Nach dem Stresstest ist vor dem Stresstest - so sehen es zumindest grosse Investoren und Analysten. Für sie hat die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Gesundheitscheck der 130 wichtigsten Institute der Euro-Zone nur einen ersten Schritt getätigt, um das Vertrauen ins Finanzsystem zu stärken. «Das sollte die Sorge zerstreuen, dass die Banken noch weitere Leichen im Keller haben», sagt Geir Lode, Aktienfonds-Manager beim Vermögensverwalter Hermes. «Für die Märkte ist das zunächst einmal positiv.»
So überwog am Montag auch die Erleichterung an der Börse. Doch bevor Fonds und Versicherer ihre Milliarden dauerhaft wieder in Anleihen und Aktien von Banken stecken, wollen sie auch langfristig Klarheit darüber haben, wie die Institute dastehen. Das gilt insbesondere für Grossbanken in den südeuropäischen Schuldenstaaten. «Wir wollen einige Jahre gute Test-Ergebnisse sehen, bevor wir überhaupt daran denken, wieder zu investieren», sagt etwa Joe Urciuoli, Bankenexperte bei Spectrum Asset Management.
Ein Jahr lang auf Herz und Nieren geprüft
Ziemlich genau ein Jahr lang hatte die EZB die Finanzinstitute auf Herz und Nieren geprüft. Die Notenbank, die Anfang November die Aufsicht über die grössten Häuser übernimmt, durchleuchtete Kreditrisiken und prüfte Kapitalpuffer. Die Übung bestand aus einem Bilanzcheck und einem anschliessenden Stresstest, in dem eine neue schwere Wirtschafts- und Finanzkrise simuliert wurde. Am Ende stand fest: 25 Banken patzten, darunter erwartungsgemäss vor allem solche in Schuldenstaaten wie Italien und Griechenland. Das Kapitalloch von 25 Milliarden Euro ist zu mehr als 50 Prozent bereits gestopft. Es war die grösste Prüfung des Finanzsektors aller Zeiten - in Zusammenarbeit mit der europäischen Bankenaufsicht EBA, die sich beispielsweise auch die britischen Großbanken genauer anschaute.
Die endgültige Entscheidung darüber, wie oft diese Übung wiederholt wird, ist noch nicht gefallen. EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger kann sich regelmässige Prüfungen gut vorstellen, wie sie am Wochenende sagte. «Es gibt so oder so auf der europäischen Ebene eine Art von Praxis, dass man einen Stresstest jährlich macht, oder wenigstens alle zwei Jahre.» Für den grossen Bilanzcheck sei das allerdings wegen des enormen Aufwands eher unrealistisch. «Das werden wir mit 130 Banken nicht jedes Jahr machen. Das kann ich mir kaum vorstellen.»
Vorbild Fed?
Analysten dringen auf eine schnelle Festlegung des künftigen Fahrplans. Andernfalls liefen EZB und EBA Gefahr, der US-Notenbank Fed hinterherzulaufen, die die amerikanischen Banken jedes Jahr beinahe geräuschlos auf ihre Krisenfestigkeit hin prüft und im Ernstfall auch mal Dividenden-Pläne kassiert, wie Bankenexperte Nick Anderson von Berenberg in einer Kurzstudie feststellt. Nach Ansicht anderer Branchenkenner ist weiter auch das Risiko nicht ausgeräumt, dass die EZB aus Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Euro-Länder zu lax in der Bankenaufsicht bleibt. «Die US-Aufseher haben bei ihren Banken viel mehr Durchgriffsrechte - schon allein deshalb, weil sie ihre Leute vor Ort in den Banken sitzen haben», sagt Barney Reynolds, der bei der Kanzlei Shearman & Sterling Finanzinstitute berät. Bei der EZB sind solche «embedded regulators» nicht geplant.
Khalid Krim, Bankenexperte von Morgan Stanley in Europa, setzt trotz der schwierigen Vorzeichen grosse Hoffnungen in die EZB: «Angesichts der Ressourcen, der für die Prüfung aufgewendeten Zeit und den damit verbundenen Kosten steht viel auf dem Spiel. Dies ist die Chance für Europa zu zeigen, dass trotz aller Skepsis ein europaweites und harmonisiertes Verfahren möglich ist.»
(reuters/ccr)