Das Jahr 1977. «Rocky» gewinnt einen Oscar. Kurt Furgler wird Bundespräsident. Und Martin Scholl Banklehrling. Die Pläne des Berufsberaters sie waren eigentlich in eine ganz andere Richtung gegangen. Seis drum, nach den Schulferien der erste Arbeitstag: Von Geroldswil nach Zürich-Wipkingen. Kantonalbank.
«Der Filialleiter, er hat mir Eindruck gemacht, ich ihm wohl auch. Damals lief vieles noch auf der persönlichen Ebene, und man konnte sich seinen Ausbildungsplatz normalerweise aussuchen.» Normalerweise. Er aber sei spät dran gewesen bei der Evaluation, musste also nehmen, was übrig geblieben war im Angebot. ZKB-Filiale Wipkingen eben. Im Rückblick eine glückliche Fügung. Der Auftakt zu einer Karriere, wie es sie heute nur selten mehr gibt.
Die Tasche voller Geld
Stiftenarbeit anno 77: Münz zählen, Akten ordnen, bald Jahresabschlüsse tippen. Die Verantwortung steigt, mit ihnen die Erkenntnis, den richtigen Job gewählt zu haben, die Mechanik der Geldmaschinerie langsam, aber sicher zu begreifen. Zwischendurch immer mal wieder mit einem Plastiksack voller Bargeld an die Bahnhofstrasse, zum Hauptsitz, im 13er Tram. Bange Momente, die alsbald einer gewissen Routine gewichen sind. Scholl lacht: «So paradox es klingen mag, aber mit der Zeit habe ich die Angst vor den grossen Zahlen verloren, das Geld, es ist zu einer Materie geworden.»
Die Materie, sie bestimmt seit nunmehr 30 Jahren das berufliche Leben des Martin Scholl. Nach der Lehre auf der Karriereleiter eine Sprosse nach der anderen genommen. Einmal ZKB, immer ZKB. Büroarbeiter von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends; Kreditgeschäft, Leiter Firmenkundengeschäft, Leiter Privatkundengeschäft, Geschäftsleitungsmitglied, ab Januar 2008 und, er schwört, keinen Monat früher Nachfolger von Hans Felix Vögeli als Vorsitzender der Generaldirektion. Chef der drittgrössten Bank im Land.
Kein Bruch, keine Stufe je zurückgestiegen, zweimal lediglich ein abgesprochener Break, einer davon: New York! Beim Bankverein im World Trade Center, ein Stage. Scholls Augen funkeln heute noch, kommt er auf 1989 zu sprechen. Er, «der kleine Scholl, auf den nun wirklich keiner gewartet hat», im Big Apple.
Eine tolle Zeit sei das gewesen, eine spannende Arbeit, bei der er nicht einmal gross Verantwortung habe tragen müssen «ich bin ja schliesslich nur Stagiaire gewesen». Menschlich vor allem habe ihm dieses Jahr etwas gebracht, Kontakte. Und es hätte durchaus mehr daraus werden können, damals, in den USA. Doch eben: «Ich hatte mit der ZKB die Vereinbarung, dass ich zu ihr zurückkehren würde. Und ich halte mich in der Regel an Abmachungen. Moralische Verpflichtung, Sie wissen.» Moral ein grosses Wort.
Schön auf dem Teppich bleiben
Apropos: Herr Scholl, Banker rangieren auf Volkes Beliebtheitsskala mittlerweile irgendwo zwischen Journalisten und Politessen, ganz weit hinten also. Keine Angst vor Anfeindungen, vor Klischees, vor dem Stempel mit dem dicken «Abzocker» drauf? Martin Scholl, 45, verheiratet, Vater zweier Kinder, die Nadelstreifen auf seinem dunkelblauen Veston dezent, die Krawatte elegant, schüttelt den Kopf. Verweist zuerst auf seine Abstammung: Mittelständisches Elternhaus, drei Geschwister, mit 15 zum ersten Mal nach Italien in die Ferien, sechs Leute eingepfercht in einen alten Simca. Lacht, sagt, das präge, dieser Bezug zum ganz normalen Leben.
Dann zitiert er die Unternehmenskultur, die ihm mit den Jahren in Fleisch und Blut übergegangen ist wie anderen Leuten das genaue Timing der Kaffeepause. Die ZKB, sagt Scholl, halte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausdrücklich an, Mass zu halten. Und so fahre auch er als Chef einen «ganz normalen» Wagen. Welchen, das allerdings bleibt sein Geheimnis. Und wenn er geschäftlich einen Anlass besuche, so überlege er sich zweimal, ob er nun den Chauffeur bestelle oder nicht doch besser die öffentlichen Verkehrsmittel benütze. Luxus kenne bei ihm Grenzen. Eine schöne Uhr, gut, das gehöre dazu. Oder eine Ferienwohnung am Heidsee, in Valbella.
Martin Scholl weiss, dass er fortan vermehrt im Fokus der Öffentlichkeit stehen wird. Den Job des CEO tritt er nach eingehender Beratung mit der Familie an. Man habe sich ganz genau überlegt, was eine solche Funktion und die damit einhergehende Publizität für ihn und sein Umfeld bedeute, sagt er. Trotz Mehrbelastung will sich der im Limmattal aufgewachsene Sohn eines Alusuisse-Angestellten Zeit für die Familie, die Hobbys auch freihalten. Dann bleibe das Handy ausgeschaltet. Dieses Abstandnehmen und -halten bedeutet für ihn einen Gewinn an Lebensqualität. «Man muss sich auf seine Stellvertreter verlassen können.»
Der neue ZKB-Chef ist in seiner Art die Inkarnation seines Arbeitgebers, des staatlichen Finanzinstitutes, das sich seiner Nähe zu den Kunden, den grossen wie den kleinen, rühmt. Scholl wirkt geerdet, hat Humor, ist nahbar einer, den man sich gerne hinter dem Schalter als Gegenüber wünscht; freundlich, Vertrauen erweckend, kompetent. «Der Scholl», sagt Scholl, «steht ein für Nachhaltigkeit.»
Er erwähnt dies im Wissen darum, dass er das Steuer bei der ZKB salopp ausgedrückt im dümmsten Moment übernimmt. Seit Jahren schon geht es mit der Bank aufwärts. Irgendwann wird der Wind drehen. Was dann? Scholl zieht die Brauen hoch. «Dann werden wir die Lage analysieren, die Nerven behalten und uns umgehend daranmachen, die geeigneten Massnahmen einzuleiten.»
Erfahrung mit Krisen hat er in den vergangenen Jahren zur Genüge sammeln können. Börsencrash, Immobilienkrise etc., etc. «Wenn man so lange im Geschäft ist, wie ich es bin, dann hat das einen grossen Vorteil: Man lässt sich so rasch nicht mehr aus der Ruhe bringen.»
Von seinem Umfeld wird Scholl denn auch eine gewisse «Sturmerprobtheit» attestiert. «Wir», bemerkt er, «wissen doch alle, dass die Lage an den Finanzmärkten sich irgendwann wieder ändern wird, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.» Wann sie kommt, die Wende? «Das ist die One-Million-Dollar-Question!»
Freiheit gross geschrieben
Martin Scholl sieht sich als Teamplayer. Immer wieder betont er die Wichtigkeit der Zusammenarbeit. Er gewährt gerne Freiheit hasst es umso mehr, wenn sein Vertrauen missbraucht wird. Die ZKB will er nicht umkrempeln, sie jedoch weiter voranbringen. Konkrete Ziele allerdings kann oder möchte er zehn Monate vor der Amtsübernahme nicht bekannt geben.
Dass ihm nach drei Jahrzehnten Unternehmenszugehörigkeit ein gewisser «Stallgeruch» anhaftet, das stört ihn überhaupt nicht. Er sieht in diesem Umstand viel eher einen Beleg, dass er den richtigen Weg gegangen ist. «Man hat mir immer wieder neue Chancen zugestanden. Meine Aufgaben sind immer spannend gewesen, und einen vermeintlich Zeitpunkt, um abzuspringen, hat es schlicht nicht gegeben.» Scholl schmunzelt. Es sei so: «Ich bewege viel lieber, als dass ich bewegt werde.»
2007. Rocky steigt wieder in den Ring. Kurt Furgler ist Pensionist in St. Gallen. Und Martin Scholl wird zum Vorsitzenden der ZKB-Geschäftsleitung gewählt. Scholl sagt: «Ich bin stolz, dass ich das erreicht habe und der Bankrat mir das Vertrauen schenkt. Wenn es nach dem Berufsberater gegangen wäre, wäre ich heute Lebensmittelingenieur.»
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Zur Person: Steckbrief
Name: Martin Scholl
Funktion:Künftiger CEO derZürcher Kantonalbank
Alter: 45
Wohnort: Wangen, DübendorfFamilie: Verheiratet, zwei Kinder Ausbildung: Eid. dipl. Bankfachexperte, Executive Programm in Stanford
Karriere:
- 1977-1987Lehre und verschiedene Funktionen bei der ZKB
- 1988-1989 Bankverein, New York
- Seit 1990 verschiedene Führungsfunktionen bei der ZKB
- Seit 2002 Mitglied der Geschäftsleitung
- Ab 2008 CEO der ZKB
Führungsprinzipien
1. Vertrauen: Spielraum gewähren und Kompetenzen einräumen
2. Offenheit, Ehrlichkeit
3. Fordern und fördern
4. Have fun: Nicht Sauglattismus, aber Spass an der Arbeit
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Firma
Zürcher Kantonalbank
Seinen ersten Schalter hat das Geldinstitut am 15. Februar 1870 eröffnet. Mit 4300 Angestellten und einem Konzerngewinn von 937 Mio Fr. im Jahr 2006 ist die ZKB hinter UBS und Credit Suisse die Nummer drei im Schweizer Bankensektor.