Natürlich hätten schon Berater in seinem Büro gestanden in all den Jahren. Den ruhigeren und den turbulenten. Und natürlich seien darunter auch Headhunter gewesen, sagt Marcel Imhof. «Einer von ihnen hat einmal zu mir gesagt: Herr Imhof, wenn Sie hier bleiben, dann werden Sie auf immer und ewig die zweite Geige spielen.»
Der Mann am Nierentisch zieht die Augenbrauen hoch. Schmunzelt. Denn erstens kommt eh immer alles anders und zweitens als man denkt. Seit annähernd 30 Jahren steht der Luzerner im Sold der von Moos-Gruppe und von deren Nachfolgerin, der Swiss Steel. Er ist die Firmentreue in Person. Zu spannend fand er es stets am Lauf der Kleinen Emme, zu befriedigend seien seine Aufgaben gewesen, als dass es ihn weggezogen hätte.
Sein Bauchgefühl lotste ihn zuverlässig über die Sprossen der Karriereleiter. Denn mit der Verschmelzung der beiden Kontrahenten von Moos und Von Roll zu einem einzigen Konzern schlug 1996 auch die Stunde des Marcel Imhof. Der Verkaufschef und spätere Spartenleiter beim Emmenbrücker Familienunternehmen von Moos rückte von der Nummer zwei zur Nummer eins auf und wurde CEO von Swiss Steel.
Zehn Sekunden reichten aus
Der damalige Verwaltungsratspräsident Robert A. Jeker fragte den Ökonomen persönlich, ob er beim Stahl-Dampfer das Ruder übernehmen wolle. Lange brauchte Imhof nicht zu überlegen. «Zehn Sekunden reichten aus, dann war für mich klar, dass ich das Angebot annehmen würde.» Kein Zweifeln, kein Zaudern. Das Umfeld sah es freilich anders. Ein Himmelfahrtskommando sei das, wurde ihm von verschiedener Seite prophezeit.
Kredit genoss das aus den zwei kranken Patienten von Moos und Von Roll gebildete Fusionsprodukt nämlich kaum. Ausser bei Imhof: «Zwanzig Jahre war ich damals in der Branche tätig. Ich wusste, welche Massnahmen zu ergreifen waren, damit die Werke wieder wachsen konnten.» Imhof tippt mit dem Zeigefinger auf die Tischkante. «Es war auch ein emotionaler Entscheid. Ich wollte ganz einfach, dass die Firma überlebt.»
Der Konzernchef richtete den Betrieb neu aus, stiess Altlasten ab insgesamt wurden 800 Stellen durch Restrukturierung, Firmenverkäufe und Ausgliederung reduziert , wählte eine, wie er sagt, «einfache, nachvollziehbare Strategie», die auf den zwei Pfeilern Massenstahl und Spezialitäten ruht, und er bewältigte einen Rechtsstreit, der monatelang die Schlagzeilen beherrschte.
In Gerlafingen waren während Jahrzehnten die Umweltauflagen nicht eingehalten worden, die zu erfüllen nun im Nachhinein Millionen von Franken verschlangen. Doch wer sollte nach der Vertragsunterzeichnung zur Rechenschaft gezogen werden? Der Bräutigam von Moos dachte laut über die Scheidung nach. Ein Schiedsgericht musste entscheiden. Patron André von Moos trat zurück. Die Braut Von Roll war verunsichert, nicht minder die Emmenbrücker Entourage «das Vertrauen war gänzlich weg, ein katastrophaler Zustand», erinnert sich Marcel Imhof.
Seine Aufgabe als neuer Chef sah er denn auch primär darin, das verloren gegangene Vertrauen sowohl der Mitarbeiter als auch der Kunden und Anleger zurückzugewinnen. Der 58-Jährige legt die Stirn in Falten. Man habe damals nicht bei null angefangen. Man habe unter null angefangen.
Heute geht es Swiss Steel besser denn je. Dank der Konzentration der mittlerweile fünf verschiedenen Werke auf jeweils eine Sparte der Stahlproduktion keines konkurrenziert dabei das andere wurde die Palette ausgebaut und die Rentabilität gesteigert.
Hinter der Erfolgsgeschichte, die bereits als «Märchen aus Schrott und Stahl» apostrophiert wird, steckt ein einschneidender Prozess. Ein Wandel im Denken, in der Mentalität. Insbesondere bei von Moos musste man vom patronal geprägten Stil wegkommen. «Das Familienoberhaupt, das sich um alles kümmerte, gab es nicht mehr. Jeder einzelne Mitarbeiter wurde zu einem Unternehmer, der Verantwortung für sich und die ihm anvertraute Aufgabe übernimmt, die er nicht einfach nach oben delegieren kann.»
Der Doktor der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, der schon mal zum Zeichenstift greift, um eine Situation augenfällig zu illustrieren, propagiert den delegierenden Führungsstil. Entscheide sollen an jenen Stellen gefällt werden, von deren Warte aus die damit verbundene Tragweite abzusehen ist. Zwei, drei Jahre seien ins Land gezogen, bis dieser Grundsatz in Fleisch, Blut und Unternehmenskultur übergegangen sei. «Ein ungemein wichtiger Prozess», fügt Imhof an, «denn uns war klar, dass sich etwas ändern musste, wenn wir wirtschaftlich überleben wollten.»
Die Pfadi als Lebensschule
2003 haben sich die Banken von Swiss Steel verabschiedet. Seither gehört der Konzern zur deutschen Schmolz + Bickenbach- Gruppe. Wieder so eine Veränderung für den aus zwei traditionsreichen Familienunternehmen entstandenen Stahlproduzenten. Der neue Hauptaktionär war ein Wunschkandidat von Marcel Imhof, ein alter Kunde. «Eine klassische Win-Win-Situation», sagt er, «wir haben einen garantierten Abnehmer, einen neuen Markt, und Schmolz + Bickenbach einen garantierten Lieferanten, eine Versorgungsquelle.»
Es sei nicht Liebe auf den ersten Blick gewesen, lacht der Luzerner, gefunkt habe es erst beim zweiten Aufeinandertreffen. Dafür aber richtig. Manchmal brauche es eben etwas Geduld. Und die habe gerade er zur Genüge. «Ich bin Steinbock. Und die schmeissen den Bettel nicht so schnell hin.»
Der passionierte Bergsportler winkt ab, wenn man ihn danach fragt, wie er mit Tiefschlägen und Stress umgeht. «Ich brauche kein Ablassventil, gehe also nicht joggen oder Rad fahren. Aber ich fresse es auch nicht in mich hinein.» Rückschläge oder Unklarheiten würden ihn nicht über Gebühr beschäftigen. Solche Situationen verbuche er unter «passiert» oder sehe sie als Ansporn, etwas besser zu machen, weiterzumachen.
Seine Ziele versucht er klar zu umreissen und kommuniziert diese auch, denn «Fairness und Kommunikation sind das A und O einer guten Führung». Hat er ein Ziel im Visier, will er sich nicht mehr oder höchstens durch wirklich einleuchtende Argumente vom Weg abbringen lassen. «Die Versuchung, etwas zu ändern, weil es einfacher erschien, war auch während der Startphase bei Swiss Steel vorhanden», gesteht er, «doch wir haben widerstanden. Und der Erfolg hat uns Recht gegeben.»
Vor den Fenstern des Bürogebäudes werden grosse Rollen mit Draht vorbeigekarrt. Seit zehn Jahren führt Marcel Imhof die Geschicke der Swiss Steel. Von ihrer ersten Stunde an. Als einer, der aus den eigenen Reihen stammte, sei es für ihn wohl einfacher gewesen, das Vertrauen, von dem so viel abhing, zurückzugewinnen, als es für einen extern angeheuerten Manager gewesen wäre. Die Leute, vor allem die ehemaligen Mitarbeiter der von Moos, hätten gewusst, wer er sei. Und sie hätten gewusst, wie er sei.
Und er, der er als junger Mann sein erstes Geld mit dem Beladen von Waggons am Luzerner Güterbahnhof verdient hat, der er lange Zeit ein «Berufspfadi» gewesen sei, dort Tugenden wie Disziplin, Unter- und Einordnung, Planung, Motivation und somit erste Führungskompetenzen erlangt hat, mit welchen Gefühlen blickt er zurück auf die vergangenen Jahre? Marcel Imhof stösst sich ab vom Nierentisch und atmet tief durch. «Ein Mal», sagt er dann, «ein Mal im Leben eine solche Erfahrung zu machen ist bestimmt sehr interessant. Ein zweites Mal unter null starten zu müssen, das wünsche ich mir aber nicht.»
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Steckbrief
Name: Marcel Imhof
Funktion:CEO Swiss Steel
Alter: 58
Wohnort: Luzern
Familie: Verheiratet, zwei erwachsene Kinder
Hobbys: Skifahren, Bergtouren, Reisen
Karriere
- 1977-1986 von Moos, Leiter Verkauf Blankstahl
- 1987-1991 von Moos, Leiter Verkauf Walzstahl
- 1992-1996 von Moos, Gesamtleiter Sparte Stahl
- Seit 1996 Swiss Steel, CEO
Führungsprinzipien
1. Entscheide sollen an jenen Stellen gefällt werden, von denen aus deren Tragweite auch absehbar ist.
2. Fair sein und offen kommunizieren. Auch wenn es wehtut.
3. Geradlinig operieren.
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Firma
SWISS STEEL
Seit 2003 ist die deutsche Schmolz + Bickenbach- Gruppe Hauptaktionärin. Zum Konzern gehören seit 2005 auch die deutschen Edelstahlwerke Südwestfalen GmbH und die Edelstahl Witten-Krefeld GmbH. Swiss Steel beschäftigt 5500 Personen und generierte 2005 einen Umsatz von 2,63 Mrd Fr.