BILANZ: Beginnen wir mit der Frage, die Sie angeblich am meisten hassen.

Martin Sorrell: Ich weiss, was jetzt kommt.

Wie geht es Ihrer WPP, dem zweitgrössten Werbekonglomerat der Welt?

Die Frage freut mich in der Tat nicht sehr. WPP ist ein gut ausgerichtetes Unternehmen mit Marketing- und Werbedienstleistungen. Unser Geschäft ausserhalb der Werbung macht 52 Prozent aus.

Marktkenner sagen, dass es in Ihrer Industrie kaum mehr etwas zu kaufen gibt. Sie pflegen aber durch Akquisitionen zuzulegen. Was bleibt Ihnen noch?

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Das ist eine kurzfristige Sicht der Dinge. Wir befinden uns in einer 100-Milliarden-Dollar-Industrie. 50 Milliarden fallen auf die Werbung, 50 Milliarden auf Marketingdienstleistungen. Wir decken ungefähr 7,5 Milliarden ab, das entspricht demnach 7,5 Prozent des Möglichen. Da ist noch sehr viel organisches Wachstum drin. Vielleicht beträgt unser Anteil auch 15 Prozent, weil wir in vielen Ländern 15, 2 Prozent Marktanteil besitzen.

In China sind Sie heute schon führend.

Wir sind gut positioniert und bereit für Wachstum. 2014 werden zwei Drittel der Menschheit in Asien leben. Wir werden da sein, denn wir haben eine klare geografische Strategie. Zwei Drittel unseres Geschäfts werden dereinst Marketingdienstleistungen sein. Ausserdem sind Informationsbeschaffung, Beratung und direkte, interaktive Werbung übers Internet die grossen Wachstumsbereiche.

Sie sind heute weltweit die Nummer zwei hinter Omnicom. Schmerzt Sie das?

Die Nummer eins zu sein, ist eine grosse Ehre. Aber es spielt nicht wirklich eine Rolle. Die besseren Talente und die bessere Qualität, also die bessere Arbeit, sind entscheidend.

Aber es schmerzt Sie dennoch, Zweiter zu sein. Das sieht man Ihnen an.

Was heisst das schon, Nummer zwei, Nummer drei? Nehmen wir das Bankgeschäft, im Besonderen die Investment-Banken. Ich nenne Ihnen Goldman, Morgan Stanley, Merryll Lynch, Citigroup. Sagen Sie mir, wer der Leader ist? Oder schauen Sie sich die Consultants an: McKinsey, BCG, Bain, Monitor sind führend. Im Retailgeschäft sind es Wal-Mart, Metro, Aldi. Fällt Ihnen etwas auf?

Nur, dass plötzlich Sie die Fragen stellen.

Es sind immer drei, vier oder fünf Unternehmen, die mit einigem Abstand an der Spitze stehen, egal in welcher Industrie. So ist es auch bei Marketingdienstleistungen. Also kümmert es mich nicht, ob ich auf Platz eins oder zwei bin. Wichtiger ist es, zu wissen, dass alle Leader Innovation brauchen, um ganz vorne zu sein. Innovation ist unser Lebenselixier. Deshalb muss man umgekehrt unbedingt einer der Leader sein. Ich weiss schon, was Sie hören möchten: Ob wir weiter kaufen werden.

Genau.

Wir begannen 1985 bei null. WPP bestand damals aus zwei Personen. Heute zählt WPP indirekt rund 70 000 Mitarbeiter und ist die vierzigstgrösste Unternehmung, die an der Londoner Börse gehandelt wird, wenn man die Marktkapitalisierung als Grösse nimmt. In Europa sind wir etwa auf Platz 110, weltweit vielleicht auf Platz 440. Wir sind in den top 500 der Welt. Das ist schon etwas.

Wenn die Unterschiede so klein sind, weshalb soll ich dann als Kunde zu WPP und nicht zu einem anderen?

Mich beschäftigt es nicht, Nummer eins zu sein, sondern vielmehr, dass unsere Marken gut sind. Es muss in unserer Industrie so etwas wie einen pawlowschen Reflex geben, der alle potenziellen Kunden zuerst sofort an unser Unternehmen denken lässt, wenn sie Dienstleistungen beanspruchen wollen.

Wer Marketing-Support sucht, soll also zuerst an WPP denken?

Nicht an WPP, das ist die Muttergesellschaft. Sondern an J. Walter Thompson, Hill & Knowlton, Burson-Marsteller, Young & Rubicam, Ogilvy & Mather, an unsere grossen Marken. Das Bild und die Realität müssen zeigen, dass all diese einzelnen Unternehmen, zusammengefasst im Netzwerk von WPP, besser sind, als wenn sie alleine stünden. Das ist das Ziel: Wenn Kunden Dienstleistungen verlangen, müssen sie an uns denken. Wenn ausgezeichnete Leute von Design-, Kunst- oder Wirtschaftsschulen kommen und Arbeit suchen, dann sollen sie zuerst zu uns kommen wollen. Wir wollen intern besser werden durch bessere Rekrutierungen, besseres Training, bessere Motivation, bessere Incentives. Das Externe, dass wir Leute stärker anziehen, das funktioniert dann als Folge davon.

Sie nennen diese Idee «integral communication advantage». Kann sie sich auch nachteilig auswirken?

Natürlich kann sie auch ein Nachteil sein, wenn man sie nach dem Skaleneffekt misst. Je grösser das Unternehmen ist, umso schwieriger wird die Koordination.

Was tun Sie dagegen?

An der Spitze müssen wir mehr koordinieren. Auf der Länderebene ebenfalls. Wir versuchen, unsere Leute effektiver miteinander arbeiten zu lassen.

Das klingt simpel.

Ist es aber nicht. Gerade auf lokaler, also nationaler Ebene nicht. Nehmen Sie als Beispiel Österreich, Deutschland oder die Schweiz. Die Schweiz ist ein relativ kleines Land. Es ist vergleichbar mit Chile in Lateinamerika. Aber auch da wollen wir eine bessere Zusammenarbeit unserer verschiedenen Unternehmen.

Das klingt immer noch einfach.

Glauben Sie mir: Unser grösster Feind kommt nicht von aussen. Er kommt von innen. Wenn unsere Unternehmen beginnen, sich selber gegenseitig zu bekämpfen, dann verlieren wir.

Operieren Sie mit einem Nationenmodell, das Kannibalisierungen ausschliesst?

Ja. Wir haben Ländermanager in Italien, in Australien, in der Andenregion, in Venezuela, Indien, China, den Niederlanden. Das ist kein Experiment, denn sehr viele Kunden beginnen nach lokalem Management zu verlangen. Da das Geschäft immer komplexer wird, wollen sie mit Ländermanagern zusammenarbeiten und nicht alles aus einer Hand haben.

Die alte Frage: Wie bewahren Sie sich den Vorteil des globalen Geschäfts, den Skaleneffekt, und wie bleiben Sie dennoch lokal verankert?

Diese Frage stellen sich in der Tat alle. In den letzten Jahren schwand die Bedeutung der Ländermanager.

Warum das?

Weil sie dazu tendierten, vieles alleine zu tun. Billiger ist es, die Erfahrung aus anderen Ländern zu übernehmen. In der Schweiz spüren Sie das doch auch. Da stellten sich die international tätigen Unternehmen vor einiger Zeit die Frage, warum sie noch einen separaten Mann für die Schweiz, einen für Deutschland und einen für Österreich brauchten. Sie fassten alle drei Länder zusammen und überantworteten sie einer einzelnen Person. Aber jetzt hat sich das geändert.

Wo?

Jetzt heisst es umkehren. Dasselbe gilt für Nordamerika. Oft werden unter der Schirmherrschaft der Nafta Kanada, die USA und Mexiko in einer Region zusammengefasst. Kritiker sagen, dass Mexiko Lateinamerika viel näher stehe als Kanada. Ein weiterer Faktor, der diesen Trend verstärkt: Wir können auf der politischen Landkarte das schnelle Wachstum der islamischen Bevölkerung verfolgen – sie wird die verlorene Bevölkerung genannt. Sie macht bald ein Drittel in der Welt aus. All diese regionalen oder lokalen Erscheinungen haben globale Auswirkungen. Es gibt globale Ähnlichkeiten, aber ebenfalls lokale Unterschiede. Wenn alles global wäre, wäre es leicht. Dann könnte man sich in einer City niederlassen und von da aus alles steuern. So geht das aber nicht. Man muss auch in den Regionen präsent sein und Globales und Lokales klug ausbalancieren.

Was, glauben Sie, kommt als nächste Entwicklung?

Die Rolle der Regionalmanager kommt unter Druck.

Macht das wirklich Sinn?

Rechnen Sie einmal mit: Ich habe als Regionalmanager hundert Büros unter mir. Alles was ich tue, ist, mich in einen Nebel zu begeben, der von einem Büro zum anderen zieht und undurchdringbar bleibt. Rechnen wir weiter: Für das Managen der 100 Büros bräuchte ich 250 Arbeitstage im Jahr, also zweieinhalb Tage pro Büro. Hätte ich fünfzig Büros, könnte ich fünf Tage pro Jahr und pro Büro aufwenden. Aber auch dann müsste ich jeden einzelnen Tag reisen und arbeiten. Das schafft keiner.

Ist das ein Abgesang auf Ihre eigenen Regionalmanager?

Wir haben einige wirklich brillante Regionalmanager. Ich weiss aber nicht, wie sie die Arbeit physisch überstehen. Es gibt viele Ausnahmen bei uns, aber die Idee der Regionalmanager ist fundamental falsch. Schauen Sie es einmal mathematisch an. Der durchschnittliche Overhead von WPP beträgt ungefähr 6,7 Prozent der Erträge. Das ist beinahe die Hälfte der Marge, die etwa 14 Prozent beträgt. Könnten wir den Overhead verkleinern, so wäre die Marge schnell bei 20 Prozent. Die Hälfte der Overheads ist regional gemacht – ich frage mich, ob wir das aufwenden müssen. Dieser Gedanke ist schmerzhaft für die Regionalmanager.

Im Zeitalter des realen globalen Geschäftes sollen ausgerechnet die Länder wieder an Bedeutung gewinnen?

Ich habe kürzlich mit dem neuen CEO einer Bank in New York gesprochen. Er hat als Erstes gleich einen neuen Chef für Australien eingesetzt. Warum? Weil das australische Geschäft kompliziert sei und weil er von nun an länderspezifisch arbeiten wolle. In den letzten fünf bis zehn Jahren sahen wir das Pendel hin zu einer starken Zentralisierung der Geschäfte ausschlagen. Ich finde, es schlug zu stark aus. Jetzt kommt es zurück. Aber reden wir nicht über globale Geschäfte.

Worüber möchten Sie reden?

Warum reden wir nicht über die Milliarden-Dollar-Marken? Kürzlich war ich in Taiwan in einer grossen Verpackungsunternehmung. Da sagten sie mir, dass sie sich auf ihre Kernmarke konzentrierten. Wie viel die wohl wert sei, fragte ich. Eine Milliarde Dollar? Sie sagten mir, die Frage mache keinen Sinn. Es sei nichts Magisches daran, ob der Wert eine oder zwei Milliarden Dollar betrage. Also fragte ich: Wo ist der Unterschied?

Und was antworteten die Leute?

Wichtig sei das Innere der Marke, das, was die Kunden wirklich kaufen. Das ist ein extremes Statement. Das Leben ist nicht so ordentlich und organisiert. Es ist vor allem das Managen von Unordnung, von Unterschieden, das Managen von Paradoxem. Ich muss Strukturen schaffen für global tätige Kunden und gleichzeitig für lokale. Ich muss die Marken innerhalb von WPP und das Unternehmen WPP managen. Das ist mein Job.

Reden wir über 2004. Das Jahr ist für Sie so gut wie gelaufen.

Noch ist es nicht vorbei. Das olympische Jahr mit den Präsidentschaftswahlen in den USA wird gute Resultate bringen. Was mich sorgt, ist das Danach.

Warum sorgen Sie sich?

Wer auch immer die Wahlen in den USA gewinnen wird, Kerry oder Bush, er wird ein schwieriges Problem angehen müssen. Die US-Regierung gibt heute sehr viel mehr Geld aus, als sie hat. Wenn man zynisch sein will, könnte man sagen, dass die Regierung das Geld ausgibt, weil sie wieder gewählt werden möchte. Ironischerweise haben wir einen republikanischen Präsidenten, der ein grosses Defizit anhäuft, und wenn Kerry gewinnt, einen Demokraten, der die fiskalische Verantwortung dafür wird übernehmen müssen. Ein grosses Defizit bedeutet einen schwachen Dollar und auch steigende Inflation.

Wie wird sich die kommende Sparübung in den USA auf WPP auswirken?

Wenn Sie mich fragen, ob die Einkünfte von WPP 2005 steigen werden, sage ich Ja. Wenn Sie mich nach den Margen fragen und meinen, Sie würden für WPP 2005 besser sein, sage ich auch Ja.

Also wird 2005 trotz US-Defizit alles gut?

Nicht für alle. Für WPP war das letzte Jahr sehr wichtig. 2003 war ein Jahr der Erholung. Wir haben uns eine gesunde Kostenstruktur erarbeitet. Die Einnahmen stiegen um ein oder zwei Prozent. Die Zahl der Angestellten sank um vier Prozent. Die Produktivität war sehr stark. Das ist eine sehr gute Basis für die Zukunft. Wir sind in guter Verfassung.

Noch eine letzte Frage: Haben Sie eine Lieblingsanzeige?

Wenn ich darauf antworte, werde ich erschossen.