Schleichender Haarausfall: Das Problem beschäftigt vor allem Männer. Jeder zweite ist davon betroffen – aber auch jede fünfte Frau. Eine Lösung sind Haartransplantationen. Diese sind aber meist mit einer Auslandreise oder hohen Kosten verbunden. Hinzu kommt die Ungewissheit, ob es dann wirklich klappt.
Das Schweizer Startup Hair & Skin möchte nun Personen mit einem genetisch bedingten Haarausfall in der Nähe helfen, quasi vor Ort: In Zürich befindet sich die Praxis direkt am Limmatquai.
Zugleich möchte das Unternehmen beim Preis punkten: Eingriffe wie die Behandlung der Tonsur oder der Geheimratsecken sollen bei 2900 Franken starten. Bei herkömmlichen Kliniken würde eine solche Behandlung rund 5500 Franken kosten.
Buzzword «Medical Retail»
Solche Preise sollen unter anderem auch durch einen hohen Digitalisierungsgrad des Prozesses zustande kommen, sagt Mitgründer und Co-Geschäftsführer Adem Ademi. Möchte man eine grosse Transplantation vornehmen, könne eine Operation bis zu acht Stunden dauern.«Wir bieten von Geheimratsecken bis eine ganze Glatze oder auch den Bart auffüllen an», sagt Ademi.
Ein Startup aus Zürich bietet durchsichtige Zahnspangen zum Pauschalpreis an. Im deutschen Markt beissen sich Bestsmile aber die Zähne aus.
Das Angebot von Haartransplantationen ist nicht neu – neu ist aber, wie sich das Startup präsentiert: «Medical Retail» nennt es Co-Geschäftsführerin Stefanie Fritze. Das sind medizinische Angebote in Innenstädten, in Fussgängerzonen, an zentraler Lage, nach dem Shop-Prinzip. «Die grosse Verschiebung vom Detailhandel ins Internet ermöglicht das Mieten von solchen Lokalen», sagt Fritze.
So liegen in Luzern, Zürich oder Winterthur die Kliniken in guten Lagen. Sie sollen in Innenarchitektur «mehr an eine stilvolle Wohnung als an ein kühles Spital erinnern», sagt Fritze. Die Atmosphäre soll auch beim Thema Haarausfall helfen ein Tabu brechen, sagt Fritze. «Haartransplantationen sollen salonfähig werden», sagt Fritze weiter.
Als Investoren bei Hair & Skin sind Ertan Wittwer, Philip Magoulas, Fabrice Aeberhard und Marcel Kubli mit an Bord. Ein Teil der Entrepreneurs hat bereits das erfolgreiche Brillenlabel Viu gestartet, dann kam das Startup Beststmile dazu, welches durchsichtige Zahnspangen anbietet. Jetzt folgt Hair & Skin.
Dabei weisen alle drei Unternehmen Parallelen auf: Sie wollen ein bestehendes Geschäftsmodell mit günstigeren Preisen und einem digitalisierten Ablauf umkrempeln; und die Angebote werden in cleanen Shops an zentraler Lage präsentiert. Das hat bei den nun europaweit bekannten Viu-Brillen funktioniert, und scheint auch bei den Zahnspangen von Bestsmile anzukommen. Jedenfalls sind die durchsichtigen Zahnspangen mittlerweile in über 30 Filialen schweizweit erhältlich.
Doch können die Unternehmer auch mit Haartransplantationen punkten? Also mit einem weitaus komplizierteren Verfahren als dem Einstellen von Brillen oder dem Anpassen von Zahnspangen? Ein Geschäftsmodell im Stile von Viu oder Bestsmile auf Scheitelhöhe zu skalieren, dürfte eine Herausforderung werden.
Geschäftsführer Stefanie Fritze und Adem Ademi weisen einen BWL-Background auf. Ademi sagt: «Die grösste Herausforderung zurzeit ist, gutes Personal zu finden».
Schönheitschirurgen in Charge
Benötigt werden Ärzte vor Ort, die gemeinsam mit Haartechnikern die Transplantation vornehmen. Bei einem ersten kostenlosen Termin werde der Zustand des Haarausfalls fotografisch erfasst, dann führe ein Arzt eine Haaranalyse durch und erstelle einen Behandlungsplan. Haartransplantationen und PRP-Behandlungen würden in der Regel mehrere Termine erfordern, sagt Ademi.
Dafür brauche es vor allem qualifizierte Haartechniker und deren Assistenten, so Ademi weiter. Für die Ausbildung arbeite man mit erfahrenen Haartransplanteuren und einem Professor in Italien zusammen. Die medizinische Expertise bringt Co-Founder und Medical Advisor Omar Haroon ein. Gemeinsam mit Medical Director Christian Niehus tragen die beiden Schönheitschirurgen die Verantwortung. Sie selbst betreiben auch eine Praxis für Ästhetische und Plastische Chirurgie in Zürich am Zeltweg betreiben. «Sie haben die Verantwortung im Klinik-Betrieb und über unsere Ärzte», so Ademi.
Die Credit Suisse investiert drei Millionen Franken in das Zürcher Brillenlabel Viu, um die internationale Expansion voran zu treiben.
Währenddessen kümmern sich Ademi und Fritze um die Expansion: Im Frühjahr 2020 wurde das Projekt gegründet, bis Ende 2021 sind schweizweit zehn Standorte geplant. Das Headquarter befindet sich in Winterthur. Dort soll das Team von 30 auf 100 Mitarbeiter ausgebaut werden.
«Es scheint ein Thema für viele zu sein – für Männer wie Frauen», sagt Fritze. Die Nachfrage sei gross, das Thema werde salonfähig.
Seit der Eröffnung im Juni 2020 verzeichne man rund 1500 Behandlungen, davon 200 Haartransplantationen und 1300 PRP-Treatments. Homeoffice spiele dem Angebot in die Hände: «Patienten können sich jetzt ganz diskret einer Behandlung unterziehen», sagt sie.