Der Ölpreis ist auf einem Rekordhoch. Ist der Aufschwung in der Luftfahrt gefährdet?

Michael Kerkloh: Nein. Ich bin selbst erstaunt, dass der Ölpreis keinerlei Bremswirkungen hat.

Weshalb nicht?

Kerkloh: Das Grundbedürfnis der Menschen nach Mobilität ist so gross, dass die Mobilität das Letzte ist, was sich die Leute nehmen lassen.

Sie spüren also keine Auswirkungen am Flughafen München?

Kerkloh: Nein, keine. Im Gegenteil: Wir hatten im 1. Quartal 2006 über 9% mehr Passagiere als 2005.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Also rosige Aussichten für 2006.

Kerkloh: Allerdings. Wir werden in diesem Jahr bei den Passagieren um mindestens 5 bis 6% zulegen. Auch die Zahl der Flugbewegungen wird um eine ähnliche Grössenordnung zunehmen.

Wie sieht es bei Umsatz und Gewinn aus?

Kerkloh: Den Umsatz werden wir von 680 Mio Euro auf deutlich über 700 Mio Euro steigern, und der Reingewinn wird mehr als 20 Mio Euro betragen.

Für die nächsten Expansionsschritte wird in München eine zusätzliche dritte Bahn gebaut, in Frankfurt eine vierte. Weshalb sind solche Erweiterungen in Deutschland möglich und in der Schweiz zurzeit undenkbar?

Kerkloh: Dieses Positiv-Negativ-Bild stimmt so nicht. Auch in Deutschland haben wir mit Problemen zu kämpfen. Von der ersten Überlegung bis zur Eröffnung des Flughafens München hat es 30 Jahre gedauert. Man kann also nicht davon reden, dass wir Deutschen immer besonders schnell sind.

Aber die Einsicht, dass die Luftverkehrsinfrastruktur für das Land ungemein wichtig ist, wächst.

Kerkloh: Das Verständnis dafür, dass die Verkehrsinfrastruktur immer eine Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum ist, wächst. Und das ist auch nötig: Wenn Deutschland oder irgendeine andere entwickelte Volkswirtschaft am raschen Aufstieg Chinas, Indiens oder Russlands partizipieren will, muss sie in die Zukunft investieren. Sollte zum Beispiel nur ein Bruchteil der Chinesen in den nächsten Jahren einen ähnlichen Mobilitätsanspruch entwickeln wie wir, wird das zu einer Neuordnung der Luftfahrt führen und zu massiven Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur.

Der Flughafen München partizipiert bereits an diesem Wachstum. Was ist mit Zürich?

Kerkloh: Der Flughafen Zürich ist seit dem Grounding der Swissair in einer speziellen Situation. Er hat sich jedoch von diesem Konkurs des Home-Carriers erholt.

Tatsächlich? Die Zahl der Flugbewegungen sank im 1. Quartal um 4,5%, die Zahl der Passagiere stieg um nur gerade 2,3%.

Kerkloh: Das sind Nachwehen der Restrukturierung. Der wesentliche Wachstumstreiber ist nun mal ein gesunder Home-Carrier. Hier hat der Flughafen München mit Lufthansa gegenüber Zürich mit der wesentlich kleineren Swiss sicherlich Vorteile.

Der Flughafen Zürich kann dank der Übernahme der Swiss durch die Lufthansa ebenfalls von deren Stärke profitieren. Was heisst das für die Zusammenarbeit der Flughäfen München und Zürich?

Kerkloh: Die Märkte sind noch unterschiedlich. Natürlich wachsen diese jetzt näher zusammen. Es kristallisieren sich bereits heute Rollen für München und Zürich heraus. Zürich hat noch einen sehr spezifischen eigenen Markt und eine, wenn auch abnehmende Bedeutung im interkontinentalen Segment. Wichtig für den Flughafen Zürich ist der starke Heimmarkt, den er keinesfalls verlieren darf.

Und falls er weiter an Boden verliert?

Kerkloh: Ich will nicht spekulieren. Der Flughafen Zürich hat europäische Bedeutung. Will er diese behalten, darf er sicher nicht an Grösse, das heisst an Passagieren, Flugbewegungen und Destinationen einbüssen.

Was ist die Rolle vom München?

Kerkloh: Der Flughafen expandiert sehr stark, vor allem nach Osteuropa und Asien. Generell ist das Wachstum im Interkontinentalverkehr stark.

München gewinnt, Zürich verliert.

Kerkloh: Das mag auf den ersten Blick so aussehen. Und sicherlich kommt der Flughafen München allmählich in eine andere Grössenkategorie als Zürich. Aber man darf nicht vergessen, dass Zürich etwa bei den Interkontinentalpassagieren noch vor München liegt.

Sie sagen es selbst: Noch.

Kerkloh: Wir stehen in einem harten Wettbewerb, das ist so, insbesondere im Hub-Verkehr. Der Flughafen München holt sehr schnell auf. Wer aber als Gewinner vom Platz gehen wird, hängt davon ab, wie die

Star-Alliance-Partner ihren Verkehr strukturieren wollen.

Entscheiden wird also, welches Drehkreuz die Allianz-Partner anfliegen wollen.

Kerkloh: Ja, das stimmt.

Und das ist wiederum eine Frage der Kosten. Hier hat München die Nase vorn.

Kerkloh: Unser Flughafen hat eine sehr gute Kostenstruktur. Diese wird durch die Skaleneffekte mehr Bewegungen, tiefere Kosten pro Flugzeug sicherlich noch weiter verbessert. Damit ist Zürich aber noch nicht aus dem Rennen. Wenn Zürich ebenfalls seine Kosten senkt, ergibt das eine neue Ausgangslage.

Der Konkurrenzkampf nimmt zu?

Kerkloh: Ja. Man muss aber auch sehen, dass beide Standorte Drehscheiben des gleichen globalen Airline-Verbundes sind. Deshalb haben wir als Münchner Flughafen durchaus Interesse daran, dass sich andere Star-Alliance-Hubs wie Frankfurt und Zürich positiv entwickeln.

Der Flughafen München hat in der Wachstumsregion Asien vorgelegt. Letztes Jahr wurden Bangkok und Peking ausgebaut. Und dieses Jahr?

Kerkloh: Wir erhöhen 2006 nur die Frequenzen auf bestehenden Strecken. Wir haben jetzt täglich Schanghai, Peking, Delhi und Tokio. Und die Flugzeuge sind alle voll.

Von Zürich aus fliegt ausgenommen nach Hongkong nicht eine Maschine nach China.

Kerkloh: Zürich ist nun mal nicht München. Nochmals: Wir haben mit Lufthansa ein ganz anderes Potenzial als Zürich mit Swiss. Deshalb wird München weiter massiv zulegen, insbesondere nach China. 2005 haben wir nach Regionen in Asien um 20% zugelegt, 2006 wird es nochmals ein Plus von 20% sein.

Könnte eine Anbindung an China von Zürich aus wirtschaftlich betrieben werden?

Kerkloh: Im Prinzip ja. Aber Swiss-Chef Christoph Franz kann Ihnen hier besser Antwort geben.

Wächst München auf Kosten des Flughafens Zürich?

Kerkloh: Der Münchner Flughafen hat als expandierende Drehscheibe eine eigene Wachstumsagenda, die von der Entwicklung Zürichs unabhängig ist. Das gilt aber auch umgekehrt. Ich glaube wirklich, dass auch Zürich einen eigenen starken Markt hat. Mittelfristig wird es darauf ankommen, wie die spezifischen Wachstumspotenziale an beiden Standorten ausgeschöpft werden.

Was halten Sie von der Lufthansa-internen Aussage, der Flughafen Zürich werde mittel- bis längerfristig ein Terminal von München?

Kerkloh: Das hat Lufthansa uns gegenüber noch nicht gesagt. Wir werden uns wohl darauf einstellen müssen (lacht). Im Ernst: Es ist durchaus denkbar, dass es zu einer begrenzten Arbeitsteilung zwischen München und Zürich kommen wird. Für solche Überlegungen ist die Übernahme der Swiss durch die Lufthansa noch zu frisch. Aber eine Sortierung der Destinationen nach Flughäfen würde Sinn ergeben.

Wie würde eine solche Lösung aussehen?

Kerkloh: Die habe ich nicht in der Schublade. Aber es wäre sicher so, dass die Überschneidungen von Destinationen aufgeteilt werden müssten. Die Grundlagen dazu würden sich zum einen aus den Bedürfnissen der Allianz-Partner ergeben und zum anderen aus der Funktionalität und der Qualität der einzelnen Flughäfen.

Ist für Sie eine Beteiligung am Flughafen Zürich eine Option?

Kerkloh: Nein. Wir bauen lieber eine dritte Start- und Landebahn.

Würde eine Beteiligung der Lufthansa am Flughafen Zürich Sinn ergeben?

Kerkloh: Da müssen Sie die Lufthansa fragen. Aber vielleicht hält Lufthansa bereits schon Aktien vom Flughafen Zürich (lacht).

Wann kann konkret über eine engere Zusammenarbeit oder eine «Arbeitsaufteilung», wie Sie es genannt haben, gesprochen werden?

Kerkloh: Jede Integration braucht Zeit. Aber ich glaube, dass wir uns schon bald an einen gemeinsamen Tisch setzen können. Die Zusammenarbeit zwischen Frankfurt, München und Zürich ist dabei aber nur ein Punkt.

Und welches ist der andere Punkt?

Kerkloh: Die Systempartnerschaft zwischen diesen Flughäfen und der Wettbewerb mit anderen Airports wie Paris, Mailand oder Amsterdam. Der Konkurrenzkampf sollte sich ja nicht in erster Linie innerhalb der Flughäfen einer Allianz, sondern zwischen den Hubs der verschiedenen Allianzen abspielen.

Wie sieht die Drehkreuze-Landschaft 2010 aus?

Kerkloh: Ich glaube, die Hub-Landschaft wird sich in den kommenden fünf Jahren stärker konzentrieren, aber nicht signifikant verändern. Es wird grosse Drehkreuze geben, und in der zweiten Reihe kleinere Hubs, die in Nischen überleben können. Sicher ist, dass die Dynamik bei den Flughäfen deutlich zunehmen wird.

Welchen Einfluss auf den Wettbewerb zwischen den Flughäfen werden Grossraumflugzeuge wie der A380 haben?

Kerkloh: Die Hubs werden gestärkt und können bei Kapazitätsengpässen mit den vorhandenen Slots viel mehr Passagiere befördern.

Wie sieht die Luftfahrt 2015 aus?

Kerkloh: Wir werden neue Wachstumsmärkte in bedeutendem Umfang sehen. Die schlafenden Riesen wie China wachen nun auf. Das erfordert riesige Investitionen, die getätigt werden. Die Luftfahrt wird mehr denn je zum Wachstumstreiber. Die Verkehrssegmente werden sich weiter ausdifferenzieren: Es wird sicher Low-Cost-Langstrecken auf der einen und auf der anderen Seite im High-End-Bereich tolle neue Produkte geben.

-----

Steckbrief: Seit viereinhalb Jahren Chef

Name: Michael Kerkloh

Funktion: Vorsitzender der Geschäftsführung Flughafen München

Alter: 53

Wohnort: Allershausen (D)

Familie: Verheiratet, ein Sohn

Ausbildung: Diplom-Volkswirt und Promotion zum Dr. rer. pol

Karriere

- 1987-1995 Operativer Leiter für Betriebsplanung, Flughafen Frankfurt

- 1995-2002 Geschäftsführer der Hamburger Flughafengesellschaft

- Seit 2002 Vorsitzender der Geschäftsführung, Flughafen München

-----

Firma: Flughafen München

Der Flughafen wird 2006 voraussichtlich einen Gewinn von über 20 Mio Euro bei einem Umsatz von mehr als 700 Mio Euro erzielen. Die Zahl der Flugbewegungen wird erstmals auf über 400000 und die Zahl der Passagiere auf über 30 Mio klettern. Der am 17. Mai 1992 in Betrieb genomme Airport ist der zweitgrösste Flughafen Deutschlands und zählt 25000 Beschäftigte. 2020 sollen es 45000 sein. In der Rangliste nach Passagieraufkommen belegte er 2005 in Europa Rang 8 und weltweit Rang 33. Der Flughafen ist zu 100% im Besitzer der öffentlichen Hand.

Die Drehkreuze im Vergleich: Der Flughafen Zürich verliert den Anschluss an das Münchner Wachstumswunder

2001 kam der Wachstumsknick: Mit dem Grounding der Swissair fiel auch der Flughafen Zürich in ein Loch. Die Passagierzahlen schrumpften 2001 von über 21 Mio auf knapp 18 Mio. Der Flughafen, konzipiert als eines der wichtigsten Drehkreuze Europas, entging knapp einem Kollaps.

Der Flughafen München dagegen, der bis 2001 nach Zahl der Flugbewegungen noch hinter Zürich und bei den Passagieren gleichauflag, zog am Schweizer Hub vorbei (siehe Grafik). 2005 zählte der Munich Airport bereits 10 Mio Passagiere mehr als Zürich und wird diesen Abstand heuer weiter ausbauen. Gleiches gilt für die Zahl der Starts und Landungen. Bei den angeflogenen Ländern liegen Zürich und München mit je 67 zwar gleichauf, bei den Zieldestinationen liegt München mit 237 jedoch deutlich vor Zürich mit 148. Vor allem in den Boomregionen Asien und Osteuropa konnte der Flughafen München an neuen Destinationen zulegen und die vorhandenen Frequenzen deutlich steigern. Der vor 14 Jahren in Betrieb genommene deutsche Flughafen überrundete mit seinem Angebot an Destinationen 2005 sogar London Heathrow.

Auch in Sachen Umsatz hat München mit 680 Mio Euro (1,06 Mrd Fr.) die Nase vor Zürich mit 702 Mio Fr. Der Reingewinn dagegen ist mit rund 5 Mio Euro (7,9 Mio Fr.) im Vergleich zu Zürich mit 59 Mio bescheiden. Schon in diesem Jahr will das Management in München über 20 Mio Euro Gewinn erzielen und damit das Unternehmen weiter Richtung Börsengang vorbereiten. Dieser wird immer wahrscheinlicher, da München sein 23%-Paket raschmöglichst verkaufen will. Auch die anderen beiden Eigner, der Freistaat Bayern (51%) und die Bundesrepublik Deutschland (26%), könnten mittelfristig ihre Anteile verkaufen. Damit würde für den Flughafen der Weg für ein Going Public frei.

Die Infrastruktur jedenfalls ist auf weiteres Wachstum ausgelegt: Der Flughafen München kann über 45 Mio Passagiere pro Jahr abfertigen, Zürich 35 Mio. Und mit der dritten, für 2011 geplanten Start- und Landebahn steigt die Zahl möglicher Starts und Landungen in München auf 120 pro Stunde heute sind es 90.