom das einzige Unternehmen, das konsequent eine grenzüberschreitende WLAN-Strategie verfolgt. Die anderen grossen europäischen Player wie die schwedisch-finnische TeliaSonera (480 Hotspots) oder die britische BT (400 Hotspots) versorgen nur ihre Heimmärkte. Wer als viel reisender Geschäftsmann auf WiFi angewiesen ist und sich nicht mit Dutzenden verschiedenen Lokalanbietern herumschlagen will, hat also gar keine andere Wahl, als diese Dienste über Alder zu beziehen.

Noch reichen die 820 Standorte in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien, England, Spanien und den Benelux-Ländern für den Erfolg von Alders Strategie nicht aus. Zwei Drittel der rund 90 WLAN-Mitarbeiter sind daher mit nichts anderem beschäftigt, als neue Standorte unter Vertrag zu nehmen. «Und es wird weitere Akquisitionen geben», sagt Alder. Einen zweistelligen Millionenbetrag hat er für seine Strategie reserviert. Alders Vision: Am Ende fügt sich das europaübergreifende Mosaik seiner Antennen zu einem kleinen, aber feinen Monopol.

Zur Person
Jens Alder (45) ist seit Dezember 1999 CEO der Swisscom. Seither hat er den Exmonopolisten beständig verschlankt. Schon zuvor war der ausgebildete ETH-Elektroingenieur mit MBA mit Restrukturierungen beschäftigt: Nachdem er sich bei Standard Telephone in neun Jahren zum Abteilungsleiter hochgearbeitet hatte, wurde er von Ernst Thomke zu Motor-Columbus geholt, um deren Kabelfernsehaktivitäten zu liquidieren. 1993 kehrte Alder zu Alcatel zurück und restrukturierte drei Jahre später den Telekombereich. Vor seiner Berufung auf den Chefsessel war der in St. Moritz aufgewachsene Appenzeller für die Netzwerkinfrastruktur der Swisscom zuständig. Alder ist verheiratet und Vater eines Sohnes.

Die alles entscheidende Frage ist: Was wäre dieses Monopol wert? 75 Franken, schätzt Monitor-Berater van Arkel, wird ein Geschäftskunde dem WiFi-Operator monatlich in die Kasse bringen (momentan sind die Preise sogar noch einiges höher). Stimmen die Vorhersagen von Gartner Dataquest, nach denen es in fünf Jahren in Europa zehn Millionen regelmässige Hotspot-User gibt, wäre der Markt rund zehn Milliarden Franken gross. Davon will sich die Swisscom ein gehöriges Stück abschneiden. «Die vier grössten Anbieter teilen sich bereits heute 80 Prozent des Marktes», sagt Gastaldo – eine Zahl, die mit zunehmender Kosolidierung noch stiegen wird. Die Margen sind angesichts der geringen Aufbau- und Betriebskosten der Hotspots verlockend.

Das klingt beklemmend vertraut. Geschäftsfeld der Zukunft, explodierende Umsätze, dicke Gewinne – wegen genau dieser Aussichten erlag die Telekombranche vor drei Jahren einem kollektiven Massenwahn und investierte Milliarden in heute grossenteils wertlose UMTS-Lizenzen. Droht sich die Geschichte mit WLAN zu wiederholen? «Ich persönlich bedaure den Hype», sagt Gastaldo. «Die ganze Aufregung um WLAN ist nicht unbedingt positiv.» Paolini geht noch weiter: «Der Hype ist die mit Abstand grösste Gefahr für diese Technologie!» Doch die beiden Business-Cases unterscheiden sich in wesentlichen Punkten: Im Gegensatz zu UMTS braucht es für WLAN keine milliardenteuren Lizenzen oder Investitionen in Antennennetze. Bereits heute ist für WLAN-Dienste eine klare Nachfrage vorhanden. Die Endgeräte sind bereits millionenfach auf dem Markt und entsprechend günstig, die Technologie ausgereift und weltweit einheitlich.

Dass WLAN kommt, dürfte klar sein. Die Frage ist nur, wie schnell. Wird die kritische Masse «nächstes Jahr erreicht» (Monitor-Berater Paul van Arkel), «in ein bis zwei Jahren (NCG-Berater Martin Naville) oder gar erst «in vier bis fünf Jahren» (Analysis-Marktforscherin Monica Paolini)? Angesichts der branchenweiten Unsicherheit will auch im Hause Swisscom niemand konkrete Umsatzziele nennen. Befragt nach der Grössenordnung, bleibt Gastaldo bescheiden: «Unser Erfolg oder Misserfolg wird die Swisscom in den nächsten Jahren als Ganzes nicht erschüttern.» Langfristig denkt Jens Alder in den Kategorien von einigen Hundert Millionen Franken Umsatz.

Die ersten positiven Nebeneffekte kann er bereits jetzt verbuchen. Endlich kommuniziert er Angriff statt Verteidigung, endlich surft die Swisscom auf einer Technologiewelle ganz vorne mit. «Das ist positiv für Identifikation und Motivation der Mitarbeiter», sagt Alder. Dass die kleine Swisscom schneller ist als die Grossen im Markt, hat freilich einen Grund: Sie muss nicht auf ihre UMTS-Lizenzen Rücksicht nehmen. Noch ist unklar, inwieweit sich WLAN und der nächste Mobilfunkstandard konkurrenzieren (beide zielen auf mobile Datenbenutzer ab) oder ergänzen (möglicherweise macht WLAN den Computerbenutzern erst Appetit auf schnelle Datendienste auch ausserhalb der Hotspots). Doch es ist wohl kein Zufall, dass jene Carrier, die viel Geld in UMTS-Lizenzen gesteckt haben, bei WLAN auffallend zurückhaltend sind. Der grösste Mobilfunkanbieter der Welt, Vodafone, betreibt einen einzigen Hotspot im Pilotversuch, die Deutsche Telekom ist in Sachen WLAN nur in den USA aktiv, wo UMTS kein Thema ist.

Gefährlich wird es für die Swisscom, wenn die Branchengiganten ihre Zurückhaltung ablegen und ihr ganzes Gewicht hinter WLAN stellen würden. Denn um dann europaweit mitzuhalten, müsste die Swisscom richtig viel Geld in die Hand nehmen. Alder rechnet für diesen Fall mit einem dreistelligen Millionenbetrag.

Ein weiterer Faktor könnte dem Swisscom-Chef einen Strich durch die Rechnung machen. Weltweit versuchen immer mehr Gaststätten, Kunden anzulocken, in dem sie WLAN günstig oder kostenlos anbieten – wie in den USA Starbucks und McDonald’s. In der Schweiz betreibt Air2Web sieben werbefinanzierte, für den Benutzer kostenlose Hotspots. Hinzu kommen momentan weltweit rund 5000 Gratis-Hotspots, die von Freaks betrieben werden. «Gratisdienste werden nicht die Qualität und Verfügbarkeit bieten können, die ein Geschäftskunde braucht», sagt Gastaldo. Doch auch die Internetökonomie kämpft bis heute damit, dass fast alle Dienste in der Anfangszeit für den Surfer kostenlos waren. «Die Gratismentalität ist die grösste Gefahr für die WLAN-Strategie der Swisscom», sagt Jörg Halter von der Telekomberatung OCHA.

Auch Jens Alder weiss: «Unsere Strategie hat erhebliche Risiken.» Weshalb sie dennoch stichhaltig ist: Diese Risiken sind kalkulierbar. Im schlimmsten Fall verliert die Swisscom ihre getätigten Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe. Das ist Peanuts für ein Unternehmen, das allein auf seinem unproduktiv herumliegenden Cash letztes Jahr Zinseinnahmen von 206 Millionen Franken kassierte. Hebt WLAN ab (und die reiche Swisscom kann im Gegensatz zu einem Start-up darauf ein paar Jahre warten), liegt das Potenzial irgendwo zwischen einem netten Zubrot und einer Goldgrube. Die Kalkulierbarkeit des Risikos zeigt: Auch in der Expansion ist sich der stets vorsichtige Jens Alder treu geblieben.

Sein Erfolg wird davon abhängen, wie schnell er weitere Hotspots gewinnt. «Wo die guten Standorte schon vergeben sind, muss die Swisscom Roaming-Vereinbarungen mit der Konkurrenz abschliessen», sagt Andreas Hürlimann, Berater bei Arthur D. Little. Dabei dürfte Alder auf seinen ehemaligen Kollegen und Widersacher Walter Heutschi treffen (siehe «Neuer Raum fürs Roaming» auf Seite 45). Entscheidend ist auch, wie schnell die Kunden kommen: Gerade erst vereinbarte Eurospot mit der französischen Vodafone-Tochter SFR, dass deren 13,5 Millionen Handy-Kunden ebenfalls die WLAN-Dienste der Swisscom benutzen können. «Solche Verträge sind essenziell für unsere Strategie», sagt Gastaldo.
Die Beherrschung der Technologie auch. Jens Alder lädt zur Live-Demo an der Neuen Börse, nur ein paar Schritte von seinem Zürcher Büro entfernt. Das Einloggen in den Hotspot klappt problemlos. Alder geht auf das Intranet seines Unternehmens. Doch nach ein paar Sekunden wird die Verbindung gekappt. Alder runzelt die Stirn. Neuer Versuch, gleiches Ergebnis. «Das ist unser Intranet, nicht der Hotspot!», beeilt sich Alder zu sagen. Zum Beweis versucht er, die öffentlich zugängliche Swisscom-Website aufzurufen. Auch das klappt nicht: Entschieden verwehrt die Swisscom ihrem Chef den Zugang. «Komisch, dasselbe Problem hatte ich gestern auch schon», murmelt der Ausgesperrte.

Technologie hat ihre Unwägbarkeiten. Jens Alders Strategie auch.