Angeblich soll er scheu und zurückhaltend sein. Angeblich sind ihm öffentliche Auftritte unangenehm. Angeblich soll er Pressetermine ganz besonders hassen. Davon ist nichts zu sehen. Gut gelaunt und schnellen Schrittes tritt Michael Dell ins Zimmer, der kräftige Händedruck zeugt von gesundem Selbstvertrauen. Grund hat er: Erst 39 ist er alt und war trotzdem bis vor kurzem der am längsten amtierende CEO der Computerbranche. Und er ist der erfolgreichste: Sein Unternehmen hat er in 20 Jahren von 0 auf 41 Milliarden Dollar Umsatz, von einem Mitarbeiter auf 46 000 aufgebaut. Heute ist Dell (das Unternehmen) der grösste PC-Hersteller und Dell (der Unternehmer) einer der reichsten Männer der Welt: Auf 13 Milliarden Dollar schätzt das amerikanische Wirtschaftsmagazin «Forbes» sein Vermögen. So richtig geachtet ist Michael Dell deswegen nicht.

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«Michael Dell, Ihre Konkurrentin Carly Fiorina von HP bezeichnet Sie als Zirkuspferd, das nur einen einzigen Trick kann. Apple-Chef Steve Jobs hat bei einem öffentlichen Auftritt eine Zielscheibe über Ihr Gesicht gemalt. Sie gelten nicht als technisch brillanter Innovator, sondern als seelenloser Kistenverkäufer. Wie gehen Sie damit um?»

Eine dunkelblaue Faltenhose, hellblaues Hemd, am Arm eine schlichte Uhr, ein unscheinbarer silberner Ehering, keine Krawatte – sein Auftritt ist gewohnt unspektakulär.

Zur Person
Michael Dell


Michael Dell, geboren 1964 in Houston, verdiente seine ersten 2000 Dollar als 12-Jähriger, als er in einer Auktion seine Briefmarkensammlung an Spielkameraden verscherbelte. Mit 16 kaufte er seinen ersten Computer (einen Apple II) und nahm ihn zum Schrecken der Eltern auseinander. Mit 18 begann er vom Wohnheim seiner Uni aus mit Computern zu handeln, mit 19 gründete er die Firma PCs Limited, die er später in Dell Com-puter umtaufte. Innert zwanzig Jahren machte er daraus den grössten PC-Hersteller der Welt. Den CEO-Job gab er im Juli an Kevin Rollins ab. Dell bleibt Chairman und treibende Kraft seines Unternehmens. Er ist verheiratet mit der Modedesignerin und Triathletin Susan, gemeinsam haben sie vier Töchter.

«Ach, diese Leute verbreiten zum Teil auch Falsches, immerhin halten wir über 1700 Patente. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das absichtlich tun oder aus Unwissenheit.»

«Schmerzt Sie das?»

Seine Hand macht eine unwirsche Bewegung zur Seite. «Ich kann damit leben. Mein persönliches Ego hängt nicht davon ab. Ich habe genug Anerkennung bekommen für meine Leistungen.»

Dells Leistung ist sein Geschäftsmodell. Der Grundsatz ist simpel: Das Unternehmen liefert direkt, ohne Umwege über die Händler, und baut die Rechner erst bei Bestelleingang zusammen. Dell ist überzeugt, dass auch in einem IT-Unternehmen das richtige Geschäftsmodell langfristig wichtiger ist als die neueste Technologie. Deswegen vermarktet er hauptsächlich die Techno-logie Dritter und investiert wenig in Eigenentwicklung.

Technologieführer IBM steckt, im Verhältnis zum Umsatz, viermal mehr Geld in die Forschung. Dell dagegen hat sein Direktmodell über die Jahre immer weiter perfektioniert. Von den genannten 1700 Patenten, die Dell in 20 Jahren gesammelt hat, beschäftigt sich mehr als ein Drittel mit der Optimierung der eigenen Abläufe. Er ist davon besessen, auch die kleinsten Ineffizienzen zu eliminieren. Dieses Denken hat er auf seine 46 000 Mitarbeiter übertragen: Business Process Improvement (BPI) heisst das Programm, das die Angestellten für Kosten oder Zeit sparende Verbesserungsvorschläge reich belohnt. «In manchen Unternehmen ist ein Mitarbeiter ein Held, wenn er etwas erfindet, was die Technologie weiterbringt. Hier ist er ein Held, wenn er etwas erfindet, was uns Kosten spart», sagt Paul Bell, Europachef von Dell.

Wozu das führt, macht ein Besuch im irischen Limerick deutlich: Hier steht zwischen grünen Weiden und friedlichen Seen die modernste der weltweit sechs Dell-Fabriken. Jede Woche verlassen im Schnitt 229 Lastwagen das Gelände und liefern bis zu 50 000 PCs, Notebooks und Server in 93 Länder in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika. In den letzten vier Jahren ist der Umsatz der in Limerick produzierten Waren von 5,5 auf heute 8,7 Milliarden Euro gestiegen, was stolze sieben Prozent des irischen Bruttoinlandproduktes ausmacht. Dennoch belegt die Fabrik heute nur noch 40 Prozent des Platzes und kommt mit einem Viertel weniger Mitarbeiter aus. Aus Angst vor Bequemlichkeit treibt Dell seine Angestellten zu ständiger Verbesserung an: «Was in einem Quartal für uns genügend ist, ist es im nächsten nicht mehr», sagt Martin Noonan, Produktionsleiter im Werk in Limerick.

Das spüren auch die Lieferanten: Da der PC-Bauer fast nur Standardkomponenten verwendet, ist ein Zulieferer schnell ausgetauscht, sobald ein anderer günstigere Konditionen bietet. Ähnlich wie in der Autoindustrie müssen die Lieferanten ihre Bauteile «just in time» an die Werkstore liefern. Denn Dell versucht das Lager auf einem absoluten Minimum zu halten. Maximal für drei Tage hat es Komponenten vorrätig – bei der Konkurrenz, die nicht erst auf Bestellung, sondern auf Verdacht produziert, sind es im Schnitt 27 Tage. Kommen die 65 Tage hinzu, während deren HP-, Sony- oder Fuijtsu/Siemens-Rechner durchschnittlich beim Händler im Regal liegen. Da ein Computer im schnelllebigen PC-Markt pro Woche um ein Prozent an Wert verliert, hat Dell durch knappe Lagerhaltung und direkte Auslieferung Kostenvorteile von zehn bis zwölf Prozent. Und hat, bevor die eigenen Lieferanten bezahlt werden müssen, das Geld vom Kunden bereits kassiert.

Natürlich könnte Dell sein Know-how in Sachen Prozessoptimierung als Berater verkaufen. Stattdessen stellt man es den Kunden kostenlos zur Verfügung. 5000 pilgern pro Jahr nach Limerick, um sich Effizienz à la Dell vorführen zu lassen.

Mit seiner Low-Cost-Strategie hat Michael Dell zielstrebig einen Markt nach dem anderen erobert. Der praktizierende Jude verfügt über einen unbedingten Siegeswillen, gepaart mit einer ordentlichen Portion Wagemut. Etwa, als er gleich bei der Unternehmensgründung das Ziel ausgab, eines Tages der grösste PC-Hersteller der Welt zu sein. Im Jahr 2001 war es so weit. Oder als er keine drei Jahre nach dem Start in Richtung Europa expandierte. Oder als er 1995 den Server-Markt attackierte, in dem andere Spielregeln gelten als bei PCs. Jedes Mal zweifelten Branchenbeobachter an den Erfolgsaussichten; die Konkurrenten bezichtigten den draufgängerischen Texaner gar der Grosskotzigkeit. Aber bislang hat Dell immer Recht behalten.

Wenn er so dasitzt, freundlich lächelnd, sieht er aus, als könne er kein Wasser trüben. Er kann. «Er sieht aus wie ein Kind, aber er ist ein Hai!», sagt Logitech-Gründer und Dell-Grosslieferant Daniel Borel über ihn.

«Michael Dell, Sie wurden immer wieder unterschätzt. Wie konnte das passieren?»

«Das ist eine sehr gute Frage», antwortet Dell. «Das müssen Sie eigentlich die Konkurrenten fragen. Aber es ist ein riesiger Vorteil für uns.» Er setzt ein breites, nicht unsympathisches Grinsen auf – sein Markenzeichen. «Und es passiert gerade wieder, schauen Sie sich das Druckergeschäft an!»

Der Angriff auf den Druckermarkt ist Dells neuester Streich. Nicht nur, weil diese 106 Milliarden Dollar schwere Industrie grosses Wachstumspotenzial für Dell bietet. Sondern vor allem, weil sie dank teurer Ersatztinte und teurem Toner extrem profitabel ist: HP, Dells Erzrivale im Kampf um die PC-Marktführerschaft, erwirtschaftet damit drei Viertel des Betriebsgewinns und subventioniert so das Computergeschäft. Ein doppelt attraktives Ziel für den Angreifer: «Wir wollen mit dem Druckergeschäft Geld verdienen. Dass wir damit auch noch in die Domäne unseres Hauptkonkurrenten eindringen, passt uns umso besser», sagt Paul Bell. Auch hier ist der Anspruch unbescheiden: eine ebenso bedeutende Marktposition wie bei den Computern zu erlangen, sprich, die Nummer eins zu werden. Bislang ist man auf Kurs: Dieses Jahr wird Dell rund fünf Millionen Drucker verkaufen – die erfolgreichste Markteinführung in der Firmengeschichte.

Vor 20 Jahren begann Michael Dell als Medizinstudent im Zimmer 2713 des Dobnie Center, eines Studentenheims der Universität von Texas, mit dem Computerverkauf. Seither steht er an der Spitze seines Unternehmens. Er ist damit einer der ganz wenigen Manager, der eine Firma durch alle Phasen vom Start-up zum Milliardenkonzern zu führen im Stande war (Microsoft-Gründer Bill Gates und Oracle-Chef Larry Ellison sind die beiden anderen bekannten Beispiele dieser Industrie). «Michael hat sich im Lauf der Zeit stark verändert – er musste, sonst hätte er wie die meisten Gründer geendet, denen das Geschäft eines Tages über den Kopf wuchs», sagt Paul Bell.

«Michael Dell, jede Phase im Lebenszyklus eines Unternehmens erfordert wieder andere Managementfähigkeiten. Wie haben Sie sich die jeweils angeeignet?»

Er steht auf und holt sich eine Flasche Cola light.

«Das Wichtigste ist, sich regelmässig zurückzulehnen und über die Situation und die eigene Rolle nachzudenken; darüber, was man richtig und was man falsch gemacht hat», sagt er über die Schulter, während er mit dem Flaschenöffner hantiert. «Man muss und kann nicht alles selber machen. Also muss man sich mit sehr guten Leuten umgeben. Und bei diesen Leuten Feedback einholen – zuhören und lernen.» Dann trinkt er in kleinen Schlucken, direkt aus der Flasche, als wolle er keine Zeit und Mühe mit dem Glas verschwenden, das neben ihm steht.

«Und nach welchen Kriterien suchen Sie sich die Leute aus, mit denen Sie sich umgeben?»

«Es sind die gleichen, nach denen wir weltweit unsere Mitarbeiter anstellen. Sie müssen mutig sein, offensiv, kunden- und ergebnisorientiert. Und sie müssen lernfähig sein, schliesslich gehen wir jedes Jahr in neue Geschäftsfelder!»

Dabei haben nicht wenige Mitarbeiter Mühe, sich in der Atmosphäre von Dell wohl zu fühlen, denn diese wird von vielen als die eines Dampfkochtopfs beschrieben: Quer durch alle Bereiche herrscht ein extrem hoher Leistungsdruck.

In der Schweizer Niederlassung in Genf etwa sind die Verkaufszahlen der einzelnen Mitarbeiter, täglich aktualisiert und neu geordnet, in der Cafeteria ausgehängt. «Eine gewisse Wettbewerbsfreude muss bei unseren Leuten vorhanden sein», nennt es Schweiz-Chef Alain Bandle. «Die Leute, die das nicht mögen, bleiben etwas weniger lang bei Dell.» Früher wurde ein Manager, der sein Ziel nicht erreicht hatte, häufig sofort gefeuert. «Dell war ein hartes Pflaster für manche, eine darwinistische Erfahrung», erinnert sich Paul Bell. Besonders der zweite Mann hinter Michael Dell, Kevin Rollins, hatte die Leute mit seiner barschen Art häufig brüskiert. Auch er musste seinen Stil schliesslich ändern: «Ich entschied mich, nicht als ‹Die Peitsche› in Erinnerung bleiben zu wollen», sagte er einmal in einem Interview.

Heute ist man zwar nicht mehr so erbarmungslos. Aber noch immer gilt: Wer sich nicht anstrengt, ist fehl am Platz, und Ausreden werden nicht akzeptiert. «Wir sind nicht nur mit den Kunden direkt, sondern auch mit den Mitarbeitern», nennt es Reg Freake, der im Werk in Limerick für die Besucherbetreuung zuständig ist.

Für alle Angestellten gilt eine eiserne Spardoktrin: Natürlich fliegt man Economy, lieber noch EasyJet. Repräsentative Firmenbauten gibt es nicht; in der Schweizer Niederlassung in Genf sitzen alle 250 Mitarbeiter inklusive der obersten Chefs im gleichen Grossraumbüro. Das Ergebnis: Die Betriebskosten liegen bei Dell unter 10 Prozent, während sonst in dieser Branche 20 bis 40 Prozent üblich sind. Die Mitarbeiter, im Schnitt 33 Jahre jung, machen pro Kopf doppelt so viel Umsatz wie die Konkurrenz – obwohl sie nicht nur an den Verkaufszahlen, sondern auch am Gewinn gemessen werden. «Das fördert den Unternehmergeist», sagt Bandle. Im ganzen Unternehmen gilt: Jedes Produkt muss vom ersten Tag an profitabel sein. Ausnahmen gelten nur bei ganz wenigen, als strategisch definierten Produkten wie beispielsweise im Servergeschäft. «Es gibt noch so viele Möglichkeiten in dieser Industrie – warum sollten wir in einem Bereich bleiben, in dem wir Geld verlieren?», fragt Paul Bell.

2,65 Milliarden Dollar Gewinn hat Dell letztes Jahr verdient und damit fast den gesamten Gewinn einkassiert, der in der PC-Industrie erwirtschaftet wird. Von HP über IBM bis Sony und Fujitsu/Siemens schreiben alle anderen im PC-Geschäft mehr oder weniger rote Zahlen. Nur Nischenanbieter Apple bekommt als zweite Ausnahme die restlichen knapp zehn Prozent Gewinn dieser Industrie.

Innerhalb seiner Organisation setzt Dell auf ein ungewöhnliches Führungsprinzip: «Two in a box» heisst es und bedeutet, dass sich zwei Manager gemeinsam die Verantwortung für ein Produkt, eine Region oder eine Funktion teilen. Die beiden sollen sich in ihren Stärken ergänzen und ihre Schwächen gegenseitig kompensieren: So kann ein Manager eine Idee mit einem gleichwertigen Partner diskutieren, und Geschäftsreisen lassen sich auf zwei Köpfe verteilen. «Ich war selber in einer solchen Konstellation und würde es sofort wieder machen», erinnert sich Paul Bell. «Aber wenn die beiden nicht zusammenpassen oder nicht geschlossen auftreten, kann es ein absolutes Desaster sein!» Dann wird die Doppelpackung schleunigst wieder aufgeschnürt und neu zusammengesetzt. 8 von 16 Managern des weltweiten Leitungsgremiums stecken in einer derartigen Beziehungskiste – auch Michael Dell. Er teilt sich die Verantwortung mit Kevin Rollins. Im Juli, nach elf Jahren enger Zusammenarbeit, hat ihm Michael Dell offiziell den Titel CEO verliehen. Er selber bleibt Chairman des Unternehmens.

«Michael Dell, warum haben Sie diesen Schritt gerade jetzt vollzogen?»

Er fährt sich mit einer Hand durch das gekrauste schwarze Haar. An den Schläfen zeigen sich, kaum sichtbar, die ersten grauen Haare.

«Ich wollte Kevin Anerkennung zeigen für das, was er während all der Jahre fürs Unternehmen geleistet hat. Es ist eine Art öffentliche Würdigung.»

Dell ist sparsam mit seinen Gesten, gilt als zurückhaltend. Emotionsausbrüche sind ihm fremd. Aber er wirkt unheimlich präsent.

«Noch letztes Jahr hat Rollins öffentlich gesagt, dass er nicht die geringste Chance habe, als 51-Jähriger einen 39-jährigen Gründer jemals an der Unternehmensspitze zu beerben.»

«Ja, er dachte es wirklich nicht!», lacht Dell.

«Hat das für Ihre Entscheidung eine Rolle gespielt? Die Angst, dass er stattdessen das Unternehmen verlässt?»

«Das zu hören, hat mir sehr gut getan», sagt er und setzt sein breites Grinsen auf. «Es zeigt, dass er der richtige Mann für den CEO-Job ist, weil er sich nicht um seinen Titel kümmert, sondern darum, was gut für das Unternehmen ist!»

«Und was ändert sich dadurch für Sie selber?»

«Nicht viel», sagt er und nimmt wieder einen Schluck aus der Cola-Flasche. «Ich habe vielleicht zehn Prozent mehr Zeit, weil manche Pflichten, die formell an das CEO-Amt gebunden sind, jetzt für mich wegfallen. Ich nutze diese Zeit für Kundenbesuche und Treffen mit den Produkteverantwortlichen.»

Rollins ist Dells Alter Ego: weniger draufgängerisch, dafür analytisch; weniger technologieorientiert, dafür strategisch stark; weniger intuitiv, dafür systematisch. Ein streng gläubiger Mormone. Ein ausgebildeter Violinspieler, der zwölf Jahre bei der Unternehmensberatung Bain & Company gearbeitet hat, als ihn Dell in der grossen Krise 1993 engagierte. Damals wuchs das Unternehmen viel zu schnell und deswegen aus seinen Strukturen heraus. Man hatte keine Ahnung von den Margen und wusste erst am Ende des Quartals, ob man überhaupt Geld verdiente.

Berater Rollins brachte Ordnung in die Prozesse und Strukturen – mit so grossem Erfolg, dass Michael Dell beim Joggen um die Pariser Tuilerien so lange auf ihn einredete, bis er blieb. Seither führt das ungleiche Duo das Unternehmen auf ähnlich symbiotische Weise, wie Bill Gates und Steve Ballmer es bei Microsoft tun. Rollins hat sein Büro neben dem von Dell, die Schreibtische stehen sich gegenüber, dazwischen eine Glaswand mit einer Tür, die der Legende nach noch nie geschlossen war. Sie arbeiten so eng zusammen, dass sie im Unternehmen einfach Michael & Kevin genannt werden, internes Kürzel: MK. «Jeder von ihnen könnte die Firma alleine führen. Jeder von ihnen trifft gute Entscheidungen, aber sie haben festgestellt, dass sie zu zweit bessere Entscheidungen treffen», beschreibt Paul Bell die Kooperation.

«Michael Dell, welches war die schwierigste Zeit in der Unternehmensgeschichte?» Eigentlich gilt er als Schnelldenker. Aber jetzt muss er eine Weile überlegen, gerade so, als habe er sich mit diesem Thema nie befasst.

«Eigentlich jedes Mal, wenn das Unternehmen aufbrechen musste zu neuen Ufern: Es gab acht oder neun Übergangsphasen, durch wir gegangen sind. Und gerade am Anfang kamen diese Übergänge sehr schnell. Da haben wir auch viele Fehler gemacht.»

«Gab es jemals eine Situation, in der Sie gedacht haben: So, das wars, jetzt geht es mit uns zu Ende?»

Er lacht schallend. «Sie meinen, dass das ganze Leben an mir vorbeizog wie in einem Film? Nein, das nicht. Aber es gab schwierige Situationen.»

Etwa 1989, als Dell in der Wachstumseuphorie eine viel zu grosse Menge Speicherchips zu Höchstpreisen orderte und, als diese kurze Zeit später technisch überholt waren, darauf sitzen blieb. Dell musste sie mit grossem Verlust verkaufen, als Ausgleich die PC-Preise erhöhen und dadurch einen massiven Wachstumsrückgang hinnehmen. Oder 1990, als man dem eigenen Geschäftsmodell nicht mehr traute und plötzlich anfing, via Händler zu verkaufen. «Das Ergebnis war ein finanzielles Desaster für uns», sagt Paul Bell. Oder 1993, als man, statt auf Industriekomponenten zurückzugreifen, Millionen in die Entwicklung eigener Notebooks steckte, die sich dann als nicht kompetitiv herausstellten. Dell musste Millionen an Lagerbestand und Forschungsgeldern abschreiben, eine geplante Kapitalerhöhung absagen und zum ersten und bislang einzigen Mal einen Quartalsverlust ausweisen. Wann immer sich das Unternehmen von seinen eigenen Prinzipien – minimales Lager, Direktverkauf, Massenware – entfernte, kam es in Schwierigkeiten.

Dells Glück: Die Rahmenbedingungen, namentlich ein sehr schnell wachsender Markt, waren so freundlich, dass die Fehler nicht im Desaster endeten. Und Dell korrigiert Fehler sehr schnell. Zum einen, weil das Unternehmen sehr flach organisiert ist: Drei Hierarchiestufen trennen den Firmengründer von der Empfangsdame an der Rezeption. Die Profit-Center-Organisation zieht sich bis ganz nach unten im Unternehmen. Entsprechend viele Freiheiten haben die Länderchefs – solange sie die erwarteten Zahlen liefern. Zum anderen, weil Dell aus dem direkten Kundenkontakt sehr schnell Marktdaten gewinnt, die andere Computerhersteller erst über den Umweg der Händler, also mit entsprechender Verzögerung, oder gar nicht erhalten. «Wir messen grundsätzlich alles bei Dell», sagt Schweiz-Chef Alain Bandle.

Ob Zeitaufwand pro Kundenbesuch, die Wirkung einer Anzeige oder der Anteil der Probleme, die ein Hotline-Mitarbeiter gleich beim ersten Anruf löst: In der Londoner Europazentrale sind knapp 20 Mitarbeiter nur damit beschäftigt, Megabyte-schwere Excel-Tabellen und meterlange Statistikausdrucke zu analysieren. Hinzu kommen detaillierte Reviews am Anfang jeder Woche und am Ende jedes Quartals. Diese Fokussierung auf messbare Daten sind fundamentaler Bestandteil der Dell-Kultur. «Wenn Daten fehlen, schleichen sich politische Elemente in Entscheidungen. Dell ist die am wenigsten politische Organisation, die ich je gesehen habe», sagt Paul Bell, der als ehemaliger Berater Einblick in viele Unternehmen hatte. Deswegen unterliegt Dell auch weniger den Hypes als andere Konkurrenten: «Einige unserer besten Entscheide bestanden darin, manche Sachen nicht zu tun, weil unsere eigenen Daten dagegen sprachen», sagt Bell. Einen Tablet-PC etwa hat Dell nie gebaut – anders als die meisten anderen Computerhersteller, die damit auf die Nase gefallen sind.

«Michael Dell, was sind die grössten Herausforderungen für die nächsten fünf Jahre?»

Er lehnt sich zurück und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. «Das Wachstum zu organisieren, die Strukturen und Prozesse im Griff zu behalten. Allein unser Europageschäft ist heute so gross wie vor zwei Jahren der weltweite Umsatz.» Ganz entspannt sitzt er da. Kein Wunder, angesichts dieser Art von Herausforderung.

«Wo liegen die Grenzen des Wachstums?»

«Es ist nicht der Markt. Es sind nur die Leute. Sie müssen mitwachsen im gleichen Tempo.»

Die Personalpolitik ist darauf ausgerichtet: «Wir stellen unsere Mitarbeiter immer eine Stufe unterhalb derjenigen ein, die sie eigentlich bewältigen könnten», sagt Bandle. So ist sichergestellt, dass ihnen die Aufgaben nicht zu schnell über den Kopf wachsen. Denn das Tempo ist enorm: Im April 2002, mitten in der schwersten Krise der PC-Industrie, kündigte Dell – bullish wie gewohnt – an, innert fünf Jahren den Umsatz auf 60 Milliarden Dollar verdoppeln zu wollen. Bislang ist man auf gutem Wege; bereits heuer dürfte der Umsatz nach Branchenschätzungen auf knapp 50 Milliarden Dollar steigen.

Doch klar ist, dass die lange Zeit praktizierte texanische Hüftschusskultur in einem Unternehmen dieser Grösse nicht mehr funktionieren kann. Stattdessen müssen nun auch Zeit und Mühe in den Aufbau einer Kultur investiert werden. Das wurde Michael Dell allerdings erst 2001 so richtig bewusst, 17 Jahre nach der Firmengründung. Damals steckte Dell wegen sinkender Margen in der Krise und entliess innert kurzer Zeit 5700 Mitarbeiter, die meisten davon am Hauptsitz in Round Rock in Texas. Als Dell die verbleibenden Mitarbeiter nach ihrer Zufriedenheit am Arbeitsplatz befragen liess, kam Erschreckendes zu Tage: Fast die Hälfte würde das Unternehmen verlassen, wenn sie woanders gleich viel verdienen könnte. Mit anderen Worten: Ausser den Aktienoptionen gab es eigentlich keinen Grund, für Dell zu arbeiten.

Das Prinzip des Schmerzensgeldes funktionierte hervorragend, solange die Aktienkurse ständig stiegen: Tausende so genannter «Dellionäre» wohnen in der Gegend von Austin. Doch heute muss Dell mehr bieten: Unter dem Namen «Soul of Dell» hat das Management daher ein Programm eingeführt, das die Unternehmenskultur fördern soll. Zum Zusammengehörigkeitsgefühl beitragen soll etwa, dass sich die Dell-Mitarbeiter an den Standorten rund um die Welt für ihre Gemeinde vor Ort engagieren. Doch es bleibt noch viel zu tun: In der Liste der 100 beliebtesten Arbeitgeber des amerikanischen Magazins «Fortune» finden sich viele Top-unternehmen aus der IT-Branche, doch von Dell ist keine Spur zu finden.

«Michael Dell, was motiviert Sie persönlich noch? Sie haben alles erreicht, Sie könnten Ihr Leben geniessen.»

Sein Körper spannt sich. Jetzt fläzt er nicht mehr locker auf seinem Stuhl, jetzt sitzt er wieder gerade da, den Oberkörper leicht vornüber gebeugt, der Blick aus den braunen Augen intensiv.

«Ich geniesse es! Ich arbeite hart, und ich spiele hart. Das macht mir Spass! Schauen Sie, das Unternehmen ist ja erst 20 Jahre alt. Es gibt noch viel zu tun.

Wir haben sechs Prozent Anteil von einem 800-Milliarden-Dollar-Markt. Davon hätten wir gerne 10 bis 15 Prozent!»

Er lehnt sich zurück. Und dann kommt es wieder, dieses breite Grinsen.