Täglich woanders, ohne die Koffer zu packen – das ist der Reiz einer Kreuzfahrt. Und die Begeisterung für Hochseereisen nimmt weiter Fahrt auf: 25,8 Millionen Menschen, darunter 150’000 Schweizer, waren im letzten Jahr auf einem der 450 Schiffe weltweit unterwegs.
Dabei sind quietschbunte Interieurs und visueller Overkill ebenso passé wie die Maxime «Je grösser, je besser». Mit coolem Design, grosszügigen Platzverhältnissen und aussergewöhnlichen Routen begeistern die Reedereien vermehrt auch berufstätige Geniesser, die sich bisher noch nicht mit dieser Reiseform befasst haben, für Ferien auf dem Wasser. Und obschon sich die einzelnen Ozeankreuzer von aussen betrachtet nur in der Grösse voneinander unterscheiden, sind deren Angebot und Lebensgefühl an Bord sehr individuell.
Superjachten (bis maximal 250 Passagiere)
Für die grösste Überraschung im sechsten Kreuzfahrten-Ranking der «Handelszeitung», das sich auf die Erfahrungen von 57 Experten und auf eigene Schiffstests abstützt (siehe Kasten «Methodik»), sorgt die Le Laperouse. Das jüngste Schiff der französischen Reederei Ponant glänzt vom Start weg mit einem facettenreichen Angebot hoher Qualität und katapultierte sich auf Anhieb auf den ersten Rang in der Kategorie der sogenannten Superjachten mit maximal 250 Passagieren.
Das jährliche, bereits zum sechsten Mal publizierte Cruise Ship Ranking der «Handelszeitung» ist der umfassendste Kreuzfahrtschiff-Vergleich in der deutschsprachigen Medienwelt. Das Ranking basiert auf einer Umfrage bei 57 Cruise-Experten, auf den aktuellen Einschätzungen international relevanter Fachpublikationen und Testportale sowie auf den Borderfahrungen des Reiseautors Claus Schweitzer.
Die vollständigen Einzelbewertungen des Kreuzfahrten-Rankings 2018 finden Sie hier.Zu den Ausstattungsmerkmalen zählt die Unterwasser-Lounge «Blue Eye». Im Schiffsrumpf knapp unterhalb der Wasserlinie gelegen und futuristisch mit organischen, an Walfische erinnernde Formen gestaltet, bietet sie eine multi-sensorische Erfahrung: Durch zwei grosse ovale Bullaugen blickt man auf das marine Leben, während Hydrophone Wasserschallgeräusche in Form von akustischen Wellen übertragen. Doch das ist längst nicht alles. Die «Laperouse» ist ein Luxus-Expeditionsschiff, das hohen Ansprüchen gerecht wird, und so steht in der Aquarium-artigen Lounge jederzeit ein Barkeeper selbst für ausgefallene, stets im Reisepreis inkludierte Cocktails zur Stelle.
Auf Entdeckerkurs
Das erste von vier Schiffen der neuen Explorer-Serie mit jeweils 92 schmucken Balkonkabinen, Spa, Badeplattform und zehn Zodiac-Booten ist eine gelungene Weiterentwicklung des bisherigen Boutiqueschiff-Quartetts Le Soléal, Le Lyrial, L’Austral und Le Boréal, welche mit 132 Kabinen etwas grösser sind. Die «Laperouse» und ab Oktober auch Schwesterschiff Le Champlain kann noch kleinere Häfen und noch abgelegenere Regionen erreichen – zunächst in tropischen, subantarktischen und südpazifischen Gefilden.
Dass nicht nur die Ozeanriesen mit Instagram-tauglichen, nie zuvor auf Kreuzfahrtschiffen gesehenen Features von sich reden machen, sondern auch die neuen Superjachten und Expeditionsschiffe mit exklusiven Besonderheiten glänzen, ist noch ungewohnt in der Branche und wurde erstmals von der drittplatzierten Crystal Esprit wahrgenommen. Die 62-Passagiere-Jacht ist mit einem gläsernen Mini-U-Boot für zwei Personen plus Pilot ausgerüstet und sorgte damit bei ihrer Lancierung vor zweieinhalb Jahren für Schlagzeilen.
Maritime Gelassenheit
Die vielen Stammgäste des Vorjahressiegers SeaDream I und der baugleichen SeaDream II (Rang 2) schätzen es umgekehrt, dass die 34-jährigen Jachten des norwegischen Reeders Atle Brynestad mit tiefgestapeltem Luxus und gelassenem Charme betören. Über die Besonderheiten an Bord wird kein Aufhebens gemacht – etwa darüber, dass sämtliche Passagiere gleichzeitig im Freien speisen können, und es selbst dann noch locker genügend Zweiertische für alle gibt, die dies wünschen.
Möchte man unter dem Sternenhimmel übernachten, werden abends die auf dem obersten Deck platzierten Lounge-Sofas zu flachen Doppelbetten umfunktioniert und daunenweich eingebettet. Und konträr zu den meisten anderen Luxuskreuzern mit Wassersportplattformen am Heck (die üblicherweise höchstens einmal pro Reise als spezielles Highlight zum Einsatz kommen) setzt das SeaDream-Team stets Himmel und Erde bei den Hafenbehörden in Bewegung, um bewegungshungrigen Gästen möglichst täglich Jetski- und Bademöglichkeiten vom Schiff aus zu bieten und das wassernahe Jacht-Feeling zu zelebrieren. Eine gute Portion Spontaneität ist wesentlicher Bestandteil jeder Reise: Nicht der Fahrplan entscheidet, sondern der Augenblick.
Boutiqueschiffe (251 bis 550 Passagiere)
In der Kategorie der Boutiqueschiffe sticht Hapag-Lloyd Cruises nicht nur mit den zwei Klassenbesten heraus, sondern zugleich mit den beiden höchstbewerteten Kreuzfahrtschiffen überhaupt, welche wiederum unterschiedlicher kaum sein könnten. Eine unternehmerische Meisterleistung, die von den 57 beurteilenden Experten im aktuellen Ranking der «Handelszeitung» entsprechend gewürdigt wird.
Eine Liga für sich
Die überragende Gesamtperformance der MS Europa 2 und der vierzehn Jahre älteren MS Europa stützt sich auf die beachtliche Summe von stimmigen Details und die verlässliche Konstanz in Service, Küche, Spa, Routenvielfalt und geführten Landausflügen. Doch das Entscheidende bringt Branchenkenner und Fotograf Bastian Schweitzer auf den Punkt: «An Bord der beiden Luxuskreuzer hat man als Passagier nie das Gefühl, ein Opfer von Sparmassnahmen zu sein. Im Gegenteil – die Crews scheuen keinen Aufwand, um das ganze Reiseerlebnis so nahtlos, stressfrei und gastorientiert wie möglich zu gestalten.»
Aus leidvoller Erfahrung weiss der Vielgereiste die jederzeit spür- und erlebbare Grosszügigkeit der beiden Hapag-Lloyd-Flaggschiffe zu schätzen. Diese beginnt und endet bereits in der «Welcome & Farewell Lounge» am Ein- und Ausschiffungsort: Ein zentral gelegenes Hotel dient individuell Anreisenden jeweils als kostenloses Drehkreuz zum Gepäckdeponieren, Entspannen und Erfrischen. Für den direkten Transfer von der Lounge zum Schiff respektive vom Schiff zur Lounge ist ebenfalls gesorgt.
Luxuriöse Lässigkeit
Ob man sich auf der «Zwei» mit ihrem skandinavisch-puristisch geprägten Innendesign oder der sehr viel traditioneller ausgerichteten MS Europa wohler fühlt, hängt letztlich von persönlichen Präferenzen ab. Erstere punktet unter anderem mit lässiger Eleganz, grossem Pool und toller Kinderbetreuung. Auf der MS Europa fühlt man sich hingegen noch auf einem richtigen Schiff, mit charakteristisch-schöner Silhouette und einem gewissen maritimen Flair an Bord.
Als Manko auf den beiden Europa-Schiffen kann die Tatsache empfunden werden, dass praktisch nur deutschsprachige Mitreisende an Bord sind. Legt man Wert auf einen kosmopolitischen Gästemix, mag man auf der drittplatzierten Seabourn Odyssey oder der Silver Whisper (Rang 4) und der kleineren Silver Cloud Expedition (Rang 6) besser aufgehoben sein.
Mittelgrosse Kreuzfahrtschiffe (551 bis 2000 Passagiere)
Ein ausagekräftiger Qualitätsindikator bei der Beurteilung eines Kreuzfahrtschiffs ist das Passagier-Platz-Verhältnis. Hier gilt: Je höher die Bruttoraumzahl (BRZ) pro Gast, desto mehr Raum für alle an Bord. Diesbezügliche Rekordmarken erzielen die führenden Boutique-Cruiser, trotzdem stechen gleichfalls in der Kategorie der mittelgrossen Kreuzfahrtschiffe drei Stars aus der Masse heraus: Die Silver Muse (Rang 1), die Crystal Serenity (Rang 2) und die Seven Seas Explorer (Rang 3).
Die Erst- und die Drittplatzierte stehen für zwei ganz unterschiedliche Verständnisse von Luxus: Silversea Cruises verkörpert europäisches Understatement, Regent Seven Seas Cruises amerikanische Opulenz.
Der weitgehende Verzicht auf aufgedonnerte Interieurs tut der Silver Muse gut, und selbst bei Vollbelegung – was meistens der Fall ist – mangelt es nirgends an freien Plätzen, auch nicht in den acht verschiedenen Restaurants. Überraschend für die ganze Branche wurde das florierende italienische Familienunternehmen, das in den letzten Jahren mit ausserordentlicher Konsequenz an einem Upgrade der Marke Silversea Cruises arbeitete, im Juni 2018 vom Kreuzfahrtgiganten Royal Caribbean Cruises übernommen.
Optimales Preis-Genuss-Verhältnis
Herausragend bei der Seven Seas Explorer und bei der 14 Jahre älteren Seven Seas Voyager (Rang 7) ist das Preis-Genuss-Verhältnis. Es sind nicht nur alle Restaurantoptionen, sondern auch sämtliche Getränke, die WLAN-Nutzung und unbegrenzte Landausflüge sowie die Hin- und Rückflüge im Reisepreis inbegriffen.
Im Mai 2018 lief die Seabourn Ovation (Rang 5) vom Stapel. Wer schon bei der ein Jahr älteren Schwester Seabourn Encore den Verdacht hegte, dass diese trotz superlativer Werbung kein sublimes Schiff ist, aber dank der einst starken Marke und den drei insgesamt deutlich stimmigeren Vorgängerinnen der Odyssey-Serie (zwischen 2009 und 2011 gebaut – siehe Kategorie Boutiqueschiffe) darüber hinweg sah, wird spätestens jetzt zugeben müssen: Die Ahnung war richtig. Zwar werden die Interieurs des «Stardesigners» Adam Tihany von vielen Medien gebetsmühlenartig in den Himmel gelobt, doch wirklich gut ist nur das, was von der «Odyssey»-Klasse übernommen wurde, insbesondere der sogenannte Seabourn Square als zentrale Drehscheibe des Schiffs.
Downgrading einer Luxusmarke
Es mangelt der «Ovation» am Feinschliff in der Servicekultur, welche Massstäbe setzte, bevor die Reederei mehr und mehr von Carnival dominiert wurde. Es fehlt die Grosszügigkeit in kleinen Dingen. Und stille Rückzugsnischen an Bord sucht man vergeblich. Für den exklusiven Private-Cabana-Bereich «The Retreat» auf dem obersten Deck werden 249 US-Dollar Eintritt pro Seetag für zwei Personen verrechnet – gleichzeitig stehen bei Weitem nicht genügend «normale» Schattenplätze auf den Aussendecks zur Verfügung. «Je grösser die Schiffe von Seabourn werden, desto dürftiger wird das gesamte Borderlebnis», fasste ein einstiger Seabourn-Fan seine desillusionierende Erfahrung unlängst im Kreuzfahrtportal CruiseCritic.com zusammen.
Interessante Fahrpläne
Überzeugen die Boutique-Kreuzer und Superjachten schon länger mit aussergewöhnlichen Routen, haben die führenden Reedereien mittelgrosser Schiffe das Potential erkannt, sich mit interessanten Fahrplänen zu profilieren. Galt unlängst noch die Devise, bei der Auswahl der Destinationen ein möglichst breites Einsteiger-Publikum anzusprechen, entwickeln sich neuerdings Häfen wie Portoferraio (Elba) Porto Venere (Cinque Terre), Saint-Tropez oder Mahón (Menorca) zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Routenangebots. «Den Stammkunden der bestehenden Schiffe muss immer mehr geboten werden, damit sie wiederkommen», sagt Christian Schneider, Geschäftsführer der Zürcher Reiseagentur MCCM Master Cruises. «Ansonsten wechseln sie auf ein neues Schiff.»
Der Trend nach spezielleren Routen wird von Online-Buchungsplattformen wie e-hoi verstärkt: Es ist heute für jeden Reisenden ein Leichtes, Wunschdestinationen und Reisezeitpunkt einzugeben, und man erhält per Mausklick die Auswahl der passenden Schiffe. Vertieft man sich beispielsweise in die Kreuzfahrtenkalender der Oceania Marina (Rang 6), der Viking Orion (Rang 8) oder der Azamara Journey (Rang 10), ist das Fernweh rasch geweckt – und auch die unlängst um 34 Kabinen erweiterte Silver Spirit (Rang 4) tourt auf immer reizvolleren Strecken um die Welt.
Ozeanriesen (mehr als 2000 Passagiere)
In der Kategorie der Mega-Cruiser (mit mehr als 2000 Passagieren) überflügelt die Celebrity Reflection mit ihren vier Schwestern der Solstice-Bauserie erstmals die Queen Mary 2. Weiterhin gut auf Kurs sind die Koningsdam von Holland America Line (Rang 3), die beiden traditionsbewussten Cunard-Königinnen Queen Elizabeth und Queen Victoria (Rang 4) sowie die AIDAperla (Rang 7).
Im Mai stellte TUI Cruises die neue Mein Schiff 1 (Rang 6) in Dienst – zeitgleich verabschiedete sich das gleichnamige alte Schiff, mit dem die Zählung vor gut zehn Jahren begann, aus der Flotte.
Wiederentdecktes Promenadendeck
Ebenfalls neu in den Ranglisten sind die trendverliebte Norwegian Bliss (Rang 5) und die Disney Magic (Rang 9). MSC, das weltweit grösste familiengeführte Kreuzfahrtunternehmen mit Sitz in Genf, folgte auf ihren beiden Neulingen MSC Seaside und Seaview (Rang 10) dem Trend, das Promenadendeck aus der Versenkung zu holen. Dieses war auf den legendären Atlantiklinern einst unverzichtbar, wurde jedoch auf den modernen Vergnügungsdampfern wegrationalisiert – mit der Folge, dass das Meer nirgendwo weiter weg war als auf dem Schiff. Heute lassen die Reedereien das authentische Cruise-Gefühl und die Nähe zum Wasser aufleben – eine Tendenz, die sich über alle Grössenkategorien erstreckt.
Dass schiffsspezifische Erlebnisse von Hochseereisenden besonders geschätzt werden, zeigt ein typischer Abend auf den Luxuskreuzern von Silversea Cruises: Von den jeweils vier bis acht Restaurants an Bord ist das Gourmetlokal «La Dame», das als „einziges Relais & Châteaux Restaurant auf See“ angepriesen wird, meist halb leer. Einen Tisch im entspannten „The Grill“ beim Pool hingegen, wo hochwertige Grilladen auf dem heissen Stein serviert werden, muss man Tage im Voraus reservieren – so begehrt ist das Dinner unter freiem Himmel, auch wenn den Gästen dabei ordentlich der Fahrtwind um die Ohren wehen kann.