Die alten Zeiten kann niemand festhalten. Marius Hayoz lässt die schwere Eisentür zur Fabrikhalle ins Schloss fallen. Stickige Luft aus feuchten Räumen dringt mit ihm hinaus in die Junihitze. Einst sog Hayoz hier, im Herzen von Freiburg, den wohligen Biergeruch der Brauerei Cardinal ein. 2010 endete die Geschichte des Wahrzeichens der Stadt – genauso wie 33 Jahre Arbeit von Hayoz bei Cardinal. Mutterfirma Feldschlösschen schloss die Fabrik, und der einstige Technikchef der Brauerei ging mit 60 Jahren in Pension. Nun schaut er für die Stadt jede Woche nach Defekten in den verwahrlosten Hallen, aus deren Wänden Wasserleitungen in leere Gemäuer ragen, als suchten sie die abgerissenen Abfüllbänder für Tausende Cardinal-Flaschen.
«Es ist gut jetzt», sagt Hayoz, er hat genug getrauert. «Wir müssen in die Zukunft sehen.» Sie sitzt gleich nebenan. In einem Seitenflügel des alten Hauptgebäudes pulsiert neues Leben. Neuerdings blickt Hayoz bei seinen Rundgängen in die Gesichter junger Unternehmer, die sich in provisorisch renovierten Räumen der Brauerei einnisten. Stadt und Kanton haben das Areal gekauft. Sie haben einen Traum: In den nächsten fünfzehn Jahren soll sich das alte Werksgelände Stück für Stück zu einer modernen Ideenfabrik aus Glas und Stahl wandeln, in die Bluefactory – 53 000 Quadratmeter Zukunft.
Während Europas Staaten ihre Schuldenprobleme abarbeiten, feilen die Schweizer an ihrem kleinen Wirtschaftswunder. Das World Economic Forum (WEF) führt die Schweiz als wettbewerbsfähigstes Land der Erde. «Weltmarktführer bei Innovationen» nennen die renommierte Businesshochschule Insead und die Uno-Weltorganisation für geistiges Eigentum die Schweiz. Bisher unveröffentlichte Prognosen des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Basel zeigen: Bis 2025 soll das Bruttoinlandprodukt um 134 Milliarden Franken steigen, um ein Fünftel, verglichen mit heute. Wenn alles gutgeht. Das Aufgabenheft ist voll, um die nächsten fünfzehn Jahre top zu bleiben. Der BILANZ-Masterplan zeigt in fünf Thesen, was das für die zentralen Themen Schlüsselbranchen, Standort, Mobilität, Arbeitsmarkt und Energie heisst (siehe Nebenartikel).
«Manche halten die Schweiz für eine Insel der Glückseligen. Die Realität ist nicht ganz so. Wir hatten in den vergangenen Jahren einen Superzyklus», sagt Oliver Adler, Chefökonom der Credit Suisse. Jetzt allerdings wandelt sich die Weltwirtschaft schneller als je zuvor, braucht es Ideen am Fliessband, um mitzuhalten. Bisher konnte die Schweiz Schwächen wegstecken, künftig lasten sie schwerer. Denn die weltweite Krisengefahr und damit die Risiken steigen. Umso mehr machen Wirtschaftsführern und Wissenschaftlern Anzeichen Sorgen, dass die Gesellschaft an Zusammenhalt verliert, die Schweiz sich auf der Weltbühne zu wenig durchsetzt und, eingelullt vom Wohlstand, Beschlüsse gegen die Unternehmer gefällt werden.
Für den nötigen Schub in Freiburg sorgt Beat Vonlanthen. Der Volkswirtschaftsdirektor des Kantons will, dass sich die Bluefactory in den nationalen Innovationspark einklinkt. Das im Juni schweizweit auf den Weg gebrachte Kooperationsnetz soll zur Ideenschmiede des Landes werden, mit den Hochschulen ETH Zürich und EPFL in Lausanne als Basis. Jahrelang von der Landwirtschaft geprägt, mache sich Freiburg auf, technologisch in der Zukunft mitzuspielen, sagt Vonlanthen. Das Aus für die Cardinal-Brauerei – «das war auch ein Sprung vom alten ins neue Jahrhundert».
Hochofen Schweiz. Ein Sprung, der vielen Regionen und Branchen bevorsteht. Es kommt darauf an, das Tempo zu halten, obwohl die wichtigste Wohlstandsbasis schwindet. Bisher trug der Bevölkerungszuwachs das Schweizer Wachstum. Doch die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter steigt immer weniger, mehr über 65-Jährige leben künftig im Land. «Jetzt muss der Produktivitätsschub der Treiber werden», sagt Martin Eichler, Chefökonom der BAK Basel. Dann stiegen ähnlich stark auch die Löhne, und das Wachstum des Bruttoinlandprodukts drehe nach einer leichten Schwäche ab 2015 im Schnitt auf jährlich 1,7 Prozent hoch.
Das Geschäftsmodell Schweiz ist intakt, der Wirtschaftsmotor läuft vorerst. Zwar hat die Bankenkrise das Land aufgerüttelt, vom Schwarzgeld müssen sich die Finanzinstitute reinwaschen. Sie verlieren geschätzt über 700 Milliarden Franken Vermögen, die laut Broker Helvea schwarz auf Schweizer Konten liegen. Doch sosehr die Schweiz als Bankenmekka gilt: Banken und Versicherungen bringen nach der Bundesstatistik nur rund zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts – die Basis der helvetischen Stärke liegt in der Industrie. Und die floriert.
Obwohl sie klein ist, zieht die Schweiz multinationale Konzerne an. Sie bestreiten ein Drittel des Wirtschaftswachstums. Stabile Unternehmen wie Nestlé, ABB, Roche und Novartis bilden auch künftig die Wachstumspfeiler. Eine Armada von Firmen in Maschinenbau, Medizinaltechnik, dem Bau und der Uhrenproduktion polstern das Wirtschaftsfundament aus. Das Exportland Schweiz profitiere vom Swissness-Faktor, betont etwa Georg-Fischer-Chef Yves Serra. «Die Schweiz ist ein Symbol für Zuverlässigkeit, Qualität und Innovation.»
Die Industrie rund um Pharma, Maschinenbau und Elektrobranche ist aus Sicht von BAK-Ökonom Eichler das Rückgrat der Schweiz. Der Gesundheitssektor etwa wird die Trendindustrie der nächsten Jahrzehnte – die steigende Zahl älterer Menschen in Europa treibt die Gesundheitsausgaben. Bis 2025 kommen auf 100 Menschen zwischen 20 und 64 Jahren in der Schweiz 38 Einwohner ab 65 Jahren. 2010 waren es zehn weniger. Zugleich steigt in Schwellenländern die Nachfrage nach Medizin, genauso wie nach Nahrungsmitteln.
Eine typische Schweizer Art hilft den Konzernen auf dem Weg in die aufstrebenden Länder: sich lieber anzupassen. Als McDonald’s nach Asien expandierte, prallten die Amerikaner mit ihren Burgerbuden an der Reisliebe der neuen Kundschaft ab. Nestlé-Chef Paul Bulcke dagegen lotete lange die Essensvorlieben der Chinesen aus, bevor der Konzern seinen Nescafé in die Regale stellte. Resultat: Kaffees, so süss, dass Europäer nicht mal vermuten würden, eine Kaffeebohne habe das Getränk berührt. Und doch – den Chinesen schmeckts.
Auf diesen Stärken müssten Schweizer Firmen aufbauen, findet Beatrix Morath, Managing Partnerin bei Roland Berger Strategy Consultants. «Es gibt viele Firmen, die Anfangserfolge in China, Südostasien und Indien haben, aber nicht den grossen Durchbruch schaffen.» Manche passten ihre Geschäftsmodelle zu wenig an die lokalen Märkte an.
Wie sehr die Wandlungsfähigkeit sticht, zeigt sich gerade bei den Banken. Im Finanzsektor wird es einige Jahre schwierig sein, doch langfristig erwartet BAK Basel dort gutes Wachstumspotenzial. Die derzeitige Sinnkrise sieht Bankenmanager Adrian Künzi geradezu als Chance für seine Branche. «Es führt kein Weg mehr zurück in die alte Welt des Private Bankings, das von hohen Margen, Gewinnen und Boni geprägt war», sagt der Chef der Privatbank Notenstein. «Aber dies wird ein reinigender Prozess für unsere Branche.» Er führe zurück zu Bodenständigkeit und zwinge zu Innovationen. Dafür werden die Banken auch ihre Kosten dramatisch senken, die Bankerlöhne etwa werden deutlich fallen.
Neuer Uhrentick. Imposant, wenn Nick Hayek zeigt, wie man Alt mit Neu verknüpft, seine traditionsreiche Uhrenmanufaktur mit der Zukunft. Ein altehrwürdiges Haus haben der Swatch-Chef und seine Schwester Nayla dafür gewählt. Geschwungene Drehtüren im Eingang, Säulen in den Hallen und ein Blick auf die modernste Skyline der Welt: Shanghai. An der Promenade entlang des Huangpu-Flusses haben sie das Swatch Art Peace Hotel eröffnet, das in Workshop-Apartments Künstler einquartiert, ausgesucht etwa von der Basler Kunstsammlerin Esther Grether, Schauspieler George Clooney und den Hayeks. Obwohl kaum Zimmer für Hotelgäste übrig sind, gewann Swatch mit dem Hotel gerade den Daring Design Award des Londoner Lifestyle-Journals «Tatler».
Das schwebt dem 63-jährigen Hublot-Präsidenten Jean-Claude Biver für die Branche vor: der Bund von Uhrmacherkunst und Zeitgeist. Vor Jahren haben sie den Trend zu digitalen, billigen Zeitmessern verpasst, jetzt heben die Schweizer Uhrenfirmen ab. «Wir sind das einzige Land mit einem Produkt ohne Konkurrenz in der Welt – den Schweizer Uhren», sagt der Präsident der Luxusuhrenfirma aus Nyon, dessen Weg zu Audemars Piguet, Blancpain, Omega und Swatch führte. Asiatische Rivalen kommen nicht an die Schweizer Preisklasse heran. «Das müssen wir verteidigen», warnt Biver. «In den nächsten fünfzehn Jahren werden die jungen Leute von heute am Steuer sein, mit vielleicht ganz anderen Ansprüchen, als wir sie heute haben. Die Uhr darf künftig nicht mehr nur ein Zeitmesser sein, sondern muss zur Mode gehören.»
Hohe Ziele, schöne Ideen – wenn der Schweizer mitspielt. Sorgen machen sich breit, dass der Wohlstand den Eidgenossen zu Kopf steigt. «Die Schweiz muss ihre erfolgreichen und innovationsfreundlichen Traditionen bewahren», mahnt Novartis-Chef Jimenez. Der Schweizer Think Tank Avenir Suisse stellt fest, dass die Reformbereitschaft sinkt. «Viel zu stark herrscht das Gefühl vor, dass es uns ja gutgeht und damit der Status quo ausreicht», sagt Avenir-Suisse-Vizepräsident Andreas Müller. Während die Schweiz aus der Stagnation der neunziger Jahre mit Reformen die richtigen Wege eingeschlagen hat, ruht sie sich nun zu sehr aus. Mit einem Buch, voll mit 44 Ideen für die Schweiz, will Avenir Suisse den Wandel anstossen – etwa eine fundamentale Steuerreform oder eine neue Finanzierung der Sozialwerke.
Fehlende Freiheit. Im Sommerhaus der Solothurner Vigier-Stiftung mit seinen Ecktürmchen und Flügelbauten brachte Swatch-Chef Nick Hayek die liebliche Stimmung am 21. Juni zum Krachen. Bei der Preisverleihung für Jungunternehmer liess er nach einem freundlichen Start ein deftiges Gepolter los: Die Schweiz sei prädestiniert für Unternehmer, lobte Hayek erst, föderalistisch, pragmatisch im Problemelösen, die Sozialpartnerschaft funktioniere, das Bildungssystem sei «einfach fantastisch». Aber dieser Basis drohe Gefahr. Verwaltungsbeamte, Buchhalter, Juristen hätten durch eine «Armee von Regeln» eine Kultur der Verbotsschilder eingerichtet, wollten standardisieren, wo es Vielfalt brauche. «Wir befinden uns an einem Scheideweg. Wollen wir alles über Vorschriften regeln, oder wollen wir eine Unternehmerkultur mit den nötigen Freiheiten und Überraschungspotenzialen aufbauen?»
Gerade die Faktoren scheinen in Gefahr, die aus Sicht von Novartis-Chef Joe Jimenez der Schweiz Kraft geben. Nicht die niedrigen Steuern, das ausbalancierte Staatsbudget, das organisierte und international angebundene Verkehrsnetz sind für ihn die Hauptstärken. Es sind «eine offene und liberale Wirtschaft, das stabile Rechtssystem, die gut ausgebildete Bevölkerung, starke Schulen und die hohe Lebensqualität, die sich in einer intakten Natur und in einer niedrigen Kriminalitätsrate widerspiegeln».
Mit Blick auf die nächsten fünfzehn Jahre warnt auch Jimenez: «Die Schwächen der Schweiz sind auf die zunehmend kritische und konservative Haltung gegenüber der Wirtschaft und ihren Exponenten zurückzuführen. Dies ist eine reelle Gefahr für den künftigen wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz.» Es scheine, als werde das Schweizer Wirtschaftswunder als selbstverständlich erachtet. Andere Länder würden dies zu ihrem Vorteil nutzen, falls die Schweiz weniger Engagement für ihre Industrie zeige. Die 1:12-Initiative gefährde den liberalen Arbeitsmarkt, einen der grössten Trümpfe der Schweizer Wirtschaft.
Es ist eine heikle Kritik, denn Ex-Novartis-Präsident Daniel Vasella wie Topbanker haben mit Lohnexzessen die Neiddebatte angefacht. Doch die Wirtschaftsführer warnen nicht allein. David Bosshart, Chef des Gottlieb Duttweiler Institutes (GDI), geht sogar weiter. «Ich sehe Anzeichen, dass unser Gleichgewicht in der Gesellschaft bröckelt.» Abzocker sei ein grauenhaftes Wort – das habe es vor zwanzig Jahren in der Schweiz nicht gegeben. Anton Affentranger, Chef des Baukonzerns Implenia, schreibt den Schweizern ins Merkheft: «Wenn es uns gelingt, entstehende Gräben wieder zuzuschütten, können wir das Erfolgsmodell Schweiz erhalten.» Vorerst allerdings werden neue aufgerissen.
Angstdebatte. Manager und Politiker wie Freiburgs Staatsrat Beat Vonlanthen graust es, wenn sie nur ans kommende Jahr denken, an die Abstimmungen zur Personenfreizügigkeit. Angesichts der guten Wirtschaftslage könnten eher die negativen als die positiven Seiten der Einwanderung hervorstechen und das Abkommen mit der EU für die leichtere Immigration aus Europa abgelehnt werden. Wenn die Personenfreizügigkeit kippt, wird es schwieriger, die besten Köpfe der Welt zu gewinnen – die etwa Vonlanthen für seine Bluefactory braucht.
Denn die Schweiz lebt von ihren Talenten, auch denen aus dem Ausland. Immer mehr Firmen zapfen Hochschulen wie diejenigen in Zürich und Lausanne an, um mit den Forschern Ideen in Produkte für die Weltmärkte umzusetzen. «Wir haben ja keine Fläche», warnt Hublot-Präsident Biver. «Nestlé ist eine Macht im Kaffee geworden, obwohl wir keine Bohnen herstellen. Allein unsere Erfindungsgabe ist der Schlüssel zum Erfolg.» Und auch dort waren Ausländer am Werk: Den Konsumgüterkonzern etwa gründete der deutsche Pharmazeut Heinrich Nestlé, den Grundstein für ABB legten der Engländer Charles Brown und der Deutsche Walter Boveri.
«Wir brauchen dringend den Talentetransfer von aussen, wenn wir unsere Erfolgsgeschichte fortsetzen wollen», sagt Lino Guzzella, Rektor der ETH Zürich. Das nachlassende Bevölkerungswachstum, das den Fachkräftemangel verschärft, spürt er schon. Auf den ersten Blick könnte sich Guzzella freuen: 95 Prozent seiner Absolventen finden innerhalb eines Jahres einen Job. Doch er weiss, was das heisst: «Wir haben einen enormen ungedeckten Bedarf an Fachkräften, vor allem in Informatik, Naturwissenschaften, technischen Berufen.»
Starker Bund. Die Warnungen sind ein Appell an den Zusammenhalt. Diese historische Stärke der Schweizer kann über kritische Klippen tragen. Der Sackmesserhersteller Victorinox hat es erfahren. Als nach den Anschlägen vom 11. September Messer aus Flugzeugen verbannt wurden, brach der Erlös des Traditionsunternehmens um 30 Prozent ein. Doch Juniorchef Carl Elsener und sein jetzt verstorbener Vater behielten die Mannschaft an Bord, zusammen wollten sie es schaffen. Sie sahen darin eine Chance: raus aus der Nische der kleinen roten Messer. Und sie hatten Erfolg: Jetzt prangt das Logo mit dem weissen Kreuz von Victorinox auf Taschen, Uhren, Parfums, und Elsener beschäftigt 1800 Mitarbeiter in 130 Ländern.
Es sind solche Hidden Champions, Weltmarktführer wie Victorinox, die die Schweiz durch ihre unternehmerischen Freiheiten hervorgebracht hat. Kaum jemand weiss, dass das Land selbst bei Leuchtreklamen, Textilmaschinen oder Kaffeemühlen führt (siehe Artikel «Hidden Champions»). Dabei sind diese Firmen der wichtigste Zukunftsbaustein. Denn die Konkurrenz wird noch härter. Gut 1000 Unternehmen – die vor zehn Jahren noch niemand kannte – mit Umsätzen von je über einer Milliarde Franken machten sich aus den Schwellenländern in die Welt auf, sagt Stéphane Garelli, Direktor der renommierten Business-Schule IMD. «Wir müssen hungrig bleiben, um erfolgreich zu sein.» So schön das von der BAK prognostizierte Wachstum ist, pro Kopf schaffte die Schweiz seit fünf Jahren nur einen BIP-Zuwachs von 0,5 Prozent pro Jahr – weniger als die meisten Länder Europas. Nur die grosse Forschungsstärke macht das Land zum Innovationsführer.
Die Schweiz ist auf sehr hohem Wirtschaftsniveau – grosses Wachstum ist nicht mehr möglich. «Es fehlen Konzepte, wie wir mit weniger Wachstum gut leben können», klagt GDI-Chef Bosshart. Das gilt für ihn in der Wirtschaft wie in der Politik. Die Schweiz orientiere sich auf der Suche nach Verbündeten zu stark an den USA und China. «Es wäre klüger, kleinere Nationen als Partner zu suchen. Wir schauen immer auf Grösse. Das ist die reine Politik der Angst.» Allein in der EU gibt es rund 20 kleinere Länder, viele ähnlich wirtschaftsstark wie die Schweiz, darunter Norwegen oder Dänemark. Zusammen wäre man eine Macht.
An die Energiepläne Europas müssen sich die Eidgenossen eh anstöpseln, der Ausstieg aus der Kernenergie ist geplant, noch aber fehlen Netze und Speichertechnik. Die Schweiz hat schon genug mit ihren Verkehrssystemen zu tun. Künftig werden an die neun Millionen Menschen im Land leben. Sosehr die Pünktlichkeit der SBB Weltruhm erlangt hat, so teuer wird es, das Niveau zu halten. Bis 2025 sollen allein ins Bahnnetz insgesamt 6,5 Milliarden Franken verbaut werden, bis 2030 sind Ausgaben von bis zu 160 Milliarden in die gesamte Infrastruktur nötig.
Ringen der Regionen. Das Geld hat die Schweiz, nur muss es richtig wirken. Nicht alle Regionen werden bis 2020 vom Wirtschaftswachstum profitieren. Den Kanton Zürich sieht die BAK im Mittelfeld, erst mit den Banken erhole er sich. Die Region um den Lac Léman, die Nordwestschweiz und die Zentralschweiz würden stärker wachsen. Bern, Ost- und Südschweiz blieben zurück. Aber selbst eine Stadt wie Genf kann sich ihrer Stärke nicht sicher sein. Im Vergleich der wettbewerbsfähigsten Städte der Welt durch die Economist Intelligence Unit fällt Genf bis 2025 um zehn Ränge auf Platz 30, Zürich um vier auf Platz 11 zurück.
Immer häufiger verliert die Schweiz den Kampf um Ideen. Es macht Jean-Pierre Vuilleumier rasend. Deutschland und Österreich stocken Fördertöpfe für Start-ups auf, die Schweiz belasse es bei der ersten Anschubhilfe, kritisiert der Chef der Wagniskapitalfirma CTI Invest. Immer mehr Start-ups sieht Vuilleumier ins Ausland abwandern, dem Geld folgend. «Wir lassen die Jungunternehmer leider dann hängen – gerade wenn sie die Hilfe am meisten brauchen.» Anfang Juli will Investor Vuilleumier seine Idee eines schweizerischen Investitionsfonds mit 500 Millionen Franken Kapital präsentieren, in den Unternehmen, Banken sowie Pensionskassen einzahlen und der Start-ups auf die Bahn helfen soll. Er hofft auf Hilfe der Politiker, doch die sind uneins über den Weg.
Beat Vonlanthen kennt das. Die vielen Jungfirmen, die einen Platz in Freiburgs Bluefactory wollen, könnten die Hilfe gebrauchen. Noch kann Vonlanthen sie aber nicht mal einlassen. Die Stadtpolitiker diskutieren noch, ob der Businessplan sitze, nicht doch Wohnungen gebaut werden sollten, die Stadt das Sagen behalte. Im Juni hätte die Bluefactory als Firma gegründet sein sollen, um Geld von Banken zu erhalten, nun wird es eher September. Dabei steht selbst Pensionär Marius Hayoz längst bereit, von der alten in die neue Zeit aufzubrechen.