Die Flucht von Carlos Ghosn aus den Fängen der japanischen Staatsanwaltschaft liefert das Drehbuch für einen Gassenhauer. Und sie erinnert an einen anderen Justizkrimi, für den die Schweiz den Schauplatz lieferte: Der Fall des Öltraders Marc Rich.

Beginnen wir bei Ghosn: Wie in einem Agententhriller wird der Ex-Nissan-Chef - versteckt im Kasten eines Kontrabass - in ein Privatjet gehievt. Die in der Türkei immatrikulierte Maschine bringt ihn von Osaka über Istanbul nach Beirut.

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epa08007211 (FILE) - Former Nissan Motor Co. Chairman Carlos Ghosn arrives at Tokyo District Court in Tokyo, Japan, 23 May 2019 (reissued 19 November 2019). Ghosn was arrested on 19 November 2018 on allegations of financial misconduct. After 130 days in jail, he was released on bail only to be rearrested on new charges a month later. He was ultimately granted bail again. EPA/JIJI PRESS JAPAN OUT EDITORIAL USE ONLY NO ARCHIVES

Flucht aus Japan: Ex-Spitzenmanager Carlos Ghosn hat sich in den Libanon abgesetzt.

Quelle: Keystone

Dort angekommen, zeigt Ghosn Japan die lange Nase und lästert über die «Ungerechtigkeit», die ihm auf der Insel widerfahren sei. Und dass er sich freue, das Neue Jahr mit Frau und Kindern in seinem Privathaus in Beirut feiern zu dürfen.

Viele Vorwürfe, keinen Beweis

Zuvor sass er wochenlang in Untersuchungshaft, ohne Anklage, hingegen mit vielen Vorwürfen, welche das Bild eines geldgierigen Managers zeichneten.

Bewiesen ist bis heute nichts.

Ins Rollen gebracht hatte die Untersuchung Nissan-Manager, die Ghosn gegenüber kritisch waren. In den Monaten, die gegen ihn ermittelt wurde, war ihm faktisch untersagt, Kontakt mit seiner Familie zu haben. Über zwölf Wochen sass der Ex-Konzernlenker in Untersuchungshaft.

Der Vorwurf lautete auf Verdunkelungsgefahr. Vorgeworfen wurde im von Oberstaatsanwaltschaft in Tokyo, er hätte Privatfeten und Umbauten von Privathäusern auf Kosten der Automobilfirma Nissan finanzieren lassen. Bewiesen sind die Vorwürfe nicht, bekannt ist hingegen, dass Ghosn als Chef von Nissan, Mitsubishi und Renault als Übermanager galt, der sich von nichts bremsen liess.

«Napoleon» und «Le Cost Killer»

Ghosn, der regemässig am Genfer Automobilsalon aufkreuzte und die Übernamen «Napoleon» und «Le Cost Killer» trug, war ein Haudegen, der mit seiner unzimperlichen Art in der auf Ausgleich besonnenen Wirtschaft Japans für Unruhe sorgte. Aber auch für Respekt.

Er brauchte Nissan und Renault mit Brachialgewalt zurück in den Erfolg. Was ihm 2004 aus den Händen von Kaiser Akihito einen Orden einbrachte. Und einen saftigen Jahreslohn von zeitweise 17 Millionen Franken.

ZURICH, SWITZERLAND - JUNE 12: Dara Sowell and Marc Rich attend GALERIE GMURZYNSKA with BAUR AU LAC Present ART IN THE PARK at Baur Au Lac on June 12, 2010 in Zurich, Switzerland. (Photo by JOE SCHILDHORN/Patrick McMullan via Getty Images)

Marc Rich im 2010 (mit seiner damaligen Freundin Dara Sowell): Der Rohstoffhändler lebte in der Zentralschweiz.

Quelle: Patrick McMullan via Getty Image

Der Fall erinnert an Marc Rich

Anschuldigungen gegen ihn, die mediale Begleitmusik und eine spektakuläre Flucht – es sind Ingredienzen einer Story, die an jene des Zuger Rohstoffhändlers Marc Rich erinnerte. Auch dieser geriet ins Visier der Justiz, nachdem diese von einem Konkurrenten aus der Händlerwelt mit internen Unterlagen versorgt worden war, die einen angeblichen Steuerbetrug aufzeigen sollten.

Die New Yorker Staatsanwaltschaft machte sich ans Werk. Doch noch bevor sie Rich hinter Gitter setzen konnte, verabschiedete sich dieser auf Anraten seiner US-Anwälte im letzten Moment durch die Hintertür.

Wie im Fall Ghosn wurde Richs Verfehlungen nie bewiesen. Der Trader mit Milliardenvermögen hatte die Vorwürfe immer bestritten.

News Yorks späterer Bürgermeister als Gegenspieler

Es war damalige New Yorker Staatsanwalt Rudy Giuliani, der im Steuer-Vorwurf gegen Rohstoffhändler Rich den grossen Fall witterte, den es medial auszunützen galt. Giuliani verklagte ihn wegen Steuerhinterziehung von über 20 Millionen Dollar und wegen angeblicher Geschäftsbeziehungen mit dem Todfeind Amerikas, dem Iran.

Rich sei der grösste Steuerbetrüger der USA, behauptete Giuliani - was völlig übertrieben war.

Als sich Rich aus den USA absetzte, war Giuliani ausser sich und interpretierte die Flucht in die Schweiz als Beweis für seine kriminelle Energie.

PALM BEACH, FL - DECEMBER 19: Trump Attorney Rudy Giuliani addresses the crowd at the Turning Point USA Student Action Summit on December 19, 2019 in Palm Beach, Florida. Conservative high school students gathered for a 4-day invite-only conference hosted by Turning Point USA to hear from conservative leaders and activists from across the U.S.(Photo by Saul Martinez/Getty Images)

Rudy Giuliani: Marc Richs Gegenspieler.

Quelle: Getty Images

Ein juristischer Kleinkrieg mit Giuliani

Der juristische Kleinkrieg zwischen Rich und Giuliani nahm nun internationale Dimensionen an. Denn die Amerikaner machten Druck auf die Eidgenossenschaft und pochten auf Geschäftsunterlagen aus der Zuger Zentrale von Marc Rich.

Die geforderte Datenlieferung, welche Rich zu schicken bereit war, unterband der Bundesrat unter Justizministerin Elisabeth Kopp. Sie drohte gar damit, die Lieferung an die USA als nachrichtendienstliche Arbeit für eine fremde Macht zu taxieren.

Zwischenzeitlich versucht Giuliani, Rich durch FBI-Agenten in der Schweiz zu entführen, was aber frühzeitig aufflog.

Clinton begnadigte Rich

Der Fall von Carlos Ghosn könnte wie jener von Marc Rich enden: In einem aussergerichtlichen Vergleich. 1984 verpflichtete sich die Marc Rich + Co AG, den USA insgesamt 200 Millionen Dollar zu bezahlen.

Im Gegenzug wurden die Vermögenswert von Rich und seinen diversen Handelsfirmen aufgehoben. Verurteilt wurde er nie, doch ein Haftbefehl gegen ihn blieb bestehen. Bis 2001, als Präsident Bill Clinton Rich begnadete. 2013 starb der Rohstoffhändler in einem Spital bei Luzern.

Der Steuerhinterziehungsfall blieb letztlich ungeklärt und ist unter amerikanischen Juristen umstritten.

Für Giuliani ging die Rechnung auf

Auch für Rudy Giuliani ging die Rechnung auf. Sein medienwirksame Verfolgung des Öltycoons machte ihn zum gerechten Kämpfer, der auch die grössten Fische an die Angel nimmt. Diese Aura machte ihn zum Bürgermeister von New York - und ab 2016 zum persönlichen Anwalt von US-Präsident Donald Trump.