Von ihrer «Kommandobrücke» aus können die Angehrns ein Schlaraffenland mit mehr als 20 000 Artikeln überblicken. Der Hauptsitz in Gossau SG wurde so konzipiert, dass der erhöhte Bürobereich freie Sicht auf die grosse Zentrallogistik bietet. Pausenlos werden Waren verschoben. Es sieht aus, als wären die Männer auf den Gabelstaplern ferngesteuert. Sie drehen unentwegt ihre Runden und wissen genau, wo es zwischen den Warenschluchten wieder Lücken gibt.
In dieser Atmosphäre fühlen sich Martin und Thomas Angehrn sichtlich wohl. Hier haben sie bereits als Schüler in der Freizeit ihr Taschengeld aufgebessert. Aber es hat eine Zeitlang gedauert, bis sie nach ihren Lehr- und Wanderjahren wieder zurückgekehrt sind.
«Unser Vater hat unsere Berufswahl in keiner Weise beeinflusst. Das haben wir sehr geschätzt», sagt Martin Angehrn. Eigenartigerweise haben aber beide Brüder das gleiche Studium gewählt: Sie liessen sich zum ETH-Betriebs-Ingenieur ausbilden. Die beiden ergänzen sich in ihren Ausführungen – egal ob es um das tägliche Geschäft, um die Zukunftspläne oder um die Erfolgsrezepte dieses Unternehmens geht. Das fällt auf: Jeder lässt den anderen ausreden, keiner fällt dem anderen ins Wort oder korrigiert ihn.
Gleiche Denkansätze
Dieser Respekt ist nicht selbstverständlich unter Brüdern, die gemeinsam ein Geschäft in einem immer härter werdenden konkurrenziellen Umfeld führen. Wie lässt sich diese Harmonie erklären? «Das hängt auch damit zusammen, dass wir – als Folge desselben Studiums – gleiche Denkansätze haben», sagt Thomas Angehrn. Hinzu kommt, dass sich die beiden in ihren beruflichen Neigungen ergänzen. Thomas Angehrn ist vor allem für Einkauf und Logistik zuständig, in einem Cash-und-Carry-Betrieb eines der Schlüssel-Departemente.
Was hier nach der Lieblingsdevise «Low Tech – high Brain» aufgebaut wurde, ist im Abholgrosshandel einmalig: Zwar verfügt auch die Konkurrenz über einen vollcomputerisierten Lagerzyklus, der so optimiert ist, dass jede auch nur geringste Änderung umgehend allen notwendigen Stellen bekannt wird. Aber Cash+Carry Angehrn (CCA) ist als einziger in der Lage, sämtliche Standorte von einer einzigen Zentrale aus zu beliefern.
«Zwei- bis dreimal pro Tag fahren Lastenwagen von Gossau aus im Shuttle-Takt in alle Himmelsrichtungen», beschreibt er seine Logistiklösung, die gemäss Martin Angehrn, er ist zuständig für Verkauf und Marketing, enorme Kostenvorteile bringt.
Die Kunden nicht betrügen
Wenn die beiden über ihre Zuständigkeitsbereiche reden, tun sie das ohne Stolz, obwohl sie allen Grund dazu hätten. Ihre Antworten auf Fragen sind präzis, Redundanz wird vermieden. Man sieht sich zwei bescheidenen, nicht ins mediale Scheinwerferlicht drängenden Schaffern gegenüber. Dabei kaufen heute immerhin mehr als 20 000 Kunden aus dem Gastgewerbe und aus dem Detailhandel regelmässig bei CCA ein.
Martin und Thomas Angehrn haben immer eine Vorreiterrolle eingenommen, wenn es darum ging, dem Unternehmen einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. CCA war der erste Abholmarkt, der den Strichcode und später auch noch die «Cash»-Funktion für bargeldlose Bezahlung einführte. Dieser Drang nach zukunftsbezogenen Denkweisen scheint sich in den Genen der beiden Brüder fortgepflanzt zu haben. Zu diesem Erbe gehört auch ein Satz von Urgrossvater Albert Angehrn: «Schaffe Vertrauen, dann erledigt sich der Rest von selbst. Einer der bescheisst, verkauft nur einmal.»
Jahrzehnte später tönt es ähnlich: «Cash+Carry Angehrn verfolgt langfristige Ziele. Wenn die Leistungen für die Profi-Kunden stimmen, kommt der Rest von selbst», sagen die beiden. Wenn sie über Zukunftsprojekte im Abholgrosshandel reden – dazu gehört auch die Eröffnung neuer Standorte –, weht immer ein Hauch Pioniergeist mit.
Dabei waren sie vor ihrem Eintritt ins väterliche Unternehmen in ganz anderen Gefilden tätig, Martin in der Verpackungsbrache, Thomas war Direktionsmitglied der damaligen SBG. «Als uns unser Vater zusammen an Bord holen wollte, brauchten wir schon etwas Bedenkzeit. Aber wir haben unseren Entschluss noch keine Sekunde bereut und ergänzen uns bestens», sagen sie. Das spürt sofort, wer sie beobachtet und mit ihnen spricht.
Wie ein Puzzle scheinen sich auch ihre Temperamente zusammenzufügen: Thomas Angehrn wirkt auf den Besucher eher ruhig, sein Bruder eher extrovertiert. Die Arbeitsaufteilung könnte idealer nicht sein. Gemeinsam ist den Brüdern, dass ihre Aussagen von Besonnenheit zeugen. Das mag damit zusammenhängen, dass sie schon jung grosse Verantwortung übernommen haben.
Noch etwas hat bestimmt dazu beigetragen, dass sie schon bald nach ihrem Debüt im Familienbetrieb einen eigenen Führungsstil entwickeln konnten. «Das war vor allem deshalb möglich, weil unser Vater – als er uns 1998 das Geschäft anvertraute – die operative Leitung echt und nicht einfach nur pro forma abgab und uns machen liess. Dass ist alles andere als selbstverständlich. Wir rechnen ihm das hoch an», betonen Thomas und Martin Angehrn.
Geschickte Allianzpolitik
Wenn auch vieles darauf hindeutet, dass Martin und Thomas Angehrn die bewährten Geschäftsgrundsätze ihrer Vorfahren hoch achten, haben sie trotzdem mit einer geschickten Allianzpolitik eine neue Ära eingeläutet – ohne davon viel Aufhebens zu machen. Auch hier: Wer mit den beiden spricht, wird das Gefühl nicht los, dass sie überhaupt nicht darauf aus sind, von sich reden zu machen, sondern lieber einfach handeln. Dabei ist die Liaison mit Migros und Volg ein Meilenstein in der Firmengeschichte, der aufhorchen lässt. «Mit Volg verbindet uns, dass wir Dorf- und Quartierläden stärken wollen», sagt Martin. Volg-Chef Ferdinand Hirsig sagt seinerseits über die neuen Partner: «Uns ist gemeinsam, dass wir uns auf das Kerngeschäft konzentrieren und nicht ständig die Strategie ändern, nur weil das vielleicht lukrativ wäre.» Was die 30%ige Beteiligung der Migros an CCA angeht, ist die Stossrichtung klar: Zusammen mit Scana kann das Einkaufsvolumen erhöht werden, und zudem können die Migros-eigenen Produktionsbetriebe noch besser ausgelastet werden.
Am liebsten reden die Angehrns über das Unternehmen und weniger über sich selber. Beide sind passionierte Familienväter und beide wohnen in Äquidistanz zu Gossau, der eine in Teufen, der andere in Herisau. Was die Hobbys angeht, ergeben sich erstaunlicherweise Parallelen – im Gegensatz zu den beruflichen Neigungen: Beide lieben sie das Experimentieren im kulinarischen Bereich, was man ihnen dank verschiedenster Aktivitäten zu Wasser und zu Land nicht ansieht.
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ZUR PERSON
Steckbrief
Name: Thomas Angehrn
Funktion: Geschäftsleitung
Geboren: 1955
Wohnort: Teufen
Familie: Verheiratet, drei Kinder
Karriere
- 1975–1981 Studium ETH Zürich, Praktika in der Schweiz, Militärdienste
- 1982–1988 Zentrales Rechnungswesen, Informatik UBS
- 1989–1991 Stabsfunktion Generaldirektion UBS
- 1992–1993 Konzern-Controlling, Direktionsmitglied UBS
- 1994–1997 Einstieg CCA mit Leitung Einkauf, Controlling
- Seit 1998 Geschäftsleitung CCA
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Steckbrief
Name: Martin Angehrn
Funktion: Geschäftsleitung
Geboren: 1963
Wohnort: Herisau
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Karriere
- 1982–1989 Studium ETH Zürich, Praktika in der Schweiz und in London, Militärdienste
- 1989–1992 Verkaufsingenieur in der Verpackungsindustrie (Schweiz, Europa und USA)
- 1993–1995 Einstieg in CCA als CCA-Leiter in Emmen, Luzern
- 1996–1997 Leitung Bereich Verkauf
- Seit 1998 Geschäftsleitung CCA
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Führungsprinzipien
1. Menschen und sich selber entwickeln.
2. Positiv denken und handeln.
3. Gute Resultate machen Freude.
4. Gute Lösungen sind einfach.
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Firma
C+C Angehrn
CCA ist der zweitgrösste Abholgrosshändler der Schweiz. An acht Standorten wird ein Vollsortiment für den Lebensmittel-Detailhandel und das Gastgewerbe angeboten. Zwei weitere Standorte sind geplant. Die Firma ist in Familienbesitz, seit 2007 ist die Migros Mitaktionärin (30%). 320 Beschäftigte, 350 Mio Fr. Umsatz.