Bei den Teenies hat «MusicStar» einen Gesangsboom ausgelöst», erklärt Cathryn Lehmann. Sie leitet in Baden eine private Gesangsschule. Diese war nach der ersten Staffel der Fernsehshow derart ausgebucht, dass gar keine neuen Schülerinnen mehr aufgenommen werden konnten. Auch Linda Benz von «FeMale Funk Project» spricht von einem sehr guten letzten Semester. Bei der grössten Gesangsschule für Pop, Soul und Jazz in Zürich waren 250 Personen eingeschrieben ein Rekordstand. Ganz ähnlich tönt es bei anderen Anbietern, zum Beispiel bei SwissVoice-S-cool in St. Gallen oder bei der Jazzschule Zürich.
Alle wollen ins Rampenlicht
Ab Ende November wird die Fernsehshow «MusicStar» mit einer zweiten Staffel über die Bildschirme flimmern. Hinter den Kulissen wird bereits kräftig gewirbelt, denn am 20. September ist Deadline für die Castings beim Schweizer Fernsehen DRS. 3000 Hoffnungsvolle dürfen im Oktober in sieben Schweizer Städten vorsingen. Im Soge der gigantischen Fernsehshow, in die SF DRS wiederum Millionen investiert, sollen für die Anbieter von Gesangsschulen weitere Rosinen abfallen. «FeMale Funk Project» zum Beispiel wirbt zurzeit in der Pendlerzeitung «20 Minuten» neue Schüler an.
Bei «Free Voice», einer weiteren Zürcher Gesangsschule, laufen die Telefondrähte heiss. Das ausgeschriebene Casting-Training entpuppt sich als Renner. Gesangsexpertin Daniela Fiabane meint fast schon genervt: «Alle wollen MusicStar werden, ob sie nun singen können oder nicht.» Die Möchtegerns kriegen bei «Free Voice» einen ersten Bescheid, ob sie einen Auftritt auf der Fernsehbühne überhaupt ohne peinliche Selbstentblössung riskieren dürfen. Doch für Kritik und realistische Selbsteinschätzung ist bei den Teenies, wie die Expertin durchblicken lässt, kaum Platz. Zu sehr träumen alle von Ruhm, Reichtum und vom Rampenlicht.
Verheizte Talente und Quoten
Die Erwartungen von «Free Voice», über die Castings neue Gesangsschüler zu akquirieren, haben sich nicht erfüllt. Niemand hat sich bisher nach dem Casting für einen Gesangskurs eingeschrieben. Fiabane weiss inzwischen: «Wer ein Star werden will, hat keine Geduld für eine solide Grundausbildung.» Bei «FeMale Funk Project», wo für die erste Staffel von MusicStar ebenfalls noch ein Casting-Training angeboten worden ist, verzichtet man neuerdings darauf. «Es nützt niemandem, im letzten Moment noch mit solchen Übungen zu beginnen», argumentiert Linda Benz. Von der Fernsehshow, in der es die beiden ehemaligen Schülerinnen Tina Masafret und Daniela Brun immerhin bis ins Finale schafften, distanziert sie sich inzwischen. «Es geht zu schnell und zu offensichtlich nur um Geld und Quoten, und Talente werden einfach verheizt.»
Auch Marco Palmiro von der «SwissVoice-S-cool» für Rock, Pop und Gospel in St. Gallen äussert sich skeptisch: «Kurzfristige Casting-Trainings sind reines Make-up und tragen kaum zur Verbesserung der Stimme bei.» Benz von «FeMale Funk Project» verspricht sich davon längerfristig keinen wirtschaftlichen Nutzen. «Wir peilen nicht in erster Linie das MusicStar-Publikum an», begründet sie. Zwar interessierten sich heute mehr Leute für Gesang, aber nur im Sinne von Konsumieren und Mitverfolgen. Viele seien sich nicht bewusst, wie viel gutes Singen mit Schulung und Ausbildung zu tun habe, ergänzt Palmiro.
Naturtalente sind gefragt
Anders sieht es Cathryn Lehmann. Sie glaubt, dass der Trend, den die Fernsehshow ausgelöst hat, länger anhalten wird. «Wer einmal seine Leidenschaft fürs Singen entdeckt hat, kommt gar nicht mehr davon los.» Kaum Werbung für die Gesangsschulen ist der Standpunkt von SF DRS. Vorherige Casting-Trainings und Gesangskurse erübrigten sich, heisst es. Die Presseverantwortliche Ann-Katrin Oeschger präzisiert: «Wir suchen primär Naturtalente und nicht fertige Sängerinnen und Sänger.» Jurorin Mia Aegerter hofft auf Stimmen, die «eigen und speziell» klingen. Die zweite Staffel wird dementsprechend als Nachwuchsförderungsprojekt propagiert. Das soll wohl die kommerzielle Unterhaltungsmaschinerie kaschieren, die dahinter steckt. Die Kandidatinnen und Kandidaten erhielten während des Projekts eine fundierte Ausbildung sowohl in Gesang als auch in Bewegung.
Wer sich jetzt über diese Schnellbleiche wundert, sei daran erinnert: Am Ende wird nicht eine Nachtigall, sondern eine mit «meh Dräck» siegen. Eine vorgängige solide Gesangsausbildung könnte da wie eine falsch eingesetzte Putzequipe wirken.