Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist ein rotes Tuch für die globalen Finanzmärkte. Seine repressiven Massnahmen gegen ausländische Investoren oder Banken und seine Volten gegen die heimische Notenbank haben dazu geführt, dass viele Anleger die Türkei von der Landkarte der investierbaren Nationen gestrichen haben.

Wenn Erdogan jetzt bei den Kommunalwahlen eine heftige Klatsche eingesteckt hat, müssten sie eigentlich jubilieren. Doch das tun sie ganz und gar nicht. Die türkische Lira ist zum Wochenstart erneut eingebrochen. Zum Dollar verlor die Währung in der Spitze um mehr als zwei Prozent an Wert, zum Euro wertete die Lira zwischenzeitlich sogar um drei Prozent ab.

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Verbot für Ausgabe von Lira

Die Reaktion zeigt, in welche ökonomische Zwangslage Erdogan sein Land gesteuert hat. Nach der Lira-Krise im vergangenen Jahr versuchte er vor den Kommunalwahlen offenbar, durch Interventionen der Notenbank die Lira-Statistik zu schönen. Sichtbar wurde das in den Devisenreserven, die im März plötzlich um acht Milliarden Dollar abstürzten.

Als ausländische Banken mit Verweis auf die schrumpfenden Reserven zum Verkauf der Lira rieten, strengte er rechtliche Schritte wegen vermeintlicher Marktmanipulation an. Gleichzeitig verbot er den Banken, weiter Lira an ausländische Investoren auszugeben.

Wegen der plötzlichen Lira-Knappheit schossen die Lira-Zinsen für Übernachtgeschäfte um über 1000 Prozent in die Höhe. Viele Investoren, die für Geschäfte aller Art auf die türkische Währung angewiesen sind, waren gefangen und standen vor horrenden Verlusten. Doch allen Interventionen zum Trotz blieb die Lira unter Druck und setzte nach den Wahlen ihre Talfahrt fort.

Alle Optionen sind schlecht für die Lira

Investoren fürchten das Schlimmste. Erdogan könnte nach der Wahlniederlage seiner politischen Bewegung seine Angriffe auf die Finanzmärkte nochmals verstärken, um Stärke zu demonstrieren. Er könnte in Panik auch versuchen, die Wirtschaft wieder flottzubekommen, indem er Druck auf die Notenbank und die privaten Institute ausübt, die Zinsen zu senken und mehr Kredite in Umlauf zu bringen, eine Politik, die an den Finanzmärkten gar nicht gut ankäme.

Die Wirtschaft befindet sich seit dem vierten Quartal vergangenen Jahres in der Rezession. Nicht zuletzt könnte er aber auch das Ergebnis der Kommunalwahlen ignorieren und die Marktkräfte nach den frustrierenden Interventionen walten lassen. Schliesslich steht Erdogan selbst erst wieder in vier Jahren zur Wiederwahl. So oder so. Alle drei Optionen sind schlecht für die Lira.

Seit Jahresanfang hat die türkische Währung zum Dollar rund sechs Prozent verloren. Nur der argentinische Peso hat zum Greenback noch stärker abgewertet.
Die Turbulenzen an den Finanzmärkten belasten auch die Bonität des Landes. Nach wie vor ist das Land wegen seiner Devisen-Abhängigkeit auf ausländische Investoren dringend angewiesen. Doch je stärker Erdogan interveniert und damit die Anleger vergrault, umso kritischer wird die Situation.

Das hat auch die Ratingagentur Moody’s auf den Plan gerufen. Sie sieht in den niedrigen Devisenreserven ein Risiko für die Kreditwürdigkeit. Das lasse sich auch an den Finanzmärkten erkennen. Dort würde das Land bereits mit B3 und damit einer Bonität tief im Schrottniveau gehandelt. Das B3 der Märkte liegt drei Stufen unter dem offiziellen Moody’s-Rating von Ba3.

Die Pleitewahrscheinlichkeit des Landes, die an den Märkten ebenfalls gehandelt wird, ist kräftig in die Höhe geschnellt. Auf Sicht von fünf Jahren preisen die Akteure ein Ausfallrisiko von 26 Prozent ein. Das liegt im krassen Gegensatz zur geringen Staatsverschuldung des Landes. Zwar hat sich das Defizit zuletzt kräftig ausgeweitet. Doch die Schuldenquote von 34 Prozent ist weiter moderat.

Erdogan braucht radikale Reformen

Sollte es wegen der anhaltenden Lira-Krise allerdings zu Ausfällen bei systemrelevanten Banken oder grossen Unternehmen kommen, dürfte sich Ankara gezwungen sehen, die Schulden auf die eigene Bilanz zu nehmen. Problematisch sind vor allem die aufgenommenen Schulden in ausländischen Devisen. Staat, Firmen und Banken stehen mit 450 Milliarden Dollar in der Kreide. Mit jedem Prozent, den die Lira nachgibt, wächst die Schuldenlast. Viele Firmen sind zwar in Dollar verschuldet, machen ihre Umsätze aber in Lira, sodass sie Probleme bekommen könnten, die Verbindlichkeiten zu bedienen.

«Der Ausgang der Kommunalwahlen wird die künftige Wirtschaftspolitik wohl massgeblich beeinflussen», schreiben die Analysten von Moody’s. Es werde sich entscheiden, ob der jüngste Schock der Finanzmärkte das Land weiter im Griff hält oder verschwindet.

Doch damit die Türkei wieder aus den negativen Schlagzeilen kommt, müsste Erdogan jetzt radikale Reformen angehen. Es wäre eine 180-Grad-Wende. Ausserdem würden Reformen sein Land erst mal tiefer in die Rezession treiben. Und so rechnet kaum ein Beobachter damit, dass die Kommunalwahlen eine positive Wende bringen und Erdogan nicht mehr das rote Tuch für die Finanzmärkte ist.

Dieser Text erschien zuerst bei der «WELT» unter dem Titel «Nach Erdogans Wahlschlappe fürchten Investoren das Schlimmste».