23 Prozent: Knapp ein Viertel der Schweizer Stimmbürger gab am 5. Juni ein Ja für das bedingungslose Grundeinkommen ab. Das ist ein weiter Weg hin zu einer Mehrheit. Es sind aber genügend Stimmen, um zu zeigen, wie sehr das Gedankenexperiment die Schweizer bewegte. Selten hatte eine Kampagne von links nach rechts im politischen Spektrum derartige Diskussionen, Streitereien und ungewöhnlichen Allianzen angestossen.

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Im Herzen der Kampagne war immer er: Daniel Häni. Der Gründer des Kaffeehauses Mitte in Basel hielt sich bei den Aktionen teils verschmitzt lächend zurück, oder gab Interviews, die nur so aus ihm herauszusprudeln schienen. Nicht anders ist das, als wir ihn ein halbes Jahr nach der Abstimmung zum Interview treffen.

Herr Häni, die Abstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen ist vorbei. Kam für Sie danach das grosse Loch?
Daniel Häni*: Nein. Wir haben mit dem Kampagnenteam ein Debriefing veranstaltet, damit keiner auf dem Adrenalin vom Abstimmungskampf hängen bleibt.

Wo haben Sie zum ersten Mal von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens gehört?
Im Nachgang zur Armeeabschaffungsinitiative (1989) las ich zum ersten Mal davon in der «Weltwoche». Die Armeeabstimmung hatte mich politisiert und wach gemacht für die Schweiz. Vorher war es mir immer etwas peinlich, Schweizer zu sein. Ich fand das Land kleinkariert und konnte mich nicht richtig damit identifizieren. Durch die Abstimmung merkte ich: Direkte Demokratie ist etwas Grandioses - ein grosses Kino der Selbstbestimmung. Und das Grundeinkommen ist die Weiterentwicklung des Selbstbestimmungsgedankens auf die Arbeit. Der Schlüssel dafür ist die Bereitschaft, die Existenz unserer Mitmenschen bedingungslos gewähren zu wollen.

Sie beschäftigen sich bereits ihr halbes Leben lang mit dem Grundeinkommen. Brauchen Sie erstmal eine Pause davon?
Nein, im Gegenteil. Ich entdecke immer neue Facetten an der Idee und bemerke, dass in der Gesellschaft das Bedürfnis nach der Debatte weiter wächst. Kurz nach der Abstimmung wurde ich zum Beispiel angefragt, ein Manifest zum Grundeinkommen zu schreiben, welches im Frühjahr erscheint*. Die Arbeit geht weiter: Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung.

Das heisst: Sie planen eine weitere Abstimmung zum Grundeinkommen?
Nicht jetzt sofort, aber es wird eine weitere geben, davon bin ich überzeugt. Wir haben am Abstimmungssonntag im Juni eine repräsentative Umfrage von gfs.bern veröffentlicht. Sie besagte, dass 69 Prozent der Schweizer damit rechnen, dass es zu einer zweiten Abstimmung kommen wird. Sogar die Mehrheit jener, die Nein gestimmt haben, rechnet damit.

Was würden Sie bei einer zweiten Abstimmung anders machen?
Ich würde die Fragen der Finanzierung und die der Arbeitsanreize noch grundsätzlicher beantworten. Diese waren die Hauptgründe, warum die Initiative abgelehnt wurde. Die beiden Bedenken haben auch den Bundesrat geleitet, die Nein-Parole zu fassen. Es ist ein Skandal, dass Bundesrat Alain Berset den Bürgerinnen und Bürgern unterstellt hat, sie würden faul, sobald ihre Existenz gesichert sei. Hier braucht es noch Aufklärungsarbeit.

Die Schweiz hat die Idee im Juni mit 77 Prozent klar abgelehnt. Meinen Sie wirklich, die Zeit ist reif für eine zweite Abstimmung?
Die Zeit war bereits jetzt reif, wir hatten fast jede vierte Person an Bord. Es herrscht in der Schweiz aber eine gefährliche Tendenz vor, zu meinen, Demokratie sei ein Gewinnspiel: eine Seite gewinnt, die andere verliert. Dem widerspreche ich. Demokratie ist eine Veranstaltung, an der Grundsatzfragen diskutiert werden. Eine zweite Abstimmung über das Grundeinkommen könnte also bei einer Weiterentwicklung dieses Diskurses Erfolg haben. Wie wichtig das Thema weiterhin ist, hat auch die weltweite Resonanz gezeigt.

Wie meinen Sie?
Selten hat eine Schweizer Volksinitiative, die nicht gegen sondern für eine Sache war, ein solches internationales Echo erlebt. In den USA ist die Debatte durch die Schweizer Abstimmung massgeblich ins Rollen gekommen. Leider etwas zu spät: Donald Trump wäre nicht gewählt worden, wenn es in den USA bereits ein Grundeinkommen gegeben hätte.

Wieso?
Weil die Bürger mit einem Grundeinkommen nicht so unzufrieden und frustriert wären, es gäbe weniger Wutbürger. Die Menschen wären selbstbestimmter und könnten mehr mitgestalten. Die Wahl Trumps ist ein Ausdruck von Ohnmächtigkeit. Wir brauchen aber Mutbürger.

Angenommen, das Grundeinkommen wäre im Juni angenommen worden, was hätte sich für Sie geändert?
Die Beziehung zu meinen Mitmenschen. Es wäre noch klarer, dass ich nicht zu bestimmen habe, was die anderen zu tun haben. Ich erwische mich immer noch dabei, wie ich entsetzt bin, wenn gewisse Arbeiten nicht gut gemacht werden, oder finde, sie müssten auf eine gewisse Art erledigt werden. Stellen Sie sich vor, alle machten das, was sie wirklich wollten. Mit einem Grundeinkommen könnte niemand mehr über Existenzangst zu etwas gedrängt werden. Wenn Sie gute Mitarbeiter wollen, müssten Sie diese mit Ideen und guten Arbeitsbedingungen überzeugen. Geld hätte weniger Macht, Sinn dafür mehr.

Zu wissen, was man mit seinem Leben wirklich anfangen will, bedarf viel Selbsterkenntnis und Eigenantrieb. Vielleicht ist die Initiative nicht nur an der Angst vor der Faulheit der Anderen gescheitert, sondern auch daran, dass viele diese Anstrengung scheuen?
Ich glaube, dass es nicht zielführend ist, den Anderen abzusprechen, was man für sich selbst in Anspruch nimmt. Freiheit ist anstrengend. Man muss sie wollen und erlernen. Das bedingungslose Grundeinkommen befördert diesen Lernprozess. Das jetzige System unterstützt die Frustration jener, die denken, sie könnten nichts und seien nicht gefragt. Das Grundeinkommen ermöglicht mehr freie, unabhängige Menschen. Diejenigen, die abhängige Mitbürger bevorzugen, sind gegen die Idee des BGE.

Einige Leute sind vielleicht froh, einen 9-5-Job zu haben, den sie erledigen, um sich danach ihren Hobbies oder der Familie zu widmen.
Ich finde diese «Work-Life-Balance» eine krankhafte Erscheinung. Ich trenne Arbeit und Freizeit schon seit langem nicht mehr. Ich lebe dadurch ein reicheres Leben, weil ich dieses nicht in Schubladen einteilen muss. Entscheidend ist dabei, ob man sich mit seiner Arbeit identifizierten kann. Ich beobachte, dass viele Menschen keine Erfüllung in ihrer Arbeit sehen und diese nur «überleben». Diese Menschen haben dann aber auch oft in ihrer Freizeit Probleme. Viele verfallen in eine Art Kompensationskonsum. Wer sich nicht mit seiner Arbeit identifizieren kann, hat oft auch eine schlechtere Freizeit.

Das ist aus ihre Position vielleicht leicht gesagt: Sie sind Chef von 80 Mitarbeitern und können sich Ihren Tag freier einteilen.
Es geht nicht um die Position, sondern um Selbstbestimmung. Mit einem Grundeinkommen könnte sich der Arbeitsalltag für alle Arbeitnehmer ändern. Sie sind dann nämlich nicht mehr über ihre Existenz erpressbar. Sie können freier entscheiden, bei welchem Unternehmen sie sich engagieren. Arbeitgeber werden mit Sinnhaftigkeit und besseren Bedingungen um ihre Mitarbeiter zu werben. Der Begriff «Arbeitgeber» ist ohnehin falsch: Denn die Arbeitskräfte geben ihre Arbeit, sie sind eigentlich die Arbeitgeber. Das würde mit dem Grundeinkommen klarer.

Dennoch können nicht alle Tierarzt oder Maler werden, nur weil sie das schon immer gerne wollten. Es wird immer noch Menschen geben, die Toiletten putzen müssen.
Es ist nicht befriedigend, etwas zu tun, wofür es keinen Bedarf gibt. Für jede Arbeitstätigkeit braucht es eine Nachfrage. Das ermöglicht der freie Markt. Durch das Grundeinkommen wird aber eine Neubewertung der Arbeit stattfinden. Der unwürdige Niedriglohnsektor wird wegfallen, weil es weniger Lohndruck nach unten gibt. Dadurch werden diese Jobs aufgewertet und die WCs geputzt werden.

Kritiker bemängeln, dass die Idee des Grundeinkommens sozialistische Elemente beinhaltet und fürchten um die Produktivität der Gesellschaft unter einem BGE.
Im Sozialismus gab es Arbeitszwang. Deshalb war auch die Produktivität mässig bis schlecht. Im Kapitalismus gibt es Arbeitszwang, weil die Existenz der Menschen nur unter Bedingungen gesichert ist. Mit beiden Missständen räumt das bedingungslose Grundeinkommen auf. Ich finde, in einer aufgeklärten Gesellschaft darf es weder Arbeitszwang noch Konkurrenz um die Existenz geben.

Ihr Kampagnenbüro lag in ihrem Baseler Kaffeehaus, der Mitte. Hier gibt es im Gegensatz zu vielen anderen Lokalen keinen Konsumzwang. Setzen Sie hier Elemente der Grundeinkommens-Idee in kleinem Rahmen um?
Ja. Das Verzichten auf Konsumzwang war sehr umstritten. Manche dachten, ich sei nicht mehr bei Trost. Aber das Geschäft funktioniert sogar sehr gut ohne den Zwang. Ein weiteres Element ist, dass wir kein Fremdkapital mit Stimmrecht zulassen. Das heisst, die Unternehmer sind immer auch die Eigentümer des Geschäfts und in voller Verantwortung. Zudem schliesst die GmbH das Privatisieren des Gewinns aus, wir Eigentümer dürfen uns nicht  am Gewinn aus der Erfolgsrechnung bedienen. Dadurch haben wir im Unternehmen eine ganz andere Stimmung.

Wieso?
Weil die Mitarbeiter wissen, dass das, was sie erwirtschaften, nicht in der Tasche des Chefs oder der Eigentümer landet. Das ist auch für die Kunden und Geschäftspartner gut zu sehen. Mein Einkommen als Unternehmer ist transparent und Teil der Erfolgsrechnung. So schiele ich nicht auf den Profit, um einen höheren Lohn rauszuschlagen und fälle dadurch als Unternehmer sachlichere Entscheidungen. Die Gewinne investieren wir ins Unternehmen für Verbesserungen und neue Produkte.

Lausanne hat eine Motion für ein Experiment mit einem Grundeinkommen angenommen, in Zürich wurde eine Motion für ein Pilotprojekt im Kreis 4 und 5 eingereicht. Was halten Sie davon?
Wer unsicher ist, ruft gerne nach einem Experiment. Wenn ein Pilotprojekt diese Unsicherheit auflöst, finde ich das gut.

Haben Sie selbst eine leise Angst vor dem Grundeinkommen?
Bedenken habe ich, dass die Idee von neoliberaler Seite missbraucht wird. Hier besteht die Gefahr, dass die Summe des Grundeinkommens soweit gedrückt wird, dass dieses ein Leben in Würde nicht mehr garantiert. Das Experiment in Finnland geht in diese Richtung.

* Daniel Häni, 1966 in Bern geboren, gründete 1999 zusammen mit zwei Partnern das Basler Kultur- und Kaffeehaus unternehmen mitte. Seither ist er dort geschäftsführender Gesellschafter. 2006 gründete er zusammen mit dem Künstler Enno Schmidt die «Initiative Grundeinkommen». Die entsprechende Vorlage lehnte das Schweizer Stimmvolk am 5. Juni 2016 mit 77 Prozent ab.

Das Manifest «Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre» von Daniel Häni und dem Philosophen Philip Kovce erscheint am 23. Februar 2017.