Sorgfältig gebündelt lag das Geld in einem diskreten Kassenschrank. Lediglich zwei Anwälte kannten die Kombination zur Stahltür. Nachts holten sie die frisch gedruckten Dollarnoten jeweils aus dem Tresor und trugen sie in braunen Papiertüten unbeachtet weg.

Was an einen billigen Finanzkrimi gemahnt, ist die unterhaltsamste Passage einer Anklageschrift, die in der US-Geschäftswelt derzeit Wellen schlägt. Die Staatsanwältin von Kalifornien klagte Mitte Mai die Anwaltskanzlei Milberg Weiss sowie zwei von deren Partnern wegen Betrugs und Bestechung an. Zwanzig Jahre lang soll die Firma systematisch Kläger geschmiert haben. So auch im Fall der börsenkotierten Biotechfirma Genentech, die der Basler Roche gehört. Diese Klage dürfte fatale Folgen haben für die einflussreichste Kanzlei Amerikas. «Milberg Weiss wird untergehen», sagt Daniel Becnell, ein prominenter Anwalt aus Louisiana, der unter anderem die Vioxx-Klagen gegen Merck koordiniert.

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Und so droht ausgerechnet Milberg Weiss die Pleite, dem Giganten des juristisch-industriellen Systems der USA.

Niemand hat in den letzten vierzig Jahren das Rechtswesen nachhaltiger geprägt. Mehr als die Hälfte aller amerikanischen Aktionärsklagen gingen über die Tische der Kanzlei. Sie trieb die Vergleichssumme in diesem lukrativen Bereich von 145 Millionen Dollar im Jahr 1997 auf über 20 Milliarden Dollar im Jahr 2005 hoch. Umso grösser fällt nun die Schadenfreude in den Chefetagen von kotierten Konzernen aus.

Horrende Beträge rang ihnen die Kanzlei ab. Allein 2004 und 2005 schloss Milberg Weiss Vergleiche im Umfang von 1,5 Milliarden Dollar. Fast ebenso viel – 1,4 Milliarden – umfasst ein einziger Vergleich mit Investmentbanken, die beschuldigt werden, die Internetblase widerrechtlich angeheizt zu haben. Die Busse, unter anderem beglichen von der Credit Suisse, soll heuer ausbezahlt werden. Im März war ein weiterer Schweizer Konzern betroffen: Die Versicherungsgesellschaft Zurich North America zahlte 100 Millionen Dollar in einem Vergleich, den Milberg Weiss angestrengt hatte.

Weltweit berühmt wurde die Kanzlei durch die Holocaust-Klage gegen Schweizer Banken. Gründungspartner Melvyn Weiss agierte damals als einer der führenden Klägeranwälte – und zwar unentgeltlich.

Weniger generös springen seine Anwälte mit Firmen um, deren Aktienkurse rasant fallen. Wie Geier stürzen sie sich auf jedes erdenkliche Fehlverhalten, seien es nun Mängel in der Buchführung, eine aufgeblähte Gewinnprognose oder eine nicht ausgesprochene Warnung. «Niemand geht aggressiver vor als Milberg Weiss», sagt der Sprecher einer grossen Bank hinter vorgehaltener Hand. «Ihre Beweislage ist aber meist sehr dünn.»

Und nicht nur dies. Oft fehlen anfänglich gar die Kläger. Die Anwälte warten nämlich nicht darauf, bis ein Geschädigter um Hilfe nachsucht. Viel eher, so die kalifornische Klageschrift, sucht die Kanzlei aktiv nach möglichst aussichts- und ertragsreichen Zielen. Um die passenden Kläger bemüht sie sich dann später. Solche sind indes nicht immer einfach zu finden, denn Investoren, die ihre eigene Firma verklagen, profitieren selten. Klagen und Vergleich trüben den Kurs ihrer Aktien. Und: Den Klägern bleibt meist nur ein Bruchteil der Verdiktsumme, während das Gros an die Anwälte geht.

Den Mangel an Geschädigten behob Milberg Weiss schamlos mit dem gezielten Griff in den geheimen Tresor – und kaufte sich welche. Rund elf Millionen Dollar gab die Kanzlei dafür zwischen 1984 und 2005 aus. Eine happige Investition, die sich aber auszahlte, sicherte sich die Firma damit doch 216 Millionen Dollar an Honoraren.

Oft ging das Schmiergeld an dieselben Personen. Etwa an Howard Vogel aus New Jersey, seine Frau oder den Stiefsohn. Zusammengezählt erschienen sie vierzig Mal zuoberst auf Klageschriften von Milberg Weiss. Gar siebzig Mal klagte die Familie von Seymour Lazar aus Palm Springs in Kalifornien. Betroffen waren Konzerne wie British Petroleum, United Airlines oder die Waffenschmiede Lockheed.

Keineswegs zufällig besassen Vogel und Lazar eine derartige Menge Aktien von Firmen, deren Kurse dann einbrachen. Gezielt kauften sie gefährdete Wertschriften, angeleitet von den vifen Milberg-Weiss-Anwälten. Ein klarer Verstoss. Ebenso strafbar sind die Schmiergelder, die Vogel – 2,4 Millionen Dollar – jahrelang bezog.

Der pensionierte Anwalt Seymour Lazar seinerseits erhielt insgesamt 210 000 Dollar Bargeld, um Genentech zu verklagen. Die in San Francisco ansässige Biotechfirma schloss 1991 einen Vergleich in Höhe von 29 Millionen Dollar.