Was der renommierte Referent sagte, weiss auch der Volksmund. «Wenn Sie der Bank eine Million schulden, haben Sie ein Problem, wenn es Ihrer Firma nicht gut geht», scherzte Hans Ziegler vor Gewerblern, die von solchen Krediten nur träumen können. «Wenn Sie der Bank eine Milliarde schulden, hat die Bank ein Problem.» Aber auch Binsenwahrheiten sind Wahrheiten: Hans Ziegler erfuhr es schneller, als er vor einem Jahr bei seinem Referat in Wil ahnte.
Schon Anfang Oktober verlautete aus verlässlichen Quellen, die Winterthurer Erb-Gruppe schulde ihren Banken sogar mehr als eine Milliarde und zahle die Zinsen dafür nicht mehr. Doch die Brüder Rolf und Christian Erb, die das Konglomerat seit dem Tod ihres Vaters im Juli führten, drückten sich um ein Gespräch. Und die beteiligten Banken, die dem Vernehmen nach stillhalten, verweigerten jede Auskunft: UBS, CS, die St. Galler und die Thurgauer Kantonalbank, auch die ZKB mit dem ehemaligen Erb-Logistikchef Hans Vögeli, die angeblich ihr Engagement von einer halben Milliarde in kurzer Zeit energisch heruntergefahren hatte. «Absurd», hiess es zu den herumgebotenen Zahlen in der Bilanz, «alles im Griff», zur bedrohlich erscheinenden Lage der Liquidität.
Auftritt Hans Ziegler: «Winterthurer Erb-Gruppe erhält einen CEO», vermeldete ein dürres Communiqué am 28. Oktober. Und die Öffentlichkeit schreckte auf: War die Erb-Gruppe, mit 4900 Mitarbeitenden in über 80 Firmen und einem Gesamtumsatz von 4,5 Milliarden Franken das bedeutendste Unternehmen der sechstgrössten Schweizer Stadt, tatsächlich ein «Sanierungsfall», wie die Presse umgehend schrieb? Oder stand das undurchschaubare Gebilde, wie besorgte Stimmen meinten, gar kurz vor dem Kollaps?
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«Ihr Journalisten habt das Communiqué nicht richtig gelesen», schmunzelt Hans Ziegler. «Ich bin als Geschäftsführer eingesetzt, nicht als Sanierer gerufen worden.» Doch er kokettiert, denn er weiss am besten um sein Renommee: Als «Traummann» für komplizierte Fälle und turbulente Zeiten rühmen ihn die Medien, als Troubleshooter, der lieber in stürmischen Wellen segle als auf ruhiger See. Allein sein Palmarès verrät: Wer Hans Ziegler ruft, hat ein grösseres Problem.
Er packt denn auch in Winterthur so an wie bisher immer in höchster Not. Am Dienstag, 21. Oktober, erhält er abends einen Anruf – von den Besitzern, nicht von den Banken, wie Hans Ziegler betont: «Ich bin von der Erb-Gruppe, nicht von der Bahnhofstrasse angestellt.» Am Mittwoch, 22. Oktober, spricht er sich vormittags mit dem Verwaltungsrat aus, am Freitag, 24. Oktober, tritt er als CEO an. Vor seinem letzten Einsatz bei der Wetziker Elma, die er als Zürcher Oberländer gut kannte, erbat er sich immerhin noch eine Woche Bedenkzeit, als ihm der grösste Aktionär eines Montagmorgens am Telefon sein Problem schilderte. Jetzt sagt er, als Schreinerssohn und Porschefahrer interessiere ihn das Metier der Erb-Gruppe einfach: «Dazu hatte ich gerade Kapazität frei – that’s it.»
Seither läuft Hans Ziegler einmal mehr auf Hochtouren, als selbst deklariertes «Perpetuum mobile ohne Zusatzstoffe», mit Mineralwasser, Sandwiches und Pizza verpflegt. Drahtig und mit verblassender Gesichtsfarbe krampft er an 14-Stunden-Tagen rund um die Woche. Beim seltenen gepflegten Essen tippt er nebenher SMS; auf den gewohnten Sport verzichtet er, weil an seinem Feierabend alles schon geschlossen sei: «Die Arbeit ist mein Sport.» Diesen betreibt er aber als Mannschaftsspieler, wie er betont. Ein Team mit rund zwanzig Köpfen, Anwälten, Buchprüfern, Kommunikationsleuten, arbeitet im selben Rhythmus wie er: «Eigentlich müssten Sie eine Truppe abbilden, nicht mich allein.»
Wie funktioniert die Methode Ziegler? Wie tickt sein Team, wie läuft der Prozess? Aus Beobachtungen bei früheren Fällen und Aussagen des Meisters ergibt sich ein Manual, wie sich die schwierigsten Unternehmensprobleme lösen lassen – wenn man es kann.
Tempo machen
Die Karriere des Sanierers Hans Ziegler, der sich zuvor bei der Usego-Waro-Gruppe und beim Globus-Konzern um die Finanzen gekümmert hatte, begann im Januar 1996. Bei der vermeintlich aufgeräumten Heimelektronik-Händlerin Interdiscount als Finanzchef eingestellt, erkannte er in den ersten Arbeitstagen, dass Liquiditätsengpässe drohten.
«In unserem Frankreich-Geschäft lief täglich Blut raus», erinnert sich der damalige Verwaltungsratspräsident Leonardo Vannotti, dem die Geschäftsleitung die Probleme verheimlicht hatte. Der Finanzchef alarmierte ihn auf einer Reise in Russland; gemeinsam sorgten die beiden Männer für die Entmachtung von Generaldirektor Ruedi Baer und trieben, im ständigen Kampf gegen die Zahlungsunfähigkeit, innert weniger Monate den Verkauf der Unternehmensteile voran. Schliesslich zahlte Interdiscount eine Wandelanleihe, die ein Jahr zuvor auf 15 Prozent abgesackt war, zu 100 Prozent zurück, und selbst die Aktionäre bekamen dank dem Verkauf des Aktienmantels an die spätere Distefora noch etwas.
«Zeit ist Geld», weiss Hans Ziegler. Deshalb gelte es, einen Strategieprozess «extrem zusammenzupressen», also von Anfang an nach Lösungen zu suchen und sich die nötigen Kenntnisse laufend – in Business-Latein: iterativ – zu erarbeiten: «Ein Entscheid kann falsch sein, kein Entscheid ist immer falsch.»
Vorwärts schauen
Als Ziegler im Jahr 2000 bei Complet-e einstieg, riskierte er seinen Ruf. Denn die junge Softwarefirma, die 1999 an die heiss laufende Börse gekommen war, hatte kein markttaugliches Produkt und war wegen Millionenverlusten nach einem Jahr schon reif für den Konkurs: Offensichtlich hatten die Gründungsaktionäre – mit aller Zurückhaltung ausgedrückt – dem Publikum zu viel versprochen.
«Ich bin kein Staatsanwalt», sagt Hans Ziegler jenen, die einige Verantwortliche gern im Gefängnis sähen. «Ich schimpfe nicht über meine Vorgänger, und ich trete nicht als Rächer auf.» Bei Complet-e habe für ihn nur gezählt, dass sauber war, was übrig blieb: «Ich schaute, was man damit noch machen konnte. Punkt. Amen.» Nämlich einen Börsengang, wie es ihn bis dahin in der Schweiz nicht gegeben hatte: Die nicht nur auf dem Papier viel versprechende Softwarefirma Pragmatica schlüpfte in einem Reverse Takeover in die Unternehmensstruktur; sie schaffte so, mit dem Segen aller Aufsichtsbehörden, innert dreier Monate den Sprung an die Börse.
«Wir heissen Pragmatica», lacht CEO Clino Vallone, «weil wir so sind.» Und Complet-e-Gründungsaktionär Ralf Nadler, dem Hans Ziegler in schwierigen Zeiten beistand, weil er ihn für integer hielt, schwärmt von diesem «fadegrade» Mann: «Solche Leute braucht die Schweizer Wirtschaft – er ist keiner, der die Rollläden herunterlässt.»
Ins Geschäft eintauchen
Martin Wipfli, mit der Vermögensverwaltungsfirma Baryon der grösste Aktionär von Elma, geriet ins Staunen, als er Hans Ziegler 2001 für die angeschlagene Produzentin von Gehäusen für Elektronik- und Telekomgeräte verpflichten konnte: «Er tauchte ab und hielt sich Tag und Nacht in Wetzikon auf. Als er wieder auftauchte, kannte er von allen Produkten die technischen Spezifikationen.» Und nicht nur das: «Er legte in einer messerscharfen Analyse dar, welche Schnitte und Schritte zu welchem Ziel führen sollten. Wir setzen, beispielsweise mit dem Auslagern der Produktion in eine rumänische Tochterfirma, noch zwei Jahre danach um, was er uns bei der ersten Strategiesitzung sagte.»
Wie erarbeitet man sich ein solches Wissen? «Reden, reden, reden», sagt Hans Ziegler: «Ich schaue nicht am Bildschirm Statistiken an, sondern laufe lieber durch den Betrieb.» Dabei könne er mit allen reden und von allen lernen. Bei Elma wussten so die Leute vom Wareneingang lange vor der Führung, dass das Geschäft nicht gut lief, weil sie immer schon um halb drei am Nachmittag Feierabend machen konnten: «Um das zu erkennen, brauchen Sie kein Rechnungswesen nach US-GAAP.»
Verbündete finden
Viele im Unternehmen wissen um die Probleme – das stellt Hans Ziegler auch jetzt bei der Erb-Gruppe fest. Obwohl er sich auf sein verschworenes Team verlassen kann, betont er deshalb: «Nur mit Externen funktioniert ein solcher Prozess nicht.» Er lässt sich vom ersten Tag an von Leuten auf allen Ebenen die Probleme erklären – und gewinnt dabei nicht nur ein Bild von den Problemen, sondern auch von den Leuten. «Ich mache so meine Triage fürs Projektteam», sagt Hans Ziegler, «dabei sehe ich: He’s my man, she’s my woman.»
Höchstens zwei solche Verbündete suche er innert einer Woche – nicht immer finde er sie auf den obersten Ebenen. Bei Elma, mit Präsident Thierry Lalive d’Epinay, bestand er so zusammen mit Hauptaktionär Martin Wipfli (und dessen Verwaltungsratspräsident Franz Steinegger) auf dem Auswechseln der ganzen Führung. Denn am mühsamsten sei es immer, die Leute zu überzeugen, sich zu bewegen und nicht still zu stehen. Von jenen, die nicht mitziehen können oder wollen, trennt er sich ohne Emotion: Bei Elma unterschrieb Hans Ziegler die Liste des Personalchefs, obwohl ihm ein zu Entlassender persönlich sehr nahe stand.
Für Cashflow sorgen
Hans Ziegler stoppe nicht nur als Sanierer den Cashdrain, sagt Clino Vallone als sein Partner bei Pragmatica, er schaue auch als Restrukturierer, wo er wieder Cashflow finde: «Er kann wie ein Unternehmer denken, auch wenn ihm das Unternehmen nicht gehört.» Eine Bilanz sanieren könne jeder, pflegt der Meister denn auch selbst zu sagen; wer sich aber die Erfolgsrechnung nicht vornehme, müs- se innert dreier Jahre die Bilanz erneut sanieren. «Mich interessieren nicht die Zahlen, sondern die Treiber, das Geschäft hinter den Zahlen», betont Hans Ziegler. «Ein Unternehmen besteht doch daraus, dass man irgendetwas macht.»
Was die vielfältigen Unternehmen der Erb-Gruppe machen, vom Küchenbau bis zum Kaffeehandel, laufe gut, versichert der neue CEO, gar «bestens» im Fall von Volcafé: «Das Tagesgeschäft geht weiter.» Die Probleme, welche die Existenz des ganzen Konglomerats bedrohen, rühren offenbar tatsächlich nur von den Fehlinvestitionen im maroden deutschen Immobilienmarkt her. Die tiefen Löcher bei der Kölner CBB Holding, die sich vor allem in Berlin und in den neuen Bundesländern verspekuliert hat, scheinen auf Grund von schwer durchschaubaren Kreuzverflechtungen und Kreditbeziehungen in der nicht konsolidierten Gruppe auch die gesunden Unternehmen zu verschlingen. Aber Hans Ziegler beruhigt: «Wir lösen das. Es gibt für jede Schraube den richtigen Schraubenzieher.» Und er macht dabei kaum auf Zweckoptimismus; Zuversicht weckt auch, was Clino Vallone sagt: «Er nimmt nur Mandate an, bei denen er eine Chance sieht.»
Wie aber könnte die Erb-Gruppe in Zukunft aussehen? Die Restrukturierung soll zwar nur einen Monat dauern, doch sie läuft noch. Hans Ziegler kommuniziert seine Pläne, sobald sie vorliegen, aber nicht vorher. Auf der Zielgeraden herrsche der dichteste Nebel, witzelt er; eine Prognose, was er spätestens Anfang Dezember kommunizieren wird, fällt deshalb schwer. Die Mitarbeitenden in den gut gehenden Geschäften brauchen aber kaum etwas zu befürchten: Ein Rückblick auf die bisherigen Einsätze von Hans Ziegler zeigt, dass es ihm immer zuerst darum geht, die Werte zu erhalten. Zweitrangig ist, wem sie gehören.
«Am Schluss gibt es Ordnung», weiss Hans Ziegler jedenfalls. Dafür braucht es allerdings in jedem Fall tiefe Schnitte, denn der Meister macht seine Arbeit gründlich und nachhaltig. Bei Erb könnte das Ergebnis dafür gar so erfreulich ausfallen, dass er die Früchte seiner Arbeit selbst geniessen möchte, statt sich den nächsten grossen Brocken vorzunehmen. «Es gibt immer auch die Überlegung, langfristig zu bleiben», sagt Hans Ziegler. «Wenn mir das Unternehmen die Möglichkeit bietet, kann ich es mir vorstellen.» Er wäre dann tatsächlich CEO, nicht nur auf Zeit.
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