Wer das Klima schützen will, muss bei der Kundenfreundlichkeit anfangen. Wenn René Estermann, Geschäftsführer der gemeinnützigen Stiftung Myclimate, in seinem kargen Büro Richtung Zukunft sinniert, denkt er viel über bessere Erreichbarkeit nach. Über Schnelligkeit, direkte Wege und Datenübernahmen.
Myclimate verkauft zwar keine Schokoriegel – aber dennoch muss Estermann denken wie ein Detailhändler. Wer dem Kunden nicht alle Hürden wegräumt auf dem Weg zur Ware, der verliert ihn wieder. Diese Regel gilt auch für Klimatickets.
Denn der neuralgische Punkt beim Umweltschutz ist ein ganz profaner: die Bequemlichkeit des Verbrauchers. Je einfacher die Kohlendioxidkompensation abzuwickeln ist, umso mehr Kunden entscheiden sich, dem Planeten Gutes zu tun.
Der grüne Anstrich gehört heute dazu: Die Kunden wünschen sich das gute Gewissen mitsamt dem Produkt mitgeliefert. Dell will ihre Computer klimaneutral zusammenschrauben, Nike ihre Turnschuhe klimaneutral nähen lassen, Arosa lädt zum klimaneutralen Winterurlaub ein.
Im Brennpunkt der Diskussion stehen die Fluglinien, obwohl der Luftverkehr nur zwei bis fünf Prozent des weltweiten Kohlendioxidausstosses verursacht. Grün fliegen heisst: den CO2-Ausstoss, den eine Flugreise verursacht, zu neutralisieren. Auf einem Retourflug von Zürich nach New York sind das laut Myclimate 2,85 Tonnen CO2. Wer diese Menge nicht auf dem Planeten deponieren, sondern ausgleichen will, kann Myclimate 112 Franken überweisen. Das Geld fliesst in Massnahmen zur Reduzierung von CO2-Emissionen.
«Am einfachsten erreichbar», so Estermann, «sind Kunden, die ihre Flüge selbst im Internet buchen». Wobei auch Reisebüroketten sowie Geschäftsreiseanbieter die Kompensationen anbieten. Bei Flag-Carriern wie Swiss und Lufthansa wird ein gutes Fünftel der Flüge online gekauft.
Dann aber hängt es davon ab, ob der Weg zur Klimakompensation ausreichend planiert wurde. Bei British Airways etwa liegt der Anteil der Umweltschützer im Promillebereich – den Weg zum Klimaticket musste man auf der Website regelrecht mit der Lupe suchen. Dafür fing sich die Airline sogar einen Rüffel vom britischen Unterhaus ein.
Ganz anders sieht es beim Billigflieger EasyJet aus – obwohl dessen Klientel tendenziell mehr auf den Rappen schaut als die gut situierten Geschäftsleute in den British-Airways-Maschinen. Bei EasyJet kompensieren fast vier Prozent der Online-Kunden den CO2-Verbrauch. Das kann hier direkt während der Buchung erledigt werden. Per Mausklick wandert der Klimaschutz – quasi als Zusatzausstattung wie die Reiseversicherung – in den Warenkorb und wird über die gleiche Gesamtrechnung wie das Ticket beglichen. Die hohe Teilnahmequote wiegt umso schwerer, als fast sämtliche EasyJet-Flüge über die Website gebucht werden, weil sich der Billigflieger nicht den Buchungssystemen der Reisebranche angeschlossen hat.
Mit Swiss will Myclimate zunächst die Ein-Prozent-Hürde überqueren und auf Reiseflughöhe kommen. Innert zweier Jahre, hofft Estermann, sollen bis zu zehn Prozent aller online gebuchten Flüge kohlendioxidkompensiert werden.
Swiss macht es dem Kunden etwas bequemer als ihre Konzernmutter. Hier taucht am Ende des Buchungsprozesses ein Link zur Myclimate-Webseite auf. Wer klickt, wird hierhin weitergeleitet, und ein grosser Teil der bereits zum Ticketkauf eingegebenen Daten wird übernommen. Schon diese Lösung nennt Estermann «noch nicht optimal». Bei der Lufthansa aber ist es noch aufwendiger: Hier taucht der Link erst in der E-Mail auf, welche die Flugbuchung bestätigt.
Lufthansa und Swiss waren getrennt auf der Suche nach einem Klimaablasshändler, haben sich allerdings vor dem Zuschlag für Myclimate miteinander abgestimmt. Dass die Wahl auf die Schweizer Stiftung fiel, war kein Automatismus. «Wir haben verschiedenste Anbieter intensiv geprüft, und das über Monate», sagt Swiss-Sprecher Franco Gullotti. Myclimate habe viel Erfahrung, habe sich am transparentesten gezeigt, «und auch die niedrigen Verwaltungskosten haben überzeugt». Myclimate hat vom Stiftungsrat die Vorgabe, dass 80 Prozent der Gelder direkt in Projekte fliessen müssen – bleiben also 20 Prozent, um die eigenen Ausgaben zu decken. Andere Anbieter verbrauchen bis zu 40 Prozent der Einnahmen für sich.
Die 80-Prozent-Vorgabe gilt weiterhin, trotz steigenden Kundenzahlen und Arbeitsvolumen. 2006 verwaltete Myclimate Kompensationsgelder für 40 000 Tonnen Kohlendioxid-Emissionsreduktionen. Dieses Jahr werden es über 150 000 sein, schätzt Estermann, und 2008 «eine halbe bis eine ganze Million Tonnen». Alle Daten müssen verwaltet, die Website gepflegt werden, und Estermann muss neue Projekte zum Investieren der Gelder suchen – gleichzeitig soll er die Stiftung schlank und damit die Kosten tief halten.
Also muss Estermann mehr und mehr wie ein Unternehmer arbeiten. Seit Anfang Jahr ist er dabei: Zusammen mit seinem Vize, Alain Schilli, verkörpert er die zweite Generation bei der vor fünf Jahren gegründeten Myclimate. Die drei Gründer haben sich verabschiedet.
Vermehrt stellt Estermann Mitarbeiter dauerhaft ein, statt mit wechselnden Freelancern und Praktikanten zu arbeiten – wegen der «zunehmenden Komplexität». Seit einem Jahr bekommen alle zwölf Mitarbeiter einen bescheidenen, aber festen Lohn. Zuvor leisteten sie einen Teil der Arbeit ehrenamtlich. Immerhin profitiert Myclimate noch von ihren Wurzeln: Als Spin-off der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) hängen die Klimaschützer mit ihren Computern, Telefonen und Möbeln kostengünstig an deren Infrastruktur. «Die 80 Prozent einzuhalten, wäre ohne ETH-Anbindung zurzeit kaum möglich», sagt Estermann.
Estermann ist froh um jeden gesparten Rappen Verwaltungskosten. «Denn die Spenden sollen in hochwertige und nachhaltige Klimaprojekte fliessen», so Estermann, «und das kostet relativ viel.»
Hier zeigt sich die Zweischneidigkeit der guten Tat: Klimaschutz muss erkauft werden, und auch die Anbieter stehen in einem Wettbewerb. Kunden wie Swiss wollen ihren Fluggästen verlässliche Projekte vermitteln und haben zudem oft Sonderwünsche: Swiss und Lufthansa wollten ihren Passagieren einen reinen Kohlendioxidausgleich anbieten. Also eliminierte Myclimate den sogenannten RFI-Faktor, der die Zusatzeffekte weiterer Treibhausgase abbildet, aus der Berechnung. In diesem Bereich ist die wissenschaftliche Community uneins über die Langzeitwirkungen, sodass sich eine Debatte zwischen Alarmisten und abwiegelnden Faktenliebhabern entzündet hat. Ihr gingen die Airlines aus dem Weg.
Dass sich unterschiedliche Emissionsberechnungen für dieselben Flüge ergeben, wenn man zwischen Anbietern wie Myclimate, Atmosfair, Greenmiles oder anderen vergleicht, erklärt sich aus dem Fehlen einer allgemein anerkannten Rechenmethode. Faktoren wie Auslastung, Anzahl Sitzplätze, Treibstoffmenge: Alles Mögliche kann eine Rolle spielen. Estermann verlässt sich auf Auswertungsdaten von Tausenden Flügen des Lufthansa-Konzerns, angereichert mit Werten des Weltairlineverbandes IATA; die endgültige Rechenformel wurde in einer wissenschaftlichen Arbeit entwickelt. Bei Atmosfair kostet der Klimausgleich für den Flug von Zürich nach New York umgerechnet 135, bei Greenmiles 172 Franken.
Rechtlich allerdings sind die Gaben der Fluggäste eine Spende, deren Höhe jedem überlassen bleibt – die Kompensationssumme ist ein unverbindlicher Vorschlag.
Myclimate steckt das Geld hälftig in ausländische und in Schweizer Projekte. Schweizer Vorhaben werden nach einem nationalen Standard geprüft, zudem wird die Geschäftsleitung von Myclimate durch den Stiftungsrat überwacht. Internationale Projekte lässt Estermann von der Uno-Klimabehörde UNFCC oder durch den «Goldstandard» zertifizieren, eine Art Ratingagentur, die von Nichtregierungsorganisationen gegründet wurde.
Der Carsharing-Anbieter Mobility war der erste Schweizer Kunde, der einheimische Projekte verlangte. Auftragsgemäss lieferte Myclimate. Ein aktuelles Projekt ist der Umbau der Monte-Rosa-Hütte im Wallis, die ihren Energieverbrauch nicht mehr mit fossilen Brennstoffen wie Diesel decken soll, sondern mit Solaranlagen und einem Blockheizkraftwerk.
Die Kunden befriedigen und möglichst smart arbeiten: Estermann, der zuvor ein Beratungsbüro führte und viel Projekterfahrung mitbringt, konkurriert in einem Markt mit weit über 100 Anbietern. Durchsetzen muss er sich auch gegen Konzepte wie jenes von EasyJet: Der Billigflieger schickt seine Hausbank Citigroup los, um Zertifikate auf Klimaschutzprojekte zu kaufen, die wie auf dem Markt gehandelt werden. So umgeht EasyJet Drittanbieter wie Myclimate. In diesem Umfeld bleibt dem Klimaschützer Estermann nur, wie ein hundsgewöhnlicher Firmenleiter zu arbeiten, der im Geschäft bleiben will: Er muss sein Produkt immer wieder verbessern.