Zahlen Genfer Privatbanken die Zeche für eine politische Abrechnung, die derzeit in höchsten Regierungskreisen von Kuwait stattfindet? In einem Strafantrag, der unserer Schwesterzeitung «Le Temps» anonym als Kopie zuging, wirft die kuwaitische Sozialversicherungsbehörde (PIFSS) ihrem ehemaligen Generaldirektor Fahad Al-Rajaan (FAR) und dessen Ehefrau Korruption, Veruntreuung, Vertrauensbruch, Geldwäsche und Urkundenfälschung vor. Die in diesem Dokument geschilderten Abläufe beziehen auch die Bank Mirabaud und ihren Ex-Präsidenten Pierre Mirabaud, der sich 2009 aus dem Geschäft zurückzog, mit ein. Die Bundesanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, bei dem auch von den Banken Mirabaud und Pictet gezahlte Provisionen Gegenstand der Untersuchung sind.
Der Ende 2015 vom kuwaitischen Rentenfonds gestellte Strafantrag nennt die Summe von über 200 Millionen Dollar, die seit 1996 aus ihren Kassen «veruntreut» worden seien. «Weitere ganz erhebliche Summen, die aus illegalen Rückzahlungen aus Investitionen der PIFFS stammen, sind auf verschlungenen Pfaden von schweizerischen oder ausländischen Bankinstituten auf die privaten Konten von FAR geflossen», heisst es in der Klage. Diese Abläufe – entweder Transaktionen über eine unüberschaubare Zahl von Offshore-Gesellschaften – , bei denen «dubiose Provisionen (zum Zweck der Bereicherung von FAR und seiner Gattin) gezahlt wurden, sind nicht vollständig aufgeklärt, manche Transaktionen konnten wegen mangelnder Transparenz nicht nachvollzogen werden», behauptet die PIFSS.
Kuwait: Scheich gegen Scheich
Die kuwaitische Rentenkasse, die rund 80 Milliarden Dollar verwaltet, geht von einem erlittenen Verlust aus, dessen «Bezifferung erst ganz am Anfang steht». Die Behörde behält sich das Recht vor, ihre Klage zu erweitern. «Diese äusserst komplizierten Kreisläufe [...] sind nur ein heute bekanntes Beispiel für die Machenschaften von FAR, es müssen noch weitere höchst verdächtige Zahlungen auf seine Schweizer Konten untersucht werden.»
Genannt werden etwa die Banken Edmond de Rothschild, Edouard Constant, Credit Suisse, Cornèr und EFG Private Bank. Aber auch die Bank Pictet, die gemäss Informationen von «Le Temps» bereits Gegenstand einer Bundesermittlung wegen an FAR gezahlter Provisionen ist.
Schweizer Bank bot Geld
Ende September deckte die Nahost-Presse auf, dass eine Schweizer Bank, deren Name nicht näher genannt wird, den kuwaitischen Behörden 30 Millionen Dollar geboten habe, um schlechte Publicity in Zusammenhang mit dem laufenden Verfahren zu vermeiden. Der Artikel gibt keine Auskunft darüber, ob der Golfstaat die Zahlung akzeptiert hat.
Die Affäre steht im Zusammenhang mit einem Machtkampf in Kuwait. In einer heftigen Auseinandersetzung stehen sich die Scheichs Nasser und Ahmed gegenüber. Sie sind Kandidaten um die Nachfolge des derzeitigen Emir. Seit Monaten werfen sich die Rivalen gegenseitig vor, Genfer Banken zur persönlichen Bereicherung missbraucht zu haben. FAR gilt als Anhänger von Scheich Ahmed. «Das Vorgehen gegen ihn», erklärt Anwalt Matthew Parish von der Genfer Kanzlei Gentium Law, «dient auch der Einschüchterung der politischen Verbündeten seines Feindes, da die Genfer Tresore mit kuwaitischem Geld voll sind.» Parish ist an einem weiteren Verfahren im Zuge dieser Auseinandersetzung unter Clans beteiligt.
Immobilien am Genfersee
Laut dem Strafantrag der PIFSS beläuft sich der Schaden, welcher ihr durch die Machenschaften ihres Ex-Chefs und der vermuteten Beihilfe des Genfer Finanzplatzes entstanden ist, zurzeit auf über 200 Millionen Dollar. Diese geschätzte Summe habe es FAR vor allem ermöglicht, Immobilien am Genfersee, in St. Moritz, auf Phuket sowie anderswo zu erwerben.
Weder FAR, seine Gattin, die PIFSS noch Kuwait wollten sich zu dem Fall äussern. Die Banken Pictet und Mirabaud, «sehen keine Veranlassung, diese Affäre zu kommentieren». Pierre Mirabaud seinerseits streitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ohne weitere Ergänzungen ab.
Beschlagnahmte Vermögen
Laut Recherchen geht die Schweizer Episode der internationalen juristischen Auseinandersetzung bis ins Jahr 2012 zurück. Zum damaligen Zeitpunkt eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren auf ein Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Kuwaits. Die Schweizer Behörde lieferte Ende 2014 die von den kuwaitischen Behörden geforderten Beweise. Doch eine parallel dazu eingeleitete Voruntersuchung zum Thema Geldwäsche durch die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) ergab im Mai 2012 den Verdacht einer illegalen Bereicherung von FAR. Im Januar 2015 forderte die Schweizer Justiz die PIFSS auf, selbst Anklage zu erheben und ihre Rechte gegenüber dem Beschuldigten, seiner Ehefrau und Unbekannt geltend zu machen.
Weder gegen die Banken Mirabaud und Pictet noch gegen Pierre Mirabaud oder irgendein anderes Geldhaus läuft vonseiten der Bundesanwaltschaft ein Verfahren. Bislang wurden lediglich FAR und seine Ehefrau, die ihren Wohnsitz seit 1990 in der Schweiz haben, in Gewahrsam genommen. Ein Teil ihres Finanzvermögens und Immobilienbesitzes ist seit fast zwei Jahren vorübergehend beschlagnahmt. Diese Massnahme erfolgte trotz mehreren Berufungsverfahren vor Bundesgerichten sowie vor der höchsten britischen Rechtsinstanz.
Angeklagter soll Türen geöffnet haben
Die Klage der PIFSS basiert auf Informationen und weiteren Beweisstücken, welche von Mirabaud im Zuge der Zusammenarbeit mit der Strafverfolgung in Kuwait freiwillig zur Verfügung gestellt wurden. «Wie die Bundesanwaltschaft in ihrer Mitteilung vom Januar 2015 andeutet, hatte dies [der Grad der Komplexität dieser Transaktionen] eindeutig nur ein Ziel: die wahre Herkunft und den wahren Nutzniesser der Zahlungen im Unklaren zu lassen. Mit anderen Worten: die Bestechung [von FAR] zu verschleiern und das Strafverfahren zu behindern», argumentiert die Rentenkasse Kuwaits. Da es sich bei FAR um eine politisch exponierte Person handle, vermutet die PIFSS, «hätte die Bank versucht, den ökonomischen Hintergrund dieses Kontos aufzuklären, und hätte die Geschäftsbeziehungen beendet beziehungsweise gar der MROS gemeldet».
FAR war als Finanzier sehr aktiv und war Präsident mehrerer internationaler Bankinstitute. Er war vor allem im Bereich Hedgefonds ein anerkannter Experte und reiste in Privatjets um die Welt, um sein Know-how weiterzugeben. Indem er Mirabaud die Türen zu bestimmten Fonds geöffnet habe, so die PIFSS, hätte ihm die Bank den Status eines «Geschäftspartners» verliehen.
Brisante Nebeneinkünfte
Eine solche Tätigkeit wird in der gängigen Praxis mit entsprechenden Zahlungen für die geleisteten Dienste vergütet. Dies ist nach Ansicht der PIFSS illegal, da sie FAR als früheren Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes einstuft, der ein monatliches Bruttogehalt von 20 000 Dollar erhielt und dem keine weiteren Einkünfte gestattet gewesen seien. «Die [von FAR eingestrichenen] Provisionen wurden aufgrund der Summe der Fondsinvestitionen berechnet, also auf der Basis der Anteilswerte, es bestand also kein Bezug zu Einnahmen für deren Verwaltung. Diese Zahlung erfolgte also nicht im Gegenzug für Dienstleistungen, sondern für die Vermittlung und Pflege unseres Kundenstamms», behauptet die Klage aus Kuwait.
Das Schweizer Strafverfahren wird vor allem nachweisen müssen, ob die PIFSS tatsächlich keine Kenntnis von der Existenz regelmässiger Zahlungen an ihren Ex-Direktor hatte – insbesondere durch Genfer Banken. Dies ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch alles andere als klar.