What, Switzerland?» hört Albert Kriemler oft, wenn er seine Kollektion neuen Kunden in Paris präsentiert. Für den Chefdesigner und Besitzer von Akris ist das ein Kompliment. Er hat mit seinem Unternehmen den internationalen Durchbruch geschafft und betreibt eigene Boutiquen in Deutschland, Frankreich, Monaco, den USA, Korea und Japan. Seit drei Jahren gehört Akris zur Fédération Française de la Couture du Prêt-à-Porter, des Couturiers et des Créateurs de Mode und findet sich im Kreise der wenigen nichtfranzösischen Häuser wie Issey Miyake, Valentino oder Vivienne Westwood wieder.

Für die übrige Modeszene ist die Frage «What, Switzerland» kein Kompliment, sondern ein Abbild der Realität: «Die Schweiz hat keine Ausstrahlung in die Modewelt», hat Anne Gorgerat Kall von Swiss Textiles festgestellt. Der Verband will das ändern und zeigen, dass die Branche den jüngeren Menschen etwas zu bieten hat.

Deshalb hat sich Anne Gorgerat, die PR-Leiterin, aufgemacht, mit einem grossen Budget diesen Zustand zu ändern. Zum Beispiel mit dem Swiss Textiles Award, der an der «Gwand» vom nächsten Wochenende (siehe Seite 10) vergeben wird. Der Gewinner oder die Gewinnerin erhält 200000 Fr. und kann auf das Netzwerk der Veranstalter zurückgreifen, um seine Kollektion international zu lancieren. Die letzten beiden Jahre setzten die Veranstalter auf einheimische Jungdesigner. Dieses Jahr lassen sie ausländische Modeschöpfer mitpräsentieren. Die Teilnehmer sind keine Schulabgänger mehr, sondern Berufsleute mit einigen Jahren Erfahrung. Trotzdem ist Anne Gorgerat unsicher, ob dieser Preis die Strahlkraft der Schweizer Modebranche verstärkt: «Die ?Gwand? hat zuwenig Ausstrahlung ins Ausland.» Deshalb überlegt sich Swiss Textiles seit der ersten Preis-Vergabe, wie dieses Manko zu beheben wäre. Den Preis abzuschaffen ist dabei durchaus eine Variante.

*Preis ist wichtig*

Das fänden die beiden ersten Gewinner Daniel Herman und Tran Hin-Phu schade. Tatsächlich zeigen die beiden viel versprechende Ansätze. Herman gewann vor zwei Jahren, hat den Betrag zwar verbraucht, und der wirtschaftliche Erfolg lässt auf sich warten. Dafür hat er dank dem internationalen Netzwerk der «Gwand» seinen Namen aufgebaut. Er verwendete das Preisgeld fast ausschliesslich für Werbung in eigener Sache. Den Höhepunkt bildete die Teilnahme an der renommierten London Fashion Week, was dem Ritterschlag in der Modeszene entspricht. Deshalb, glaubt der Absolvent des renommierten Londoner St. Martins College of Art, hat er Anfragen erhalten, um für andere Firmen zu entwerfen. «Momentan stehe ich in Kontakt mit einem französischen Modehaus und bin für ein Schweizer Bekleidungsunternehmen tätig.» Um seine neueste Kollektion ? Spitzenunterwäsche aus Latex ? zu produzieren, sucht er einen Investor. Und einen Manager, der ihm beim Marketing und der Geschäftsführung hilft, hat er ebenfalls eingestellt. Mit dem Showroom in Paris ist er strategisch optimal ausgerichtet.

Tran Hin-Phu ist den anderen Weg gegangen. Er hat das Geld «nach innen» investiert. Anstatt Werbung zu machen, engagierte er von Anfang an einen Manager. Phu schrieb Businesspläne und formulierte sein Geschäftsmodell. Aus der preisgekrönten Kollektion schuf er eine Verkaufskollektion, die er in seinem Showroom, ebenfalls in Paris, präsentierte. Seinem Agenten, der vorher unter anderem auch Lacoste verkaufte, gelang es, Kleidungsstücke für rund 12 000 Fr. an Boutiquen in Tokio, New York und Zürich abzusetzen. Nächstes Jahr ist ein Umsatz von 24 000 Fr. budgetiert.

*Durchhaltewillen*

Noch weisen beide bescheidene Zahlen aus, doch ist es unrealistisch, zu glauben, dass ein Designer innert zwei Jahren den Durchbruch schafft. Und was die prekäre Finanzlage angeht, glaubt Herman, «dass jeder Designer ein- bis zweimal pro Jahr vor einer finanziellen Krise steht». Durchhaltewillen, Zielstrebigkeit und Sparsamkeit gehören deshalb ebenso zum Modedesigner wie die Kreativität.

So jedenfalls kam Kriemler von Akris zum Erfolg: «Ich hatte immer die Welt vor Augen und wusste genau, dass ich eine Kollektion entwerfen muss mit einer eigenständigen Handschrift, um in der Internationalität akzeptiert zu werden.» Das Beziehungsnetz, das die «Gwand»-Gewinner mitgeliefert bekommen, hat er selber aufgebaut. Dafür konnte er in die Firma des Vaters eintreten. Mit 20 Jahren wurde er ins kalte Wasser geworfen und übernahm schon bald kreative Verantwortung. Weitere 20 Jahre musste er durchhalten, bis der internationale Erfolg kam.

Deshalb denkt Kriemler in anderen Zeiträumen: «Designer, die sich selbstständig machen, sollten zuvor 10 bis 15 Jahre in einem guten Hause gearbeitet haben. Ein Designer ist nicht nur kreativ, er muss auch die Geschäftsprozesse kontrollieren können, muss eine Ahnung von Zahlen haben.» Vor allem aber müssen die Kreativen den Spagat zwischen Eigenständigkeit der Linie und Evolution auf mehrere Jahre schaffen.

Auf 15 Jahre Erfahrung bringen es Phu und Herman nicht einmal zusammen. Auch wenn sie im Ausland gearbeitet haben. Trotzdem ist diese Erfahrung wichtig als Horizonterweiterung. Und sie haben gezeigt, dass sie im harten Modebusiness bestehen können.

Sicher hängt das Überleben der Branche weder von Phu noch von Herman ab. Selbst Kriemler, der einen grossen Teil seiner Kollektion in der Schweiz fertigt, kann die Branche nicht allein erhalten. Denn diese lebt vor allem vom Export (siehe Grafik). Trotzdem ist es klar, dass sie kreativen Input braucht. Dieser kommt letztlich den Firmen zu Gute. Dadurch wird das Image der Branche auch bei jungen Leuten gefördert.

Und unmöglich ist es nicht, dass die Schweiz in der Modebranche zum Siegeszug ansetzt. «Das kreative Potenzial ist vorhanden, und die Vielsprachigkeit bietet ideale Voraussetzungen», sagt Kriemler. Und wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass hiesige Architekturbüros in der ganzen Welt bauen würden?

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