Im Osten geht die Sonne auf. Das weiss jedes Kind – und inzwischen auch fast jeder Anleger. Die Finanzmärkte Zentral- und Osteuropas bescherten den Investoren der ersten Stunde erhebliche Gewinne. Der MSCI Eastern Europe legte in den vergangenen zwei Jahren 26 Prozent zu, während die Wertpapierbörsen in Westeuropa und den USA die Bären nicht abschütteln konnten. Noch eindrücklicher war die Performance von Obligationen aus den Ländern Mittel- und Osteuropas. Wer die Morgendämmerung an den Finanzmärkten Osteuropas verpasst hat, muss trotzdem nicht von Investitionen in dieser Region absehen. Die makroökonomischen Aussichten sind weiterhin blendend.
Anfang Juli setzte die russische Regierung die Wachstumsprognosen für das Bruttoinlandprodukt (BIP) für das laufende Jahr von 4,6 auf 5,4 Prozent hinauf. Ähnlich rosig sieht es in Ungarn, Polen und Tschechien aus: Hier werden für 2004 Wachstumsraten zwischen drei und vier Prozent erwartet. Für die EU liegt das geschätzte Wachstum des BIP dagegen nur bei knapp zwei Prozent (Schätzungen Deutsche Bank Research). Gegen den internationalen Trend hat Osteuropa zudem im vergangenen Jahr den Kapitalzufluss aus dem Ausland um 15 Prozent auf 33 Milliarden Dollar gesteigert. Und die Osterweiterung der Europäischen Union im kommenden Jahr wird noch weitere Investitionen mit sich bringen.
So eindrucksvoll die volkswirtschaftlichen Daten auch sind, so unwahrscheinlich ist es, dass sich der steile Aufwärtstrend an den Finanzmärkten mit der Dynamik der vergangenen Jahre fortsetzen wird. Der EU-Beitritt, der fortschreitende Konvergenzprozess und die Stabilisierung der politischen Lage wurden vor allem an den Bond-Märkten bereits antizipiert. Das gute Abschneiden von Osteuropa-Anleihefonds bestätigt dies. Zwar steht eine Trendwende nicht vor der Tür, aber die Kursgewinne der letzten zwei Jahre werden sich kaum wiederholen. «Es ist schwer, für Bonds aus Polen und Tschechien noch optimistisch eingestellt zu sein. Die positiven Effekte der EU-Osterweiterung sind bereits antizipiert. Es bleibt mehr Raum für Enttäuschungen als für positive Überraschungen. Anleihen aus Ungarn können dagegen noch interessant sein, wenn die Richtung der Fiskal- und Geldpolitik klarer wird», sagt Oussama Himani, Leiter Emerging Markets des UBS Research. Wenig Potenzial weisen vor allem Hartwährungsanleihen der Beitrittskandidaten aus der ersten Reihe auf, so etwa Euro-Bonds. «Auf Seiten der Anleihen in lokaler Währung sehe ich dagegen noch Potenzial, zum Beispiel in Polen und Ungarn», fügt Walter Mitchell, Emerging Markets Analyst bei der Credit Suisse, an.
Viel interessanter präsentieren sich derzeit die russischen und osteuropäischen Aktienmärkte. Und das Angebot an Fonds für diesen Bereich ist sehr gross. Die Länder Osteuropas haben auf makroökonomischer Ebene bereits von der bevorstehenden EU-Osterweiterung profitiert. Inflation und Budgetdefizite wurden erfolgreich bekämpft. «In den kommenden drei bis vier Jahren werden wir die positiven Auswirkungen auf der Mikroebene sehen. Die Unternehmen profitieren von der sichereren politischen und rechtlichen Lage. Daher sehe ich noch Kursfantasie bei den Aktien», sagt Osteuropa-Fachmann Mitchell.
Viele Osteuropa-Aktienfonds legen einen Schwerpunkt auf den Bankensektor, dem besonders viel Potenzial zugeschrieben wird. «In diesem Wirtschaftszweig wird noch viel passieren. Denn meistens sind die Dienstleistungen noch nicht so ausgebaut wie in Westeuropa», erklärt der Pictet-Fondsmanager Jury Ostrowsky. Er weist aber darauf hin, dass die Finanzmärkte in Zentral- und Osteuropa auch abhängig von den Märkten in Westeuropa sind. «Wenn es im Westen einen Crash geben sollte, dann bekommen das auch die Länder Osteuropas zu spüren.» Besonders optimistisch eingestellt ist Ostrowsky für Serbien und andere ehemalige jugoslawische Republiken: «Im kommunistischen Block war Jugoslawien immer fortschrittlicher als die anderen Ostblockländer. In fünf bis zehn Jahren könnten die sich wieder etablieren.»
Innerhalb der osteuropäischen Aktienmärkte spielt Russland eine Sonderrolle. Bei vielen Fondsmanagern gilt das Land immer noch als die Nummer eins für Investitionen in Mittel- und Osteuropa. Auf Grund der bevorstehenden Wahlen werden für das laufende Jahr zwar keine neuen Reformen erwartet, aber langfristig stellt Russland wegen der hohen Gas- und Ölvorkommen einen attraktiven Investitionsstandort dar. «Für den Ölsektor sehe ich weitere Restrukturierungen und Fusionen, die Russland noch interessanter machen werden», meint Himani von der UBS. Die hohe Abhängigkeit der russischen Finanzmärkte vom Ölpreis sieht der Emerging-Markets-Experte sowohl als eine Chance wie auch als Risiko. Seine Prognosen für den Ölpreis sind eher pessimistisch: «Wir rechnen damit, dass der Ölpreis im kommenden Jahr volatil sein wird und unter 20 Dollar pro Barrel fällt.» Andere Experten dagegen erwarten keine Veränderungen des Ölpreises. Zudem hat Russland Devisenreserven in Höhe von 60 Milliarden und Fiskalreserven von sieben Milliarden Dollar angehäuft. Das Geld stammt aus den zusätzlichen Einnahmen auf Grund des hohen Ölpreises und steht bereit, falls der Preis wieder fallen sollte.
Wer an der Erfolgsgeschichte Osteuropas partizipieren möchte, sollte solche Wertpapiere im Umfang von fünf bis zehn Prozent einem diversifizierten Depot beimischen. Investitionen in Fonds sind direkten Anlagen vorzuziehen, da die Märkte auf Grund der geringen Liquidität volatil sind. Ein professionelles Fondsmanagement kann die starken Kursschwankungen besser auffangen als ein privater Investor. Zudem sind die Transaktionskosten vieler osteuropäischer Börsen noch sehr hoch. Es ist also noch nicht zu spät, auf den Konvergenzprozess in Osteuropa zu setzen.