Vom Vater hat er das Künstlerische, von der Mutter das Unternehmerische geerbt. Dieses Erbe hat Michael Haefliger als Intendant des Lucerne Festival erfolgreich umgesetzt.
Haefliger hat am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, auf der Bühne zu stehen: «Es braucht von den Künstlern enorme Opfer, um diese Hochleistung zu erbringen. Ich kenne keinen, der vor seinem Auftritt nicht nervös ist. Da herrscht eine Riesenanspannung physisch und psychisch. Meine Aufgabe ist es, diesen Schaffungsprozess so gut wie möglich zu begleiten.»
Die Nervosität zeigt sich bei Musikern sehr unterschiedlich. So wechselt beispielsweise ein Künstler 50-mal das Hotelzimmer, bis er das richtige findet. «Mein Anliegen ist es, dem Künstler zu Höchstleistungen zu verhelfen und dafür alles zu unternehmen, dass er sich wohl fühlt. Dann erhält er die Begeisterung vom Publikum. Dann wird das Festival auch ein Erfolg.»
Stelldichein der Wirtschaftsspitze
Lucerne Festival, das Musikereignis der Schweiz, zählt zu den Top der Klassik-Sommerfestivals in Europa. Hier geben sich die Wirtschaftskapitäne der Schweiz die Ehre, angefangen bei Nestlé-Chef Peter Brabeck über Credit- Suisse-VR-Präsident Walter Kielholz bis zu Zurich-Chef James Schiro. Und hier haben Musiker wie Starviolinistin Anne Sophie Mutter oder Stardirigent Claudio Abbado die Ehre aufzutreten.
Der Vater des Intendanten, Ernst Haefliger, war ein weltberühmter Tenor, die Mutter eine Architektin, die ein renommiertes Einrichtungsgeschäft in München aufgebaut hat. Michael Haefliger ist in Berlin und München aufgewachsen. Bereits mit sieben Jahren ist er als Violinist aufgetreten, hat später in der renommierten Juillard School of Music in New York Violine studiert und ist mit seinem Bruder, einem Pianisten, unter anderem auch an den internationalen Musikfestwochen, wie das Lucerne Festival früher hiess, aufgetreten.
Haefliger wirkt kontrolliert. Trotz über 35 Grad in seinem Büro in Luzern zieht er beim Gespräch sein Jacket an. «Für die Fotos ist es besser so. Ich wünschte, ich könnte cooler durch das Leben ziehen. Ich habe eine grosse innere Emotionalität. Jedes Detail beschäftigt mich und ich wache deswegen oft in der Nacht auf.»
Seine Liebe zum Detail bestätigen auch Mitarbeiterinnen. Sie zögern, Zahlen und Fakten zum Festival zu nennen, ohne vorher sein Einverständnis zu holen. Trotzdem sind sie des Lobes voll. Kommunikationschefin Barbara Higgs erklärt: «Er vereint Künstlerseele und strategischen Manager in einem.» Sein Leitungsteam am Lucerne Festival ist vorwiegend jung, weiblich und durchwegs begeistert von seinem Chef. Haefliger hat für die Chefposten von Finanzen, Sponsoring, Marketing und Kommunikation Frauen um sich geschart, die zwischen 25 und 45 Jahre alt sind.
Ist ein Musiker ein besserer Manager? Die Forschung hat gezeigt, dass sich bei Musikern die beiden Hirnhälften schneller vernetzen. «Vielleicht ist das vernetzte Denken ausgeprägter», meint Haefliger. Netzwerke zwischen Künstlern und Sponsoren zu schaffen ist jedenfalls sein Talent. Zu diesem Zweck ist der Intendant zwei bis drei Monate im Jahr für Lucerne Festival auf Reisen, trifft Künstler, Sponsoren und Journalisten.
Feuer und Flamme
Bereits während seines Musikstudiums in New York war es sein Wunschtraum, ein Festival zu gründen. Dabei hat er Davos im Auge gehabt, denn hier ist sein Vater geboren, hier liegen seine Lebenswurzeln, hier besitzen seine Eltern ein Ferienhaus.
Als er den Davoser Verkehrsdirektor für ein klassisches Musikfestival begeistern konnte, war sein Weg zum Intendant klar. «Es ist ein Feuer ausgebrochen und die Flammen sind explodiert», erzählt er von seiner Berufung. Das Feuer, das man von einem Künstler erwartet, hat bei ihm erst als Organisator des Festivals «Young Artists in Concert» richtig zu lodern begonnen. «Es hat mir als Geiger etwas gefehlt, das ich als Festivalleiter gefunden habe.» Zuerst spielte er in Davos noch selber auf der Bühne, dann aber konzentrierte er sich ganz auf seine Rolle als Intendant, und dabei ist er geblieben.
«Als ausübender Künstler habe ich mich begrenzt gefühlt, wurde meinen Ansprüchen nicht gerecht.» Sein Geigenspiel ist heute nicht mehr für die Öffentlichkeit bestimmt. «Musik ist aber nach wie vor mein Inhalt, aber anders als ein Künstler, der auf der Bühne steht:Ich pflege Musik in unternehmerischer Art, bin einer, der das Programm und den konzeptionellen Rahmen macht.» Das betriebswirtschaftliche Rüstzeug zum Intendantenberuf holte er sich in einem Nachdiplomstudium in Unternehmensführung an der Hochschule St. Gallen. Dabei schrieb er eine Diplomarbeit über Leistungssysteme im Sponsoring, ein Thema, das ihn noch heute stark beschäftigt.
Bereits in Davos träumte er davon, einst Leiter des Festivals in Luzern zu werden. Nach zehn Jahren Davos schaffte er den Sprung in die Leuchtenstadt, die für ihn ein magischer Ort ist. «Diese Intendanz war für mich ein Riesenschritt. Wie viele Steigerungsmöglichkeiten gibt es noch?», fragt er rhetorisch. Sein Plan ist es, nochmals fünf Jahre in Luzern sein Bestes zu geben. «Dann sehen wir weiter, was sich entwickelt.» Salzburg, Bayreuth? Er ist offen für solch klingende Namen.
Seine Ernennung zum Intendanten in Luzern hat damals in der Musikwelt Erstaunen ausgelöst: Er hat es aber geschafft, das Budget von 14 Mio auf 22,5 Mio Fr. zu steigern, obwohl die öffentliche Hand nur 3% beisteuert. Es gelang ihm, den Anteil der Sponsoren von 4 Mio auf 8,5 Mio Fr. zu erhöhen. «Klar sind das schöne Ergebnisse, aber das künstlerische Ziel steht bei mir an erster Stelle. 81 Uraufführungen haben wir in Luzern ins Leben gerufen», betont er stolz.
«Zur Wirtschaft hab ich keine Hemmschwelle, die Zusammenarbeit muss aber tiefer gehen als nur über das Geld. Sponsoren sind für mich Partner für langjährige Beziehungen.» Gemeinsam mit ihnen suche er nach einem gemeinsamen Konzept für einen künstlerischen Inhalt.
Stimmige Chemie
Die Zusammenarbeit mit Roche ist für ihn ein Paradebeispiel, wie ein erfolgreiches Zusammenspiel funktionieren kann. In einer Partnerschaft mit Lucerne Festival, der New Yorker Carnegie Hall und dem Cleveland Orchestra vergibt Roche einen zeitgenössischen Kompositionsauftrag und ermöglicht die Uraufführung des Werkes in Luzern wie auch dessen Amerika-Premiere in New York.
Den grössten Erfolg verdankt Haefliger in Luzern dem Stardirigenten Claudio Abbado, mit dem er das Lucerne Festival Orchestra gegründet hat und der seit 2003 jeweils das Eröffnungskonzert dirigiert. Dabei kann er auf die finanzielle Unterstützung von Nestlé zählen.
Gibt es für Haefliger ein Leben ausserhalb der Musik? «Ich liebe es, in Davos Ski zu fahren, ich habe eine Leidenschaft für Fussball. Trotz Geige spielte er als Junior beim FC Bayern in München und sogar den verletzungsträchtigen Handball. Fasziniert ist er von der spanischen Sprache und Kultur, die ihn zu Reisen nach Südamerika lockt, wo er über die Musikbegeisterung von jungen Talenten staunt.
Hat es ihm geholfen, dass seine Exfrau die Patin von Putins Tochter ist? «Nein, meine Kontakte in Russland waren seit jeher ausgezeichnet.» Er habe Putin als spannende und kunstbegeisterte Persönlichkeit erlebt. «Es liegt mir nicht, über seine Politik zu urteilen.»
Dies sagend, zieht er sich wieder in seine distanzierte Rolle des Intendanten zurück. So kann er Künstler und Sponsoren überzeugen, so gewinnt er ein Publikum, das am Schluss frenetisch klatscht.
-----
Steckbrief
Name: Michael Haefliger
Funktion: Intendant des Lucerne Festival
Alter: 45
Wohnort: Luzern
Familie: Getrennt, eine Tochter
Ausbildung: Violinstudium in New York, Studium Unternehmensführung HSG St. Gallen
Karriere
- 1968-1997 Konzertgeiger
- 1986-1996 Intendant «Young Artists in Concert» in Davos
- 1996-1999 Künstlerischer Leiter des Collegiums Novum Zürich
-Seit 1999 Intendant des Lucerne Festival
Führungsprinzipien
1. Richtige Mischung zwischen Handeln und Zuhören.
2. Partnerschaft im Team, aber einer zieht vorne den Karren.
3. Sich der Gefahr des Erfolgs bewusst sein, sich immer wieder stark bemühen, weil sich alles sehr schnell ändern kann.
Firma
Lucerne Festival ist eine Stiftung, die jährlich drei Festivals durchführt. Das Sommerfestival startet am 10. August. Zum Stiftungsrat zählen Franz Humer (Roche), Walter Kielholz (Credit Suisse) und James Schiro (ZFS). Das Budget: 22,5 Mio Fr. 30 Mitarbeitende werden beschäftigt.