Die Flucht von Carlos Ghosn aus den Fängen der japanischen Staatsanwaltschaft liefert das Drehbuch für einen Gassenhauer. Und sie erinnert an einen anderen Justizkrimi, für den die Schweiz den Schauplatz lieferte: Der Fall des Öltraders Marc Rich.
Beginnen wir bei Ghosn: Wie in einem Agententhriller wird der Ex-Nissan-Chef - versteckt im Kasten eines Kontrabass - in ein Privatjet gehievt. Die in der Türkei immatrikulierte Maschine bringt ihn von Osaka über Istanbul nach Beirut.
Dort angekommen, zeigt Ghosn Japan die lange Nase und lästert über die «Ungerechtigkeit», die ihm auf der Insel widerfahren sei. Und dass er sich freue, das Neue Jahr mit Frau und Kindern in seinem Privathaus in Beirut feiern zu dürfen.
Viele Vorwürfe, keinen Beweis
Zuvor sass er wochenlang in Untersuchungshaft, ohne Anklage, hingegen mit vielen Vorwürfen, welche das Bild eines geldgierigen Managers zeichneten.
Bewiesen ist bis heute nichts.
Ins Rollen gebracht hatte die Untersuchung Nissan-Manager, die Ghosn gegenüber kritisch waren. In den Monaten, die gegen ihn ermittelt wurde, war ihm faktisch untersagt, Kontakt mit seiner Familie zu haben. Über zwölf Wochen sass der Ex-Konzernlenker in Untersuchungshaft.
Der Vorwurf lautete auf Verdunkelungsgefahr. Vorgeworfen wurde im von Oberstaatsanwaltschaft in Tokyo, er hätte Privatfeten und Umbauten von Privathäusern auf Kosten der Automobilfirma Nissan finanzieren lassen. Bewiesen sind die Vorwürfe nicht, bekannt ist hingegen, dass Ghosn als Chef von Nissan, Mitsubishi und Renault als Übermanager galt, der sich von nichts bremsen liess.
«Napoleon» und «Le Cost Killer»
Ghosn, der regemässig am Genfer Automobilsalon aufkreuzte und die Übernamen «Napoleon» und «Le Cost Killer» trug, war ein Haudegen, der mit seiner unzimperlichen Art in der auf Ausgleich besonnenen Wirtschaft Japans für Unruhe sorgte. Aber auch für Respekt.
Er brauchte Nissan und Renault mit Brachialgewalt zurück in den Erfolg. Was ihm 2004 aus den Händen von Kaiser Akihito einen Orden einbrachte. Und einen saftigen Jahreslohn von zeitweise 17 Millionen Franken.
Der Fall erinnert an Marc Rich
Anschuldigungen gegen ihn, die mediale Begleitmusik und eine spektakuläre Flucht – es sind Ingredienzen einer Story, die an jene des Zuger Rohstoffhändlers Marc Rich erinnerte. Auch dieser geriet ins Visier der Justiz, nachdem diese von einem Konkurrenten aus der Händlerwelt mit internen Unterlagen versorgt worden war, die einen angeblichen Steuerbetrug aufzeigen sollten.
Die New Yorker Staatsanwaltschaft machte sich ans Werk. Doch noch bevor sie Rich hinter Gitter setzen konnte, verabschiedete sich dieser auf Anraten seiner US-Anwälte im letzten Moment durch die Hintertür.
Wie im Fall Ghosn wurde Richs Verfehlungen nie bewiesen. Der Trader mit Milliardenvermögen hatte die Vorwürfe immer bestritten.
News Yorks späterer Bürgermeister als Gegenspieler
Es war damalige New Yorker Staatsanwalt Rudy Giuliani, der im Steuer-Vorwurf gegen Rohstoffhändler Rich den grossen Fall witterte, den es medial auszunützen galt. Giuliani verklagte ihn wegen Steuerhinterziehung von über 20 Millionen Dollar und wegen angeblicher Geschäftsbeziehungen mit dem Todfeind Amerikas, dem Iran.
Rich sei der grösste Steuerbetrüger der USA, behauptete Giuliani - was völlig übertrieben war.
Als sich Rich aus den USA absetzte, war Giuliani ausser sich und interpretierte die Flucht in die Schweiz als Beweis für seine kriminelle Energie.
Ein juristischer Kleinkrieg mit Giuliani
Der juristische Kleinkrieg zwischen Rich und Giuliani nahm nun internationale Dimensionen an. Denn die Amerikaner machten Druck auf die Eidgenossenschaft und pochten auf Geschäftsunterlagen aus der Zuger Zentrale von Marc Rich.
Die geforderte Datenlieferung, welche Rich zu schicken bereit war, unterband der Bundesrat unter Justizministerin Elisabeth Kopp. Sie drohte gar damit, die Lieferung an die USA als nachrichtendienstliche Arbeit für eine fremde Macht zu taxieren.
Zwischenzeitlich versucht Giuliani, Rich durch FBI-Agenten in der Schweiz zu entführen, was aber frühzeitig aufflog.
Clinton begnadigte Rich
Der Fall von Carlos Ghosn könnte wie jener von Marc Rich enden: In einem aussergerichtlichen Vergleich. 1984 verpflichtete sich die Marc Rich + Co AG, den USA insgesamt 200 Millionen Dollar zu bezahlen.
Im Gegenzug wurden die Vermögenswert von Rich und seinen diversen Handelsfirmen aufgehoben. Verurteilt wurde er nie, doch ein Haftbefehl gegen ihn blieb bestehen. Bis 2001, als Präsident Bill Clinton Rich begnadete. 2013 starb der Rohstoffhändler in einem Spital bei Luzern.
Der Steuerhinterziehungsfall blieb letztlich ungeklärt und ist unter amerikanischen Juristen umstritten.
Für Giuliani ging die Rechnung auf
Auch für Rudy Giuliani ging die Rechnung auf. Sein medienwirksame Verfolgung des Öltycoons machte ihn zum gerechten Kämpfer, der auch die grössten Fische an die Angel nimmt. Diese Aura machte ihn zum Bürgermeister von New York - und ab 2016 zum persönlichen Anwalt von US-Präsident Donald Trump.