Wie von Ihnen vorausgesagt, ist der Erdölpreis nach dem Krieg im Irak beträchtlich gesunken. Wo wird sich der Preis längerfristig einpendeln?
Auf längere Sicht wird sich der Preis pro Barrel bei 20 bis 23 Dollar stabilisieren.
Hat die von Ihnen geführte Firma Yukos Verträge mit dem Irak?
Nein, wir waren nie im Irak tätig.
Sie unterstreichen stets die grosse Bedeutung der USA für Russland, zuletzt in einem Interview mit «BusinessWeek». Warum schätzen Sie diese Partnerschaft für Ihr Land als so zentral ein?
Für die wirtschaftliche Entwicklung! Russland braucht Investitionen, Technologie und Märkte. Auch bezüglich Marketing und Unternehmensorganisation liegen wir zurück. Die Antwort auf die Frage, wer uns den grössten Nutzen bringt, scheint mir klar: Amerika.
Kann all das, was in Ihrem Land fehlt, nicht auch Europa beisteuern?
Die Russen verhalten sich mehr wie die Amerikaner als wie die Europäer. Wir versuchen pragmatisch zu sein, brechen gerne aus vorgegebenen Strukturen aus. Europäer sterben fast, wenn sie etwas über Bord werfen sollten. Wenn Europäer die Wahl haben, weniger zu arbeiten oder mehr zu verdienen, wählen sie das Erste.
BP hat kürzlich für sieben Milliarden Dollar einen grossen Teil Ihres russischen Konkurrenten TNK übernommen. Wie hat sich das auf Yukos ausgewirkt?
Auch die Yukos-Aktien haben an Wert gewonnen, und das ist gut so. Was British Petroleum betrifft, so wird der Konzern den Anteil sicher noch weiter erhöhen, wenn sich der Einstieg bei TNK positiv entwickelt. Wenn nicht, werden die Engländer in Russland kaum zukaufen.
Nun hat man lesen können, dass BP offenbar auch mit Ihnen Gespräche geführt hatte. Suchen Sie jetzt einen anderen Partner, beispielsweise Shell?
Wenn wir von Partnern sprechen, verstehen wir darunter etwas anderes als Ihr Journalisten. Wenn wir sagen, Shell ist ein Partner, so sprechen wir über den Abbau einer konkreten Lagerstätte. Journalisten meinen aber, dass wir uns an Shell angliedern oder verkaufen wollen. Die Yukos-Manager wollen dies nicht und können dies auch nicht. Unsere Mehrheitsaktionäre, deren Anteil 60,5 Prozent beträgt, haben ihre Pläne ja bereits angekündigt ?
? sie wollen bis ins Jahr 2005 auf mindestens 50 Prozent reduzieren. Wer wird kaufen?
Diese Entscheide laufen über UBS Warburg (in Zürich, Red.), den Investitionsberater der Mehrheitsaktionäre. Ich nehme nicht an diesen Beschlüssen teil. Mein eigenes Aktienpaket wird von Platon Lebedew (Chef Menatep, Red.) verwaltet; er ist bevollmächtigt, die Mehrheitsaktionäre von Yukos zu vertreten.
Wenden wir uns Ihren CEO-Aufgaben zu. Welches sind Ihre grössten Investitionsvorhaben?
Wir verfolgen mit anderen zwei Grossprojekte. Eine Pipeline Richtung China und eine nach Murmansk im Norden. Nun hat die Regierung aber verlauten lassen, dass sie dieses Projekt selbst finanzieren möchte. Ich habe meine Zweifel, ob das gelingt. Vielleicht können sie das Geld für das China-Projekt beschaffen. Für Murmansk bin ich mir nicht sicher. Wenn wir diese Milliardenvorhaben ausser Betracht lassen, so investieren wir erstens in die Entwicklung unserer Lagerstätten. Zweitens investieren wir in die Erneuerung unseres Tankstellennetzes. Wir möchten das Netz von 1000 auf 3000 Tankstellen aufstocken. Drittens geht es um den Erwerb und die Erneuerung von Raffinerien. Darüber hinaus schauen wir uns nach Möglichkeiten im Ausland um.
Tankstellen in Deutschland waren einmal ein Thema ?
Diese Pläne existierten nur in den Köpfen der Journalisten. Wir gehen ganz pragmatisch vor. Entweder sind es Projekte, mit denen wir mehr Erdöl verkaufen können, oder solche, bei denen mindestens 15 Prozent Rendite auf das investierte Kapital verdient werden kann. Tankstellen, Sie werden es verstehen, gehören bei solchen Vorgaben nicht dazu (lacht).
Wie viel Öl verkauft Yukos ins Ausland?
Von den geförderten 70 Millionen Tonnen gehen 40 Millionen als Rohöl über die Grenzen plus 15 Millionen als Erdölprodukte.
Das Öl ist der Motor der russischen Wirtschaft. Wo steht die Ökonomie heute?
Auf die Frage: «Wie gehts?», antwortet ein Amerikaner: «Ausgezeichnet.» Ein Schweizer sagt: «Normal.» Wenn Sie aber einen Russen fragen, so heisst es: «Oh, ganz schlimm.» Keine dieser Antworten bildet jeweils die Wirklichkeit ab. Um unsere Wirtschaft steht es nicht schlecht. Der Lebensstandard der Bevölkerung ist in den letzten Jahren stark angestiegen, obwohl Sie für diese Aussage draussen auf der Strasse geschlagen würden.
Doch die Wirtschaft ist nach wie vor rohstofflastig.
Die Rohstoffe machen rund 30 Prozent aus, was nicht übertrieben ist. Davon entfallen auf die Erdölindustrie 15 Prozent. Was die Proportionen im Fall von Russland verzerrt, sind die beträchtlichen Transportkosten. Doch das Problem der russischen Wirtschaft ist das Marketing. Mein Lieblingsbeispiel: Nehmen Sie eine Grosspackung Aspirin, die bei Ihnen vielleicht fünf Franken kostet, bei uns bloss 50 Rappen. Ich spreche von russischem Aspirin, das von der Qualität her absolut identisch ist. Doch versuchen Sie mal, russisches Aspirin bei Ihnen zu kaufen. Ich könnte noch viele andere Beispiele aufzählen, die zeigen, dass wir mit unseren Produkten ein Marketingproblem haben.
Und sonst?
Effizient entwickelt sich bei uns die Grossindustrie. Dagegen sind die Klein- und Mittelunternehmen enorm schwach. Das beunruhigt uns sehr. Hier wächst ein Beschäftigungsproblem heran, das uns Angst macht.
Wie könnte der Staat gegensteuern?
Das Schlüsselproblem ist ganz gewiss die Bürokratie sowie die damit zusammenhängende Korruption. Das zweite Problem ist das komplizierte Steuersystem. Und das dritte besteht im Mangel an Personen mit Unternehmergeist.
Welche Lösungen sehen Sie da?
Das dritte Problem löst sich mit der Generation der 25-Jährigen, die bereits im neuen Russland aufgewachsen sind. Die beiden anderen hängen mit der fehlenden Zivilgesellschaft zusammen. Die Grossbetriebe können ihre Interessen selbst verteidigen. Die kleineren Unternehmen brauchen dazu jedoch die Unterstützung einer Zivilgesellschaft.
Sieht Präsident Putin diese Probleme?
Putin hört ohne Zweifel zu, wenn diese Probleme diskutiert werden. Viele unserer Journalisten fragen ebenfalls: «Warum macht Putin nichts?» Ich frage dann immer: «Warum wollt Ihr uns wieder einen Zaren auf den Hals hetzen?»
Er soll doch dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen.
Der Präsident soll sich nicht einmischen. Seine Aufgabe besteht darin, bei Gefahr dafür zu sorgen, dass die Dinge nicht ausser Kontrolle geraten. Sicher kann er Ideen einbringen, aber diese sollten das widerspiegeln, was die Gesellschaft will. Man kann von ihm nicht fordern, dass er die Arbeit der Gesellschaft erledigt. Dazu haben wir das Parlament. Eine Figur wie Peter den Grossen habe ich nie gemocht. Ich würde ihn in eine Reihe mit Stalin einordnen. Er hat das Land zwar vorwärts gebracht; gleichzeitig hat sich aber die russische Bevölkerung um 20 Prozent reduziert. Einen solchen Preis dürfen wir nie wieder zahlen.
Welche Wirkung haben Sie?
Meine Kollegen und ich sind zweifellos ein Vorbild für die jüngere Generation, unabhängig davon, was heute über uns gesagt wird. Unsere Aufgabe ist es, zu zeigen, dass in Russland grundsätzlich jeder Mensch erfolgreich sein kann. Eine Voraussetzung für den Erfolg ist sicher die Ausbildung. Jedes Kind sollte eine gute Ausbildung erhalten.
Welches ist Ihr Beitrag dazu?
Wir engagieren uns sehr für die Internetausbildung. Anfänglich waren viele skeptisch, als wir sagten, dass wir jährlich 50 000 Lehrer ausbilden möchten. Diese Zahl werden wir jedoch bis 2005 erreicht haben. Im Moment liegen wir mit der Ausbildung bei 15 000 Lehrern pro Jahr. Weiter unterhalten wir in Gegenden, wo wir tätig sind, so genannte Yukos-Klassen. Diese stehen hoch begabten Schülern offen, damit sie das Niveau für den Eintritt in die besten Universitäten erreichen können. Dafür erhalten sie dann auch Stipendien.
Sie werden als Oligarch bezeichnet. Ein Schimpfwort oder eine Auszeichnung?
Das Wort gefällt mir nicht. Es hat zwar ein klare inhaltliche Bedeutung, die verständlich ist, aber nicht der Wirklichkeit entspricht. In Russland hat es nie Oligarchen gegeben, selbst zur Zarenzeit nicht. Der Staat war stets mächtig genug und brauchte keine Oligarchie, um seine Ziele durchzusetzen. Die Oligarchie ist eine westliche Vorstellung, die man uns einfach übergestülpt hat. Unsere Möglichkeiten, die wir als Chefs der Grossunternehmen haben, sind nicht grösser als diejenigen ähnlicher Unternehmensführer in den USA. Oder vielleicht sogar geringer. Wie lange, meinen Sie, dauert es, bis der Präsident von General Electric den amerikanischen Präsidenten am Telefon hat?
Zehn Minuten?
Zehn Minuten! Ich brauche drei Monate, bis ich den Präsidenten Russlands telefonisch erreiche. Wenn sich General Electric gegen einen Gesetzesentwurf ausspricht, so dürfte die Wahrscheinlichkeit 50 Prozent betragen, dass man sogar darauf eintritt. Auf jeden Fall werden die amerikanischen Politiker ernsthaft zuhören. Das kann ich inzwischen auch für Russland sagen. Man hört mir aufmerksam zu. Und das zeigt, dass die Gesellschaft gereift ist.
Es gibt Gerüchte, dass Sie selber in die Politik gehen möchten.
Wissen Sie, die Politik ist ein anderes
Business.
Es heisst, dass Ihre Frau und die Kinder eine Zeit lang aus Sicherheitsgründen in Zürich leben mussten.
Das stimmt nicht. Meine Frau hat die Zwillinge in der Schweiz zur Welt gebracht. Sie war dort, weil die Entbindung schwer verlief. Die Schweizer Ärzte haben übrigens alles sehr gut
gemacht.
In der Öffentlichkeit sind Sie stets von Bodyguards umgeben. Wie weit ist der Tag entfernt, dass Sie sich ohne diese Begleiter in Moskau bewegen können?
Sobald Bill Gates in New York oder Washington ohne Bodyguards auftreten kann, verzichte auch ich auf meine Begleiter.
Zur Person
Sein Auftritt ist diskret. «MBCH», wie die Ölbranche Michail Borisowitsch Chodorkowski nennt, könnnte sein eigener Assistent sein. Krawatten bindet er sich kaum um, sei das am WEF in Davos oder wie jetzt im neuen, eleganten Hauptquartier in Moskau. Er ist erst 39 Jahre alt und mit acht Milliarden Dollar der reichste Russe («Forbes») und Lenker von Yukos, des nach Branchenprognosen bald grössten Öl- und Energiekonzerns im Land. Der einzige Sohn von Moskauer Fabrikarbeitern studierte Chemie und Wirtschaft und machte im kommunistischen Jugendverband Komsomol Karriere. Konsequent nutzte er die neuen Freiheiten, eröffnete ein Café, handelte mit Computern und liess Matrjoschka-Puppen des Liberalisierers Gorbatschow fertigen. Dann gründete der frühere Karatekämpfer und Major der russischen Armee, wie das viele andere in den wilden Jelzin-Jahren auch machten, eine Bank, die Menatep, und ersteigerte als 32-Jähriger mit Gleichgesinnten «for a song» («Observer») die Mehrheit an der staatlichen Yukos, die er als stellvertretender Ölminister, der er dazwischen praktischerweise auch noch war, bestens kannte. Wohlgemerkt, Menatep war die Bank, die auch die Auktion durchführte. Das Geldhaus rauschte bald in die Pleite und hinterliess eine wütende ausländische Gläubigerschar.
Was solls!
Chodorkowskis Held heisst John D. Rockefeller, der Vater der amerikanischen Ölindustrie: «Er war nicht der Sauberste, sein Sohn war schon etwas besser, und sein Neffe war perfekt anständig.» Hätten die Rockefellers für diesen Weg hundert Jahre gebraucht, so habe er persönlich die gleiche Strecke in ein paar Jahren zurückgelegt, wie der Russe dem «Guardian» erzählte. Und ganz wie seine westlichen Vorbilder unterstützt er längst philanthropische Werke mit Millionen von Dollars.
Yukos: Paradekonzern
Yukos ist mit 100 000 Mitarbeitern Russlands Parade-Ölkonzern, der seine Zahlen nach den strengen US-GAAP-Bilanzierungsregeln veröffentlicht. Die Aktien sind an der Moskauer Börse kotiert, die Börsenkapitalisierung liegt bei 20 Milliarden Dollar. 2002 förderte Yukos über 500 Millionen Barrel Öl und 2,4 Milliarden Kubikmeter Gas. 2001 betrug der Gewinn 3,2 Milliarden Dollar, wovon 500 Millionen Dollar ausgeschüttet wurden; der Umsatz lag bei gegen zehn Milliarden Dollar. Chairman Michail Chodorkowski beherrscht Yukos über die Finanzholding Menatep, die 60,5 Prozent am Energieunternehmen besitzt. Menatep wiederum kontrolliert er zu 60 Prozent. Die Finanzgesellschaft hat ihren Sitz in Gibraltar und schmückt sich mit Beiräten wie Otto Graf Lambsdorff und Stuart Eizenstat.