Seit dem Börsengang 1000 Prozent Kursanstieg, 500 Prozent seit Jahresbeginn, der Börsenwert liegt auf dem Zehnfachen des Jahresumsatzes: Die Meldungen weckten Erinnerungen an die Hochphase der Internet-Euphorie und Alan Greenspans legendären Ausspruch vom «irrationalen Überschwang».

Meyer Burger, bisher ein friedlicher Hersteller von Spezialsägen mit Werkhallen im beschaulichen Thun, ist zum Medienstar mutiert. «Eigentlich suchen wir die Öffentlichkeit nicht so sehr», sagt der besonnene Finanzvorstand Michel Hirschi, dem man das sofort abnimmt.

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Doch inzwischen beobachtet die Finanzgemeinde den Maschinenbauer mit Argusaugen. Als CEO Peter Pauli per Interview verlauten liess, die Aktie von Meyer Burger sei «kein Schnäppchen mehr», stürzte der Kurs um 14 Prozent ab. Weder war die Erkenntnis überraschend, noch hatte Pauli ansonsten etwas Neues gesagt. Warum also die grosse Nervosität?

Zunächst steigen in solchen Momenten immer einige aus einer Aktie aus, die zuvor gut gelaufen ist. Aber dieser Effekt dürfte an Fahrt gewonnen haben durch den Zustrom angelsächsischer Anleger. Angelockt wurden sie von den US-Investmentbanken: Merrill Lynch und vor allem Goldman Sachs. Deren Analysten setzten Meyer Burger auf ihre «Conviction Buy List» für Titel mit besonderem Potenzial. Das Kursziel schraubten sie von 303 auf 550 Franken hoch. Das lockte Aktionäre. Ob Investor Ronny Pecik, längst der schweizweit üblichste Verdächtige in Sachen Übernahmegerüchte, mit positiven Äusserungen zu Meyer Burger den Kaufsog verstärkte, ist ungewiss. «Im Aktienbuch haben wir keine Auffälligkeiten festgestellt», sagt Hirschi. Demzufolge hat sich Pecik auch nicht selbst eingekauft.

Auffällig hingegen ist der Optimismus der «Goldmänner». Einheimische Beobachter wie Volkan Göçmen von Helvea oder Stefan Gächter von der Zürcher Kantonalbank sind weniger euphorisch; Göçmens Kursziel liegt bei 300 Franken. Hier zeigen sich die Schwächen des Discounted-Cashflow-Modells (DCF), mit dem Goldman Sachs ihr Kursziel errechnet hat. Es rechnet schematisch hoch und arbeitet mit Prognosen über sehr lange Zeiträume. Bei Wachstumswerten lässt sich mit dem DCF-Modell fast alles begründen. «Damit wäre für Meyer Burger auch ein Kursziel von 1000 Franken herleitbar», lästert ein Analyst. Wie ehrgeizig Goldman wertet, zeigt die Umsatzprognose: Sie liegt für dieses Jahr oberhalb der eigenen Ziele von Meyer Burger und sieht für die beiden Folgejahre jeweils Verdoppelungen des Geschäftsvolumens vor.

In diesem Umfeld hatten CEO Paulis Äusserungen einen reinigenden Effekt. Sie wirkten umso eindrücklicher, als angelsächsischen Anlegern, mit ihrer Fixierung auf die «Börsenstory», Paulis Unbehagen mit dem Aktienkurs abwegig erscheinen mochte – und sie deshalb seine Sätze als Warnsignal interpretieren mussten. Finanzchef Hirschi, der den Börsenkurs nicht kommentiert, sagt zu den Analystenstudien nur vornehm, da werde «viel Zukunft vorweggenommen».

In der Tat – die Wachstumsaussichten sind glänzend für den führenden Hersteller von Sägen für Siliziumblöcke. Meyer-Burger-Trennmaschinen schneiden die heute dünnsten gebräuchlichen Solar-Scheiben, sogenannte «Wafers», und das mit rekorddünnen Drähten. Damit wird der Materialverlust beim Sägen reduziert, sodass die Kunden einen höheren Ausstoss an Wafers erzielen können. Durch die kleine Kontaktfläche zwischen Wafer und Draht wird ausserdem weniger von der teuren Trennpaste Slurry benötigt, was beträchtliche Kosten spart.

Zweimal hintereinander den Umsatz verdoppeln; dieser Anspruch an Meyer Burger dürfte aber fernab der Realität liegen. Schon seit Ende vergangenen Jahres hat die Firma den Ausstoss von Sägen kräftig hochgefahren, von damals im Schnitt 1,8 pro Woche auf derzeit 6, und Ende Jahr sollen es 8 sein. In der Thuner Werkhalle, wo früher Panzer gebaut wurden, könnten zu Spitzenzeiten geschätzte 12 Sägen pro Woche montiert werden. Dieses Jahr wollen Pauli und Hirschi 180 Millionen Franken Umsatz erzielen, die betriebliche Gewinnmarge soll 12 bis 14 Prozent betragen. Das Auftragsbuch ist mittlerweile fast fünfmal so dick wie Anfang Jahr.

Den Kundenkreis von Meyer Burgers Sägesparte bilden im Wesentlichen Hersteller von Solarzellen. Weil viele Firmen, gerade in Asien, in diesen Markt drängen, droht allerdings schon 2009 die Gefahr von Überkapazitäten; innerhalb der nächsten drei Jahre, schätzt der Branchenverband European Photovoltaic Industry Association (Epia), werden Solarfirmen mehr als 20 Milliarden Franken in neue Kapazitäten investieren. Der folgende Konsolidierungsdruck könnte in Form von Abbestellungen und Preissenkungen direkt auf Zulieferer Meyer Burger durchschlagen.

Flaschenhals des Wachstums ist der derzeit knappe Rohstoff Silizium. Schon jetzt prüft Meyer Burger vor Vertragsabschlüssen, ob die Versorgung des Kunden mit Silizium gesichert ist. «Wir machen eine Art kleine Due Diligence», sagt Michel Hirschi. Die Verträge haben Ausstiegsklauseln für Problemfälle; die Vertragsstrafe liegt bei etwa zehn Prozent vom Auftragswert. Hirschi beobachtet die Entwicklung, sagt aber, er sehe «keine krassen Überkapazitäten» heranziehen.

Es wird davon abhängen, ob die Nachfrage nach Solarzellen weiterhin dem Angebot standhalten kann. Der Weltmarkt für Photovoltaik wuchs seit 1998 mit Jahresraten von 35 Prozent auf ein Volumen von derzeit 15 Milliarden Franken. Angetrieben wird die Konjunktur durch staatliche Förderprogramme. Auf Deutschland entfällt die Hälfte des Weltmarktes, dahinter folgen Japan, Spanien und die USA – Staaten, die Hausbesitzern Solarzuschüsse gewähren. Die Solarkonjunktur ist also eine künstliche. «Ohne Subventionen würde der Markt längst nicht derart boomen», sagt Panagiotis Spiliopoulos von der Bank Vontobel. Meyer Burger und ihre Kunden müssen darauf vertrauen, dass die Staaten diesen Kurs beibehalten.

Derzeit sieht alles danach aus. Deutschland und Spanien setzen ihre Förderung fort, Österreich, Italien und Griechenland sind mit ähnlichen Programmen unterwegs. Die Schweiz, vor Jahren Vorreiter in Sachen Solarenergie, hinkt weit hinterher – im vergangenen Jahr wurde in Deutschland 300-mal mehr Solarleistung installiert. Erst 2008 wird hierzulande eine Vergütung für ins Netz eingespeisten Solarstrom eingeführt.

Auf Sicht «werden die Preise für Solaranlagen sinken», da ist sich Pius Hüsser sicher. Er ist Vizepräsident von Swissolar und beobachtet für die Internationale Energieagentur den Weltmarkt. Zur Begründung nennt er die derzeit enorme Nachfrage. Im Markt weiss man aber auch, dass die Hersteller ihre hohen Verkaufspreise nicht an ihren Produktionskosten, sondern an den staatlichen Fördersätzen ausrichten – sinken diese Zuschüsse, dann fallen auch die Preise. Und damit kommt die ganze Branche der sogenannten «Grid-Parität» näher. Sie beschreibt den Punkt, an dem die Herstellungskosten von Solarstrom auf das gleiche Niveau gesunken sind wie der Bezug von Haushaltsstrom. Zur Mittagszeit im sonnigen Kalifornien ist das jetzt schon Realität, in einigen Jahren könnten auch Spanien und Griechenland so weit sein. Dann würde der Markt zum Selbstläufer, weil er ohne staatliche Hilfe auskommt. Heutzutage erbringt Solarkraft 0,1 Prozent der weltweiten Stromversorgung, für 2030 rechnen Epia und Greenpeace mit einem Anteil von nahezu zehn Prozent.

Mit den Euphorie-umflorten Solarfirmen wird der klassische Maschinenbauer Meyer Burger in einen Bewertungstopf geworfen. Das alles addiert sich zur letztlich hohen Bewertung: Die Branche ist «in», die Angelsachsen sind bullish gestimmt, Schweizer Nachhaltigkeitsfonds wollen in einheimische Solartitel investieren, und das Bewusstsein für Umweltthemen wächst, frisch befeuert durch den Friedensnobelpreis für Klimaschützer Al Gore. Da braucht es gar keinen Pecik.

Das Management von Meyer Burger hält knapp zehn Prozent der Anteile, «wir haben alle praktisch unser gesamtes Vermögen in die Firma gesteckt», sagt Hirschi. CEO Pauli, der das mit Abstand grösste Paket hält, überlegt sich, ein paar Aktien zu verkaufen. Hirschi will investiert bleiben – zumal die öffentlich geförderte Solarbranche weiteres Aufwärtspotenzial verspricht.

Es gibt Fälle, da tut der Staat den Unternehmen richtig gut.