Ein toller Schlitten. Ein Anzug nach Mass geschneidert. Sitzt Marion Müller in Tram oder Bus, schaut sie, mit Übersicht, gerne hinein in fremde Autos. Was sie da zu sehen bekommt, lässt sie zuweilen frösteln: «Da gibt sich so ein Herr jede erdenkliche Mühe, um nach Mann von Welt auszusehen, und dann das!» - die 40-Jährige wackelt mit dem Handgelenk - «eine billige Uhr!» Nicht, dass Marion Müller etwas gegen preisgünstige Mas-senware einzuwenden hätte; wenn einer aber schon Wert auf Stil und Eleganz lege, dann bitteschön mit Konsequenz.
«Eine Uhr ist ein Schmuckstück, an ihr kann man nicht nur die Zeit ablesen, sondern auch den Typus Mensch erkennen, der sie trägt», meint Marion Müller. Es spricht die Meisteruhrmacherin mit bald 25 Jahren Berufserfahrung, es spricht aber auch das Sternzeichen Jungfrau in ihr, die sich, wie aus Horoskopen bekannt, nicht nur durch penible Genauigkeit auszeichnet, sondern auch durch eine grosse Liebe zum Detail.
Zwei Züge, die im Atelier von Vorteil sind. «Ich habe immer schon gerne feine, kleinteilige Arbeiten erledigt», sagt die Frau im weissen Kittel, «als Jugendliche haben mich technische Belange fasziniert» also ist sie Uhrmacherin geworden. In Neuhausen am Rheinfall geboren, habe es nahe gelegen, die Lehre bei einem Uhrenunternehmen zu absolvieren.
Also: Vier Jahre IWC Schaffhausen. Bohren, fräsen. «Da bin ich auf die Welt gekommen was hat denn das mit Uhrmacherei zu tun?», habe sie sich in den ersten drei Monaten immer wieder gefragt, die Hände schwarz wie die eines Automechanikers. Später dann weit befriedigendere Arbeiten an einer Grossuhr, eigene Stücke auch, letztendlich der Abschluss als Horlogère complète. Es dümpelten die 80er Jahre vor sich hin, und alles sprach vom Niedergang der Schweizer Uhrenindustrie. Müller: «In meinem Bekanntenkreis hat man den Kopf geschüttelt über meine Berufswahl, ich hingegen habe immer positiv nach vorne geschaut.»
Allrounderin und dennoch die Frau für Ausserordentliches
Nach Stationen in der Reparaturabteilung von Omega, bei Beyer und Meister an der Zürcher Bahnhofstrasse, nach Fremdsprachen- und Auslandaufenthalten in England und Kanada, stieg Marion Müller 1997 bei Gübelin ein. Als Nachfolgerin des in der Branche legendären Richard Daners zeichnet sie seit fünf Jahren für die Geschicke der Unikat-Abteilung verantwortlich. «Abteilung, das ist gut», schmunzelt Marion Müller, «die Abteilung, das bin ich.»
Als Solistin also entwickelt und fertigt sie Einzelstücke und Originale, wertvolle Preziosen, für die der Auftraggeber schon mal einige zehntausend Franken hinzublättern gewillt ist. Unter 30000 Fr. auf jeden Fall läuft da gar nichts. Dafür sind die meisten Teile von Hand gefertigt.
Marion Müller klemmt die Lupe vors Auge und demonstriert, wie aus einem Stücklein Was-auch-immer eine Brücke, ein Schräublein, ein Zahnrad wird. Hin und her geht die kleine Feile, konzentriertes Arbeiten im Millimeterbereich. Und wenn die Hand einmal zittert, die Finger nicht so wollen, wie sie sollen? Müller: «Dann macht man halt etwas anderes, zu tun gibt es genug.»
Marion Müller ist Allrounderin ihr Aufgabengebiet als Meisteruhrmacherin («Gegen diese Bezeichnung habe ich nichts einzuwenden, was ich aber nicht bin, ist eine Uhrmachermeisterin», legt sie auch hier grössten Wert auf Präzision) reicht von der Kundenberatung über das Entwerfen von Vorschlägen bis hin zum letzten Polieren des Deckglases.
Liegt auf dem Tisch vor ihr zum Teil schon fast antikes Werkzeug, so hat gleich nebenan die Moderne Einzug gehalten. «Entwürfe fertige ich in der Zwischenzeit am Computer, CAD-gestützt», sagt die passionierte Wasser- und Bergsportlerin, packt die Maus - klick, klick - und lässt auf dem Bildschirm grüne, rote, gelbe Kringel aufflackern: «Das wird einmal eine Uhr.»
Eine Weltneuheit komplett von Hand gezeichnet
Ihr Meisterstück etwa, die letztes Jahr an der «BaselWorld» als Weltneuheit präsentierte Taschenuhr Turbulences, ward noch mit dem Bleistift auf Millimeterpapier entworfen. Über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren hinweg hat Marion Müller an diesem goldenen Kleinod mit der ausgeklügelten Technik gesessen, 2000 Arbeitsstunden sind letztendlich in die einzigartige Jubiläumsschöpfung mit Drei-Achsen-Tourbillon geflossen. Das prägt. Die Meisteruhrmacherin amüsierts: «Klar, man entwickelt eine spezielle Beziehung zu solch einem Stück, man ist aber auch froh, wenn endlich alles fertig ist und etwas Neues in Angriff genommen werden kann.» Wer denkt, bei Marion Müller hätte sich bei der Auslieferung der Turbulences Trennungsschmerz eingestellt, liegt denn auch falsch. «Im Gegenteil, ein Problem bekomme ich erst, wenn ich merke, dass die Uhr im Laden liegen bleibt und sich nicht verkaufen lässt.» Bei einem Preis von annähernd 700000 Fr. allerdings könnte es indes noch eine ganze Weile dauern, bis das Meisterwerk einen Abnehmer gefunden hat.
Privat wie im Beruf: Die Zeit immer im Auge
Bei all den schönen, wertvollen und zum Teil reichverzierten Uhren, die durch die Finger der 40-Jährigen gehen Marion Müller selber schätzt das Schlichte. Und macht ein überraschendes Bekenntnis: «Frauen dürfen durchaus Männeruhren tragen.» Im Alltag trägt Marion Müller eine Jaeger-LeCoultre, beim Sport und weil es praktisch ist eine Tissot T-Touch. In der kleinen eigenen Sammlung vorhanden sind zudem eine Techno aus dem Hause Gübelin sowie das eine oder andere Modell, das sie bereits in der Stifti gefertigt hat.
Und eine Swatch? Müller schüttelt verlegen den Kopf. Was soll sie sagen, damit sie nicht in Teufels Küche gerät? Sie gibt sich äusserst diplomatisch: «Nein, eine Swatch besitze ich nicht.» Der Blick verrät, dass sich daran in naher Zukunft auch kaum etwas ändern wird. Das habe aber nichts damit zu tun, dass die Plastikdinger qualitativ minderwertig wären, nein, nicht im Geringsten. Aber als traditionelle Uhrmacherin habe sie eben auch Berufsethos. «Ich liebe mechanische Uhren», schwenkt sie über auf die persönlichen Präferenzen, «wenn man spürt, wie es tickt, dann merkt man, dass eine Uhr lebt.»
Zeit, das sei für sie in erster Linie Materie, ein Bestandteil ihres Berufes. Und solange die Menschen sich nach dieser Masseinheit richten, wird ihr die Arbeit im Unikaten-Atelier nicht ausgehen. Die Freude daran wird kaum abhanden kommen. Trotz verändertem Kundenverhalten, trotz «Aldisierung». «Wenn wir ehrlich sind, braucht es doch gar keine Armbanduhren mehr, es gibt genügend Quellen, die die Zeit anzeigen: Kirchtürme, Computer, Handys zum Beispiel», bemerkt Marion Müller. «Aber eine Uhr ist eben viel mehr als ein praktisches Requisit, eine Uhr ist ein Schmuckstück.»
Gübelin Turbulences
Eine Taschenuhr für 680000 Franken
Die von Richard Daners und Marion Müller auf das 150-Jahr-Jubiläum des Hauses hin gefertigte Turbulences wird von Gübelin als Weltpremiere angepriesen. «Bislang nämlich hat es selbst unter Uhrmachern als unmöglich gegolten, einer Taschenuhr ein Tourbillon einzubauen, das sich in drei rechtwinklig zueinander stehenden Achsen dreht», schrieb das Unternehmen anlässlich der Präsentation des 680000 Fr. teuren Kleinodes. Das Tourbillon ist ein Mechanismus, der den Einfluss der Gravitationskraft auf Spirale und Unruh kompensiert. Dazu wird die gesamte Hemmung mit Unruh, Anker und Ankerrad in einen Käfig eingebaut, der sich - in der Regel einmal pro Minute - um sich selber dreht. Auf diese Weise gelingt es, Umwuchtfehler und Lagedifferenzen auszugleichen, wodurch sich die Ganggenauigkeit erhöht. Die Turbulences soll laut Marion Müller wenn überhaupt in einer maximalen Stückzahl von sieben Exemplaren gefertigt werden.
Die Präzise
Steckbrief
Name: Marion Müller
Funktion: Uhrmacherin Unikat-Abteilung Gübelin, Luzern
Alter: 40
Zivilstand: Unverheiratet
Wohnort: Zug
Hobbys: Segeln, Surfen, Schwimmen, Snowboarden
Karriere
1981-1985 Lehre als Horlogère complète bei IWC in Schaffhausen
1986-1987 Uhrmacherin bei Gameo, der Reparaturwerkstätte von Omega, Lausanne
1987-1988 Beyer Chronometrie, Zürich
1989-1995 Meister Uhren, Zürich
Seit 1997 Gübelin in Luzern, seit 2000 in der Unikat-Abteilung