Sie verabschieden sich als CEO auf Ende Jahr von der Generali. Die Bilanz 2004 wird Ihr 30. Abschluss sein. Inwiefern hat sich die Versicherungslandschaft in den letzten 30 Jahren verändert?

Martin Zellweger: In den 70er Jahren war noch alles reguliert. Die Verbände hatten das Sagen. Wir begannen 1975, daraus auszubrechen. Das war damals fast sensationell. Wir haben Mail-Order-Business und Direktverkauf gemacht. Das geriet den Verbänden und der Konkurrenz in den falschen Hals. Man hat unser Verhalten knapp toleriert. Ab 1993 wurde dann echt liberalisiert. Das war für uns die Chance, überdurchschnittlich zu wachsen. Heute schlägt das Pendel zurück. Die Tendenz, die Dinge zu deliberalisieren, wird spürbar. Vielleicht sind wir in einigen Jahren wieder gleich weit wie in den 70er Jahren. Nur ist es jetzt der Staat, der regulierend eingreift.

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Schlägt das Pendel zurück, weil die Versicherer den Bogen überspannt haben?

Zellweger: Wenn ein Unternehmer die Freiheiten, die ihm der Markt und das Aufsichtsrecht gibt, nicht ausnutzt, macht er einen schlechten Job.

Sie waren das Enfant terrible der Branche?

Zellweger: Eine Zeit lang schon.

Haben Sie das gespürt?

Zellweger: Klar. In den 70er Jahren wurden wir ausgelacht und angefeindet. Wir hatten Verbandsprobleme. Die Anerkennung kam erst nach 1985, als wir an die Börse gingen. Ausgelacht worden sind wir auch vor drei Jahren wieder, als wir aus dem Geschäft mit der beruflichen Vorsorge ausgestiegen sind. Dabei war das etwas vom Gescheitesten, das wir gemacht haben.

Den Schritt bereuen Sie nicht?

Zellweger: Auf gar keinen Fall. Darüber könnten wir lange philosophieren ?

Nur zu ?

Zellweger: Ich meine, man sollte dem Staat lassen, was des Staates ist. Und man sollte liberal lassen, was nicht des Staates ist. Das Korsett der beruflichen Vorsorge wird immer starrer, unbeweglicher und enorm teuer. Vor allem aber überträgt man die engen Maschen des obligatorischen Teiles auf den überobligatorischen Teil. Meines Erachtens müsste man den obligatorischen Teil standardisieren, vereinfachen, verbilligen. Ob das der Staat oder eine öffentlich-rechtliche Anstalt durchführt, ist völlig egal. Den überobligatorischen Teil aber müsste man komplett von der obligatorischen Vorsorge trennen und völlig dem Markt überlassen.

Sie waren auch bei fondsgebundenen Lebensversicherungen Frontrunner und sind heute Marktleader. Ist es richtig, wenn die Leute das sauer Ersparte in Lebensversicherungen stecken, die vom Aktienmarkt abhängig sind?

Zellweger:Wir geben Garantien ab, wenn Versicherte die Policen bis zum Schluss halten.

Über 20 oder gar mehr Jahre garantieren Sie eine Rendite von 1 bis 2%. Das gleicht nicht einmal die Inflation aus ?

Zellweger: Man kann nicht den Fünfer und das Weggli haben. Aus Konkurrenzgründen galt früher: Alle Gewinne den Versicherten, alle Verluste den Aktionären. Man hat über Jahre Buchgewinne, ich betone, Buchgewinne, den Versicherten gutgeschrieben. Dann kam der Börsencrash. Die Aktivseite fiel zusammen, die Versprechen auf der Passivseite konnte man nicht mehr zurückholen. Wer heute bereits wieder nach höheren Zinsgarantien schreit, hat schon wieder vergessen, dass man Buchgewinne nicht ausschütten darf! Oder er beweist, dass er nichts von Versicherungen versteht.

Meinen Sie die Politiker?

Zellweger: Ich rede von den Verantwortlichen.

Wie erklären Sie es sich aber, dass beim Ombudsmann für Privatversicherungen überdurchschnittlich viele Anfragen fondsgebundene Versicherungen betreffen?

Zellweger: Solange ich nicht weiss, welche Art fondsgebundener Versicherungen gemeint sind, kann ich das nicht kommentieren. Es gibt drei Arten von fondsgebundenen Versicherungen. Oft werden diese in einen Topf geworfen. Viele denken nur an Aktien, das ist falsch. Andere meinen, es seien alles Einmaleinlagen. Auch falsch. Denn es gibt auch die fondsgebundene langjährige Versicherung, die mit Monats- oder Jahresprämien bezahlt wird. Hier sind wir tätig. Durch den regelmässigen Zufluss von Neugeld können wir Börsenschwankungen glätten.

Gemäss Ombudsmann scheinen viele Verkäufer solcher Policen den Kunden mehr zu versprechen, als wirklich drin liegt ?

Zellweger: Man kann gar nichts versprechen! Die Performance hängt ja vom Kapitalmarkt ab.

Sie haben angekündigt, trotzdem wieder konventionelle Sparversicherungen anzubieten. Eine Abkehr von den fondsgebundenen Versicherungen?

Zellweger: Überhaupt nicht. Wir sind aber im Begriff, ein Produkt zu lancieren, das nur als konventionelles Konstrukt möglich ist. Es geht um eine Pflegeversicherung, für den vierten Lebensabschnitt quasi, wenn der Mensch Hilfe braucht. Für diese Lebensphase gibt es noch kein einziges Versicherungsprodukt. Wir werden damit voraussichtlich im August auf den Markt kommen.

Was ist daran so speziell?

Zellweger: Das verrate ich nicht.

Das Geschäft läuft nach wie vor gut?

Zellweger: Wir haben fünf unerhört gute Jahre hinter uns, wenn nicht zehn. Seit wir eben fondsgebundene Versicherungen machen. Wir wuchsen jedes Jahr um rund 15%, im letzten Jahr gar um 18%. Die Versicherungsproduktion im ersten Halbjahr 2004 war etwa gleich gut wie im ersten Halbjahr 2002. Punkto Ergebnis bin ich für 2004 zuversichtlich.

Dann wird 2004 ähnlich wie 2003 ausfallen?

Zellweger: Ja, doch das seit Jahren starke Wachstum kann in der kleinen Schweiz nicht ewig so weitergehen. Die Bäume werden nicht in den Himmel wachsen. Aber solange sie wachsen, lassen wir sie wachsen.

Im Moment steigen die Zinsen an, und die Aktienkurse der Versicherungen sinken. Profitieren Versicherer nicht von Zinssteigerungen?

Zellweger: Die Zinssteigerung beträgt bis jetzt gerade mal ein halbes Prozent. Ob man das schon extrapolieren kann, ist die eine Frage. Die andere Frage hängt vom Gesichtspunkt ab: Eine Zinssteigerung ist sowohl für die Produkte wie den Markt gut. Aber nicht für alle Bilanzen, je nach Rechnungslegungsvorschriften. Aber Ihr Befund stimmt schon: Die Versicherungsaktien leiden. Dabei reagiert der Markt immer noch so, wie Sie ihre Frage formuliert haben. Die Anleger werfen alle Versicherungsaktien in einen Topf, obwohl das falsch ist. Die Unterschiede der Versicherer bezüglich der Zusammensetzung des Portefeuilles werden von den Investoren nicht honoriert.



Der Free Float der Generali beträgt nur 30%. Das macht Ihre Aktie wenig interessant. Wann übernimmt die italienische Generali die Schweizer Tochter ganz?

Zellweger: Es gibt keine Pläne.

Stört Sie der tiefe Free Float nicht?

Zellweger: Wir haben viel von unserem Wachstum über den Kapitalmarkt finanziert. Ich denke an die Fusionen: Wir haben Secura, Union Suisse, Familia und Fortuna in die Generali geführt. Wir haben dabei von der Kotierung profitiert. Zudem sage ich immer: Gott erhalte mir einen Hauptaktionär!

Wieso?

Zellweger: Weil man sich so besser auf das eigentliche Geschäft konzentrieren kann. Man muss nicht dauernd auf die Börse schielen ?

Wären Sie eine 100%ige Tochter, müssten Sie überhaupt nicht mehr schielen ?

Zellweger: Richtig.

Die Kapitalsituation bei der Generali hat sich 2003 entschärft. Die finanzielle Unterstützung durch das Mutterhaus beläuft sich auf 420 Mio Fr. Wollen Sie dieses Kapital in Eigenmittel umwandeln?

Zellweger: Viele Firmen haben den Börsencrash mit einer Kapitalerhöhung aufgefangen. Das ist - und bleibt - enorm teures Geld, weil die Kurse sehr tief waren. Wir haben mit unserem Mutterhaus in Triest einen Weg gefunden, mit nachrangigen Darlehen die Mittel billiger zu erhalten. Diese können wir sukzessive amortisieren. Ob in ferner Zukunft eines dieser Darlehen in Eigenkapital umgewandelt wird, weiss heute niemand.

Sie übergeben die operative Führung der Generali Ende 2004 ihrem Nachfolger Alfred Leu. Die Nachfolgereglung klappt in vielen Firmen nicht reibungslos. Was haben Sie besser gemacht?

Zellweger: Ein CEO hat zwei Todfeinde: Den Vorgänger und den Nachfolger. Diese Situation muss man umschiffen. 1987 habe ich sechs Juristen eingestellt und mit diesen ihre Zukunft diskutiert. Einer davon wird nun mein Nachfolger, ein anderer Stellvertreter. Mein Nachfolger hat Marketing gemacht, Verkauf, Hypotheken, Verwaltung, EDV, einfach alles. Zwischen 1999 und 2003, in der all die Fusionen liefen, habe ich mich um die Strukturveränderungen gekümmert. Den Jungen habe ich den Rücken frei gehalten für das Tagesgeschäft. Jetzt sind sie bereit.

Sie bleiben weiterhin Präsident. Damit kontrollieren Sie das, was Sie selbst in die Wege geleitet haben. Sind Sie kritisch genug?

Zellweger: Sie müssen da einen grossen Unterschied machen zwischen Gesellschaften, die einen Hauptaktionär haben, und solchen, die unabhängig sind. Bei uns rapportiert der CEO direkt an den Hauptaktionär. Ich ziehe mich zurück. Heute sage ich, wann ich nicht ins Büro komme. Ab dem Neujahr sag ich nur noch, wann ich komme.

Sie preisen die Qualität Ihres Nachfolgers. Wie gut sind die Manager von Schweizer Versicherungen heute im Vergleich zu früher?

Zellweger: Besser als auch schon. Die Zeit ist vorbei, wo man sagte, es sei egal, ob jemand Lokomotiven, Autos, Weggli oder Versicherungen managt.

Dürfen wir bald ein Buch erwarten: 30 Jahre Generali oder so?

Zellweger: Es gäbe zwar viel zu berichten - aber interessiert das auch wirklich jemanden?