Die Sorgen sind die gleichen - heute wie vor zehn Jahren. Die Herausgeber von «Mut zum Aufbruch», David de Pury, Heinz Hauser und Beat Schmid, sahen ihre Schrift - sie wurde unter dem Namen «Weissbuch» bekannt - 1995 als Versuch, eine marktwirtschaftliche Erneuerung anzustossen. Ihre damalige Diagnose trifft heute noch zu: In der Schweiz herrscht dringender Reformbedarf. Das Land verschlechtert seine Position im internationalen Wettbewerb zusehends.

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Ernst Baltensperger, Direktor des Volkswirtschaftlichen Instituts der Uni Bern, hat die Wirkung des «Weissbuchs» unter die Lupe genommen. Er fragt sich in seinem Buch (Vorabdruck unten), ob die Vorschläge tatsächlich so radikal waren wie von den Kritikern behauptet. «Über grosse Strecken wohl kaum», lautet sein Fazit. Wo steht die Reformdebatte heute? In welchen vom «Weissbuch» ausgeleuchteten Bereichen sind Reformschritte eingeleitet worden oder eben nicht?

- Staatsfinanzen und Steuersystem: Die Sanierung der Finanzen und die Reform des Steuersystems wurden im «Weissbuch» als Anliegen von höchster Priorität identifiziert. Die Einführung der Schuldenbremse und die Neuordnung des Finanzausgleichs sind erste erfolgreiche Reformschritte. Allerdings hat die Schweiz ihre Hausaufgaben in Bezug auf die Sanierung der Staatsfinanzen, die Staatsquote, den Schuldenabbau, die Steuerreform und die Reduktion von Bundessubventionen noch nicht gemacht. «Je länger wir mit den unumgänglichen Korrekturen zuwarten, umso ungemütlicher wird die Lage und umso schmerzhafter werden die notwendigen Anpassungen letztlich ausfallen», stellt Baltensperger fest.

- Sozialpolitik: Den Sturm der Entrüstung zum «Weissbuch» löste damals das Sozialkapitel aus, wegen radikalen und zum Teil vorschnellen Vorschlägen zur Altersvorsorge. Die Autoren forderten eine Abkehr vom Giesskannenprinzip und eine verstärkte Ausrichtung auf die wirklich Bedürftigen. Angesichts des ungebremsten Ausgabenwachstums im Sozialbereich sei immerhin in jüngster Zeit eine «bemerkenswerte Stärkung des Problembewusstseins» festzustellen, meint Baltensperger. Es gelte nun, die zentralen Bereiche der Sozialpolitik - AHV, Pensionskasse, Gesundheitspolitik, Sozialhilfe und Fürsorge - zu sanieren.

- Ausbildung und Forschung: «Wissen ist der wichtigste Wettbewerbsvorteil der Schweiz», heisst es im «Weissbuch». Doch der Einsatz der öffentlichen Mittel für das Bildungswesen in Prozent zum Bruttoinlandprodukt ist in der Schweiz nach 1992 kontinuierlich zurückgegangen. Der Berner Ökonom bedauert, dass der Hochschulpolitik bis heute zu wenig Beachtung geschenkt wird, im Gegensatz zur Forschungspolitik.

- Arbeitsmarkt: Günstig sieht die Bilanz beim Arbeitsmarkt aus. Im internationalen Vergleich ist es der Schweiz gelungen, den Markt flexibel zu halten. Die Arbeitskräftefreizügigkeit gegenüber der EU (Bilaterale I) wurde realisiert, die Arbeitslosenversicherung (ALV) auf vernünftige Art revidiert.

- Marktöffnung nach innen und aussen: Die Bilateralen Verträge mit der EU sind laut Baltensperger insgesamt in einem «sehr befriedigenden Ausmass» gelungen. Bezüglich Binnenmarkt sollte der Abbau von wettbewerbs- und wachstumshemmenden Regulierungen aller Art weiter vorangetrieben werden.