Kommt Werbung heute überhaupt noch an?

Michael Conrad: Sie ist ideenlos und verliert ihr Publikum. Und «dank» der digitalen Videorekorder wird sie ignoriert - das sieht man in den USA bereits sehr deutlich. Dort nennen 70% der Käufer das Ausblenden der Werbung als wichtigste Funktion des Geräts. Wegen Überkommerzialisierung und zu viel Werbung wird einfach «abgeschaltet» - vor allem, wenn die Spots nicht interessant sind.

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Wer ist denn schuld an dieser Einstellung?

Conrad: Die Werbenden. Ihre Werbung ist zu wenig interessant und nicht relevant. Sie unterteilen nach Einkommen und demografischen Daten, statt den Menschen zu betrachten und seine Aversionen und Bedürfnisse. Man will einfach sein Geld und fügt seinem Leben nichts Attraktives hinzu. Die Zielgruppenbestimmung wird einfach liederlich an die Hand genommen.

Hinzu kommt das zunehmend hybride Konsumverhalten und der Umgang der Jugend mit den technischen Kommunikationsmitteln.

Conrad: Und sie vernetzt sich mit Hilfe des Internets und schaut nicht einfach «fern». Deshalb steigt die Bedeutung des viralen Marketings, und die Spot-Files müssen unterhaltend sein, brillant gemacht und auf den Punkt konzipiert. Eine Marke, die nicht unterhält, hat keine Marktberechtigung mehr. Die wichtigste Aufgabe besteht darin, die Qualität der Werbung voranzubringen.

Wenns weiter nichts ist...

Conrad: Das Problem ist eben, dass die Strukturen in der Wirtschaft nicht darauf ausgerichtet sind. Die Kreativität fehlt in vielen Unternehmen.

Warum?

Conrad: Der Grund ist Versagensangst. Es braucht Mut, gerade in schwierigen Zeiten. Und um ihn zu beflügeln, ist Kompetenz nötig. Sonst kann Innovation nicht richtig stattfinden. Und nur dann ergibt sich das nötige Urteilsvermögen und damit auch Leadership. So wird man in die Lage versetzt, Standards zu setzen.

Was bedeutet das konkret für Unternehmen, die ansprechende Werbung produzieren lassen wollen?

Conrad: Dazu ist eine Partnerschaft zwischen Agentur und Kunde nötig. Fragen Sie mal die CEOs, wann sie das letzte Mal direkten Kontakt mit der Agentur bzw. mit deren Chefkreativen hatten...

Warum ist Werbung oft einfallslos?

Conrad: Weil in vielen Auftragsverhältnissen zu schnell konkrete Entscheide festgelegt werden. Die grösste Schwäche bei Briefings ist, dass man sich kein hehres Ziel setzt und sich stattdessen einschränkt. Es wird nicht klar, wo man hin will, und dann ist auch nicht klar, wie man dahin kommen kann. «Mach mir mal eine Testimonial-Kampagne» oder «drei Anzeigen». Es wird am Ende des Prozesses gearbeitet, statt an dessen Anfang.

Dabei wäre eine breitere Sichtweise wünschenswert. Es ist wichtig zu verstehen, welche Geschäfts- und welche Design-Idee das Unternehmen hat. Was ist die Markenidee, die Community-Idee, die Target-, die Distributions-Idee? Und das alles muss dann zur Kommunikationsidee passen. Beispiele wie Nike, Apple und Nespresso zeigen, wie es erfolgreich gemacht wird.

Wie kann die Schweiz bei internationalen Kampagnen mehr sein als ein blosses «Adaptionsland»?

Conrad: Aufträge für grenzüberschreitende Werbung werden aufgrund von Expertisen, Realisierungskonzepten und natürlich überzeugenden Beispielen vergeben. Network-Agenturen haben hier aufgrund ihrer weltweiten Präsenz das Geschäft in der Hand. Schweizer Niederlassungen dieser Networks sollten mindestens einen internationalen Kunden von hier aus betreuen und sich dabei die Kompetenz für dieses Geschäft aufbauen. Unabhängige lokale Agenturen können diesen Kuchen auch bedienen, wenn sie Expertisen einrichten.

Was muss sich in der Schweizer Ausbildungsszene verändern, damit die jungen Talente hierzulande wieder attraktive Arbeitsbedingungen vorfinden?

Conrad: Die Agenturen müssen den jungen Talenten Perspektive und Zukunft bieten und sie schnell zu Erfolgen führen. Portfolios von jungen Talenten haben in der Regel zwei Sorten Arbeiten: Frische und angepasste. Die frischen sind in Schulen und ausserhalb der Agentur entstanden, die angepassten in der Agentur. Das sollte zu denken geben.

Entgegen allen Standesregeln ist die Unsitte verbreitet, die Mitbieter von Konkurrenzpräsentationen nur schlecht für ihre hohen Aufwände zu entschädigen. Wie können die sich dagegen wehren?

Conrad: Standesregeln sind in der freien Marktwirtschaft nicht durchzusetzen. Wer zu den von Ihnen beschriebenen Bedingungen arbeitet, hat seine Gründe dafür. Solche Bedingungen sind allerdings nur ein Teil einer Verrohung der Sitten. Schlimmer wird es, wenn nach einem «erklärten» Gewinn der Präsentation Kunden beginnen, neu um Konditionen zu verhandeln. Oder wenn sich gar herausstellt, dass zu einer Präsentationsrunde aufgerufen wurde, um lediglich dem Etathalter Feuer unter dem Hintern zu machen oder um die Agentur zu niedrigeren Konditionen zu zwingen.

Was Kunden brauchen, ist eine fähige, ehrliche, vertrauensvolle Partnerschaft, in der beide Teile gewinnen. Nur so bekommen sie nicht angedreht, was sie zu kaufen imstande sind, sondern empfohlen, was sie für die Zukunft und den Erfolg ihrer Marken brauchen. Eine Alternative wären bezahlte Projektaufträge, um Qualitäten und Chemie zu testen.

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Am 5. April 2006 ist Michael Conrad Referent an der 16. GfM-Marketing-Trend-Tagung in Zürich.

Jurierungs-Kriterien:

Kreativität ist gefragt

10. Weltklasse

9. Neuer Standard in der Werbung

8. Neuer Standard in der beworbenen Branche

7. Exzellent in der Ausführung

6. Frische Idee

5. Innovative Strategie

4. Klischee

3. Nicht konkurrenzfähig

2. Destruktiv

1. Erschreckend

Stufen 14: Werbung dieser Art sollte vermieden werden, sie schadet dem Produkt und ist diskriminierend.

Stufen 57: Der Weg zum Ziel. Von der Planung bis zur Umsetzung gutes Handwerk.

Stufen 810: Das Ziel: Einen neuen Standard setzen, damit sich die Marke von der Konkurrenz abheben kann. (eb)

Zur Person

Michael Conrad, geboren 1944 in Leipzig, floh 1952 mit der Mutter in den Westen; Lehre zum Industriekaufmann, verschiedene Anstellungen, Autodidakt. 1968 Young & Rubicam, später Ogilvy Mather. 1972 Gründung der TBWA, Frankfurt. 1975 Gründung Lürzer, Conrad. 1980 Zusammenschluss mit Leo Burnett, 1986 Präsident und Chief Creative Officer Leo Burnett International Inc., Chicago, 19962003 Vice-Chairman und Chief Creative Officer Leo Burnett Worldwide Inc. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt seit 2000 in Zürich; er ist im VR der Agentur Spillmann/Felser/Leo Burnett und freier Berater. Er ist Mitbegründer eines Executive MBA für kreative Führungskräfte, der Berliner School of Creative Leadership, die am 17. September 2006 beginnt.