Abgespannt, ja erschöpft wirke er, der «Pionier des Rohwarenhandels» («Neue Luzerner Zeitung»), «the uncrowned king of Zug» («International Herald Tribune»), der «Rohstoff-König» («Weltwoche»), der «Altmeister des Trading» (BILANZ). «Wenn ich ihn sehe, kommt er mir jedes Mal älter und gebückter vor», hat ein ehemaliger Mitarbeiter beobachtet. «Er wirkt fahl, da ist nicht mehr viel von dieser unglaublichen Energie zu spüren, die er einst versprüht hat», so ein bekannter Zuger Berater.

Dabei hätte der 66-jährige Marc Rich allen Grund zur Freude. Denn am 20. Januar begnadigte der scheidende US-Präsident Bill Clinton 104 Personen, darunter Rich. Der gebürtige Belgier, mit einem spanischen und einem israelischen Pass ausgerüstet, setzte sich 1983 aus den Vereinigten Staaten in die Schweiz ab. Denn nach einer Anklage wegen Steuerhinterziehung, Ölpreismanipulation und Umgehung verhängter Boykotte drohten ihm mehr als 300 Jahre Kittchen.

Nur wenige Tage nach dem überraschenden Pardon meldete die Marc-Rich-Gruppe in Zug ebenfalls Überraschendes: den Ausstieg aus dem Rohwarenhandel. Die Marc Rich Investments (MRI), die mit dem Handel von Öl, Mineralien und Metallen einen Umsatz von 7,5 Milliarden Dollar erwirtschaftet und 240 Leute beschäftigt, davon 60 Händler, wird an das seit wenigen Monaten ebenfalls in Zug domizilierte Rohstoffhandelshaus Crown Resources losgeschlagen.

Verblüfft über Richs Verabschiedung aus seiner Paradedisziplin zeigt sich eigentlich nur die Öffentlichkeit. In der Branche dagegen ist es ein offenes Geheimnis, dass die Marc Rich Investments bereits während geraumer Zeit zum Verkauf ausgeschrieben stand. Das Interesse allerdings war lau. Vor Jahresfrist kam es dann doch noch zu ernsthaften Gesprächen, und zwar mit der Trafigura. Die international aktive Firma, die über eine starke Niederlassung in Luzern verfügt, befasst sich mit dem Handel von Energie, Metallen sowie Mineralien und hält unter den Schweizer Rohwarenhäusern Rang drei.

«Wir wollen die Rohstoffaktivitäten aus unserer Gruppe herausbrechen und mit Trafigura verschmelzen», führte damals Thomas Frutig, Geschäftsführer der Marc Rich Holding, gegenüber BILANZ aus. Von einer Fusion jedoch mag Trafigura, die 1993 ausgerechnet von ehemaligen Rich-Topleuten ins Leben gerufen wurde, nichts wissen. «Wir wollten nie über einen Merger diskutieren, sondern haben immer eine Übernahme angestrebt», erinnert sich ein Trafigura-Kadermitglied.

Die Verhandlungen wurden abgebrochen. Angeblich scheiterten sie nicht zuletzt an den weit auseinander klaffenden Preisvorstellungen. Zwar kam es nicht zu einer Due Diligence. Doch ein kurzer Blick in die Bücher der Marc Rich Investments scheint wenig Gutes verheissen zu haben.

«Die Rückkehr von Marc Rich ins Rohstoffgeschäft war ein Nonsens. Der wollte sich damit an Glencore rächen, das konnte nicht gut gehen», urteilt ein Rohwarenspezialist, der gegen zwanzig Jahre für Rich gearbeitet hat. Kurze Rückblende: 1975 verliess Marc Rich zusammen mit Pincus Green und einem halben Dutzend Händler den damals weltgrössten Rohstoffhandelskonzern Philipp Brothers und gründete in Zug sein eigenes Unternehmen. Die Firma gedieh aufs Beste und avancierte bald zur neuen Nummer eins. 1993 wurde Rich von seinen eigenen Führungsleuten unter Androhung des Massenexodus zum Ausstieg gezwungen, er musste seine 51-Prozent-Beteiligung dem Management peu à peu abtreten.

Den dünnhäutigen Milliardär, der aus einer wohlhabenden jüdischen Antwerpener Familie stammt, muss dieser schmähliche Abgang aus dem sich inzwischen Glencore nennenden Unternehmen aufs Ärgste gewurmt haben. Als Rich 1995 mit einer neuen Firma sein Comeback ins Rohwarengeschäft gab, wurde er von einem Weggefährten aus alten Philipp-Brothers-Zeiten gefragt, weshalb er denn um alles in der Welt wieder anfange. Da habe Marc Rich mit dem Finger in Richtung des Glencore-Gebäudes gewiesen und gemurmelt: «The boys didn’t behave well.»

Der Neueinstieg stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Rich wird zwar branchenweit als brillanter Trader gerühmt, doch ausschliesslich im Ölgeschäft. Der Ölmann allerdings wollte ebenso mit Mineralien, Metallen und Agro-Gütern Geschäfte machen. Die dazu nötigen Spezialisten vermochte Rich jedoch bei kaum einem seiner Konkurrenten abzuwerben. Gerade für Rohwarenprofis bieten Salär und Bonus zu wenig Reiz, zusätzlich gefragt sind Beteiligungen am Unternehmen. Beim Branchenprimus Glencore beispielsweise stammen die rund 400 Aktionäre fast ausnahmslos aus den eigenen Reihen.

Marc Rich dagegen gestand, eingedenk des Verlustes seiner alten Firma, seinen Leuten gerade mal 15 Prozent an der MRI ein. So hatte er sich mit überwiegend zweit- und drittklassigen Händlern zu begnügen. Und die gaben sich erst noch über Jahre hinweg die Klinke in die Hand. Was in mehreren verlustreichen Fehlspekulationen seinen Niederschlag fand. Oder in teuren Prozessen, die Rich gegen abgesprungene Kaderleute oder diese gegen ihn anstrengten.

Schwer tat sich Rich auch mit der modernen Art des Rohstoffgeschäfts. Das ihm vertraute Trading – für 105 kaufen und für 110 verkaufen – ist passé. Den simplen Warenvermittler braucht es kaum noch, nicht einmal mehr im Ostgeschäft. «Die goldenen Tage, als man, bepackt mit Kirschstengeli und Sackmessern, nach Russland reiste, um Geschäfte zu machen, sind längst vorbei», meint fast wehmütig ein Rich-Mann. Glencore hat das kapiert und sich mit Milliardeninvestitionen vom reinen Händler zum Mischkonzern gewandelt, der auch als Rohstoffproduzent auftritt.

Den folgenschwersten Fehler beging Rich, indem er sich innert kürzester Frist als weitere Marktkraft etablieren wollte. «Der hat auf Teufel komm raus auf Grösse gebolzt. Das ging auf Kosten der Margen», moniert der Metallexperte eines mittelgrossen Konkurrenten. Dabei sind gerade im Metallhandel die Margen auch so schon dünn genug. «Das Internet hat viel Transparenz in den Metallhandel gebracht. Und Transparenz bedeutet immer sinkende Margen», erläutert Ernst Kohler, Präsident des von Steinhausen aus operierenden Mineralien- und Metallhändlers Newco.

Geklotzt hat Rich überwiegend im Markt mit Kupferkonzentrat, Aluminium, Zink und Nickel. Bei diesen Metallen sind mehrjährige Produzenten-Abnahmeverträge die Regel. Wer derart gebunden ist, bekommt Probleme, wenn die Preise drehen. Und wenn sich im so genannten Forwardbook zu viele schlechte Positionen ansammeln, kann es bei einem Verkauf des Handelshauses durchaus passieren, dass der Käufer nach Bewertung der Kontrakte sogar noch Geld erhält. Muss die Rich-Gruppe der Crown Geld nachschiessen, wie vereinzelt gemutmasst wird? Davon will Frutig nichts wissen: «Unser Forwardbook ist markant positiv.» «Ein amüsantes Gerücht», lässt sich dazu Crown-CEO Elliot Spitz vernehmen.

Nun hat sich herumgesprochen, dass Crown flott zum zweitgrössten Rohstoffhändler der Welt heranwachsen will. Dank der MRI rückt man diesem Ziel ein grosses Stück näher, womit wohl die Firmenbewertung nicht allzu exakt ausfallen mag. Zumal an Barem kein Mangel herrscht: Crown gehört ins Reich der Alfa-Gruppe, eines der mächtigsten Finanz- und Industriekonglomerate Russlands (siehe unten: «Der Rockefeller Russlands»). Dergestalt lassen sich auch durch allzu aggressiven Expansionsdrang verursachte Verluste besser verkraften.

Nicht so bei Marc Rich: Die vergangenen sechs Jahre sollen ihm im physischen Trading, so wollen mehrere voneinander unabhängige Quellen wissen, einen Fehlbetrag von 250 bis 300 Millionen Franken eingetragen haben. «Jetzt ist ihm ein eleganter Ausstieg gelungen, bei dem er sein Gesicht wahren kann», meint ein langjähriger Mitstreiter Richs.

Still und leise dichtgemacht hat Marc Rich den Handel mit Soft Commodities, wie landwirtschaftliche Güter im Branchenjargon genannt werden. Der Eintritt in diesen Markt erfolgte 1997 mit der Akquisition der Glibro Grain samt 80 Beschäftigten. Als drei Jahre danach die Restaktivitäten aufgegeben wurden, mussten gerade noch gegen 20 Leute entlassen werden. «In diesem Geschäft läuft der Handel immer mehr direkt zwischen Produzent und Verbraucher ab», begründet Thomas Frutig, die Nummer zwei der Rich-Gruppe, den Rückzug.

Nach den Räumungsverkäufen und Stilllegungen setzt sich die Marc-Rich-Gruppe noch aus dem Finanz- und dem Immobiliengeschäft zusammen. Doch auch im einst bedeutenden Liegenschaftenbereich wurde mit eisernem Besen ausgekehrt. «Da haben wir fast alles verkauft», macht Frutig klar. An die Firma gebracht hat die Marc Rich Real Estate beispielsweise das 1998 eröffnete, architektonisch mehrfach ausgezeichnete Shopping- und Bürogebäude Atrium Saldanha, 44 000 Quadratmeter an Toplage in Portugals Kapitale Lissabon. Aus der Privatschatulle von Marc Rich stammen zwei spanische Hotels in Madrid und Sevilla, die an eine Hotelkette gingen. Zu Barem gemacht wurden ferner sechs Bürogebäude in Moskau mit einer Gesamtfläche von 40 000 Quadratmetern.

Kasse gemacht wurde mit Blick auf die Marktsituation. Insbesondere in Spanien und Portugal kletterten die Immobilienpreise innert weniger Jahre um das Doppelte. Die massive Wertsteigerung wollte die Rich Real Estate ins Trockene bringen. Völlig aus dem Immobiliengeschäft verabschieden wollen sich die Zuger jedoch keinesfalls. Die paar Hundert Millionen Franken, die aus den Verkäufen anfielen, sind kurzfristig angelegt worden, damit die Mittel rasch wieder verfügbar sind. «Sobald wir den Immobilienmarkt in einem unserer Zielländer wieder als attraktiv erachten, werden wir erneut einsteigen», macht Frutig klar.

Ob sich bis dann die stattliche personelle Struktur aufrechterhalten lässt, ist eher fraglich. Immerhin arbeiten im Immobilienbereich 25 Leute, davon 5 im Zuger Hauptsitz, je 7 in Prag und Madrid sowie 6 in Moskau. Die meisten drehen Däumchen. Denn zu verwalten gibt es inzwischen nur noch ein grosses Stück Land mitten in Lissabon. Kaum etwas zu tun geben die vier Privathäuser des Patrons in der steuergünstigen Innerschweizer Gemeinde Meggen, im mondänen St. Moritz, in Madrid sowie im spanischen Promi-Badeort Marbella.

Betriebsamkeit herrscht dagegen in den Räumen der Marc Rich Finance (MRF) in Zug, die zu 100 Prozent von der Rich Holding kontrolliert wird. 95 Spezialisten sind im Finanzgeschäft beschäftigt, davon 10 Händler. Gehandelt wird mit Aktien, Festverzinslichen und Währungen, dazu kommen Derivate aus allen drei Segmenten. Zusätzlich werden Gelder ausserhalb des Hauses gemanagt; die so genannten Money-Manager-Programme umfassen Hedgefunds, Stock-Picking, Emerging Markets und weitere alternative Investments.

Der Finanzplatz Zug ist übersichtlich, jeder kennt jeden, Tratsch ist ein beliebter Zeitvertreib. Über Erfolge oder Schlappen der Rich Finance allerdings weiss niemand Handfestes zu berichten. «Wir geschäften nicht mit der MRF», lautet die Auskunft immer wieder. Kein Wunder, arbeitet die Marc Rich Finance doch ausschliesslich mit eigenen Mitteln und auf eigene Rechnung. Mit anderen Worten: Die 95 Angestellten sind einzig und allein damit beschäftigt, den auch so schon ansehnlichen Besitz ihres Brötchengebers (BILANZ schätzt in ihrer Ausgabe «Die 300 Reichsten» das Vermögen von Marc Rich auf 1,5 bis 2 Milliarden Franken) noch weiter zu mehren.

Bei der MRF sind auch die Beteiligungen parkiert. Richs Stellvertreter Frutig mag nur offen legen, was die Öffentlichkeit ohnehin schon kennt. Als da sind: 7,0 Prozent an Eichhof, 10,2 Prozent an Feldschlösschen-Hürlimann sowie nicht ganz 5 Prozent an der australischen Anaconda Nickel. Allein diese drei Investments repräsentieren einen Börsenwert von gegen 150 Millionen Franken.

Nichts mehr am Hut hat man bei der Marc Rich Holding mit dem Rohstoffhandel, sieht man von allfälligen Beratungsdiensten des Capo bei Crown ab. Hat sich Rich endgültig aus seiner Paradedisziplin verabschiedet? Zumindest im Agro-Bereich liess er sich ein Hintertürchen offen. Denn Rich Agriculture, Zug, oder Rich Agriculture Trading, Genf, wurden nicht liquidiert, sondern lediglich eingemottet. «Wer weiss, vielleicht lässt sich in diesem Geschäft eines Tages als Nischenplayer wieder Geld verdienen», hofft Frutig.

Im Handel mit Metallen und Mineralien dagegen wird sich der publizitätsscheue Milliardär wohl keine neuen Blessuren holen wollen. «Den gleichen verhängnisvollen Fehler begeht Marc Rich nicht ein zweites Mal», tönt es aus der Branche.

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