Auf Twitter herrscht zuweilen ein rauer Umgang. Dass musste auch der bekannte US-Ökonom Jeffrey Sachs erfahren. Sachs hatte in einem Artikel das Vorgehen der USA gegen Huawei scharf kritisiert. Die von Washington veranlasste Verhaftung der Finanzchefin des chinesischen Telekomkonzerns sei juristisch fragwürdig und politisch motiviert. «Man kann ohne Übertreibung sagen, dass sie Teil eines Wirtschaftskrieges gegen China ist, und zwar eines unverantwortlichen Wirtschaftskrieges.» Nach Veröffentlichung des Artikels wurde Sachs auf Twitter angegriffen – und hat sich nun von der sozialen Plattform verabschiedet.
«Ich geniesse die Zeit, die ich dank des Rückzugs von Twitter gewinne», sagte der Professor der Agentur Bloomberg. «In Bezug auf Huawei wünsche ich mir, dass in den USA gemässigtere Stimmen gehört werden, um die Provokationen gegenüber China zu stoppen.»
Bilden Sie sich eine eigene Meinung zu Sachs Text: Hier veröffentlichen wir den am 10. Dezember veröffentlichten Artikel in einer deutschen Übersetzung.
Der Krieg gegen Huawei
Die Verhaftung von Meng Wanzhou, CFO von Huawei, ist ein gefährlicher Schritt der Regierung von US-Präsident Donald Trump in ihrem sich verschärfenden Konflikt mit China. Wenn, wie Mark Twain angeblich einst sagte, die Geschichte sich häufig reimt, so erinnert unsere Ära zunehmend den Zeitraum vor 1914. Wie die europäischen Grossmächte damals drängen heute die USA – angeführt von einer Regierung, die Amerikas Dominanz gegenüber China Geltung verschaffen will – die Welt in Richtung Katastrophe.
Enorm wichtig ist der Kontext der Verhaftung. Die USA haben verlangt, dass Kanada Meng auf dem Weg von Hongkong nach Mexiko bei einem Zwischenstopp auf dem Flughafen von Vancouver verhaften und an die USA ausliefern solle. Ein derartiger Schritt ist fast schon eine US-Kriegserklärung an die chinesische Wirtschaft. Er ist nahezu beispiellos und setzt amerikanische Geschäftsleute bei Reisen ins Ausland einem deutlich erhöhten Risiko derartiger Massnahmen durch andere Länder aus.
Ein Fehlverhalten reicht für Verhaftung nicht aus
Die USA verhaften selten führende Geschäftsleute – egal, ob US-Bürger oder Ausländer – wegen von ihren Unternehmen mutmasslich begangener Verbrechen. Unternehmensmanager werden in der Regel wegen mutmasslicher persönlicher Straftaten (wie etwa Veruntreuung, Bestechung oder Gewalt) verhaftet, aber nicht wegen eines angeblichen Fehlverhaltens ihres Unternehmens.
Natürlich sollten Unternehmensmanager für Fehlverhalten ihrer Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, bis einschliesslich der Anklageerhebung; diese Praxis jedoch mit einer führenden chinesischen Geschäftsperson statt mit den dutzenden US-amerikanischer CEOs und CFOs, die sich strafbar gemacht haben, zu beginnen, ist eine atemberaubende Provokation gegenüber der chinesischen Regierung, Geschäftswelt und Öffentlichkeit.
Meng wurde wegen Verstoss gegen US-Sanktionen gegenüber dem Iran verhaftet. Doch man betrachte ihre Verhaftung im Kontext der grossen Anzahl US-amerikanischer und ausländischer Unternehmen, die gegen US-Sanktionen gegen den Iran und andere Länder verstossen haben: So bezahlte etwa JP Morgan Chase 2011 Geldbussen in Höhe von 88,3 Millionen Dollar wegen Verstössen gegen US-Sanktionen gegenüber Kuba, den Iran und den Sudan. Doch wurde [ihr CEO und Chairman] Jamie Dimon nicht aus dem Flugzeug gezerrt und in Haft genommen.
JP Morgan ist kein Einzelfall
Und JP Morgan Chase ist, was Verstösse gegen US-Sanktionen angeht, alles andere als allein. Seit 2010 haben die folgenden wichtigen Finanzinstitute Geldbussen wegen Verstössen gegen US-Sanktionen gezahlt: Banco do Brasil, Bank of America, Bank of Guam, Bank of Moscow, Bank of Tokyo-Mitsubishi, Barclays, BNP Paribas, Clearstream Banking, Commerzbank, Compass, Crédit Agricole, Deutsche Bank, HSBC, ING, Intesa Sanpaolo, JP Morgan Chase, National Bank of Abu Dhabi, National Bank of Pakistan, PayPal, RBS (ABN Amro), Société Générale, Toronto-Dominion Bank, Trans-Pacific National Bank (heute Beacon Business Bank), Standard Chartered und Wells Fargo.
Keiner der CEOs oder CFOs dieser gegen Sanktionen verstossenden Banken wurde wegen dieser Verstösse verhaftet und inhaftiert. In all diesen Fällen wurde das Unternehmen – und nicht ein individueller Manager – zur Rechenschaft gezogen. Genauso wenig wurden sie wegen ihrer allgegenwärtigen Gesetzesverstösse im Vorfeld oder im Gefolge der Finanzkrise von 2008 zur Rechenschaft gezogen, für die die Banken laut einer jüngsten Berechnung atemberaubende 243 Milliarden Dollar an Geldstrafen zahlten.
Angesichts dieser Vorgeschichte ist die Verhaftung von Meng ein schockierender Bruch mit gängiger Praxis. Natürlich sollte man CEOs und CFOs zur Rechenschaft ziehen, aber man sollte den Anfang im eigenen Land machen, um Scheinheiligkeit, als Prinzipientreue verkleidetes Selbstinteresse und das Risiko der Provokation eines neuen globalen Konflikts zu vermeiden.
Hinter der Verhaftung stehen politische Motive
Es ist relativ offensichtlich, dass die US-Massnahme gegen Meng in Wahrheit Teil des umfassenderen Versuchs der Regierung Trump ist, Chinas Wirtschaft durch die Verhängung von Zöllen, die Schliessung westlicher Märkte für chinesische Hightech-Exporte und das Verbot chinesischer Käufe von US-amerikanischen und europäischen Technologieunternehmen zu untergraben. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass sie Teil eines Wirtschaftskrieges gegen China ist, und zwar eines unverantwortlichen Wirtschaftskrieges.
Huawei ist eines der bedeutendsten Technologieunternehmen Chinas und daher ein wichtiges Ziel im Bemühen der Trump-Regierung, Chinas Vordringen in eine Reihe von Hightech-Branchen zu verlangsamen oder zu stoppen. Amerikas Motivation in diesem Wirtschaftskrieg ist teilweise wirtschaftlicher Art – sie will rückständige US-Unternehmen schützen und begünstigen – und teilweise geopolitischer Art. Mit der Wahrung der internationalen Rechtsordnung hat sie mit Sicherheit nichts zu tun.
Grund für den Versuch der USA, Huawei zur Zielscheibe zu machen, sind insbesondere die Erfolge des Unternehmens bei der weltweiten Vermarktung hochmoderner 5G-Technologien. Die USA behaupten, dass von dem Unternehmen aufgrund versteckter Überwachungsfunktionen in seiner Hardware und Software ein konkretes Sicherheitsrisiko ausgeht. Doch hat die US-Regierung keinerlei Beweise für diese Behauptung vorgelegt.
Financial Times nimmt klar Stellung
Eine jüngste Tirade gegen Huawei in der Financial Times spricht in dieser Hinsicht Bände. Nachdem er zugesteht, dass «man keine konkreten Beweise für Eingriffe in die IKT haben kann, wenn man nicht das Glück hat, die Nadel im Heuhaufen zu finden», macht der Verfasser schlicht geltend, dass «man das Risiko nicht eingeht, seine Sicherheit in die Hände eines potenziellen Gegners zu legen». Anders ausgedrückt: Während wir in Wahrheit kein Fehlverhalten Huaweis nachweisen können, sollten wir das Unternehmen trotzdem auf die schwarze Liste setzen.
Wenn globale Handelsregeln Trumps Gangstertaktiken behindern, dann müssen die Regeln, so Trump, eben abgeschafft werden. US-Aussenminister Mike Pompeo hat das letzte Woche in Brüssel zugegeben.
«Unsere Regierung», so erklärte er, sei «dabei, auf gesetzeskonforme Weise aus veralteten oder schädlichen völkerrechtlichen Verträgen, Handelsverträgen und sonstigen internationalen Vereinbarungen, die nicht unseren souveränen Interessen oder denen unserer Verbündeten dienen, auszusteigen oder sie nachzuverhandeln.» Doch bevor sie aus diesen Vereinbarungen aussteigt, sabotiert die Regierung sie durch unverantwortliche und einseitige Massnahmen.
Eine beispiellose Verhaftung
Die beispiellose Verhaftung von Meng ist umso provozierender, weil sie auf extraterritorialen US-Sanktionen beruht, also dem Anspruch der USA, anderen Ländern zu befehlen, den Handel mit Drittparteien wie Kuba oder dem Iran einzustellen. Die USA würden es sicherlich nicht hinnehmen, wenn China oder ein anderes Land amerikanischen Unternehmen vorschreiben würde, mit wem sie Handel treiben können und mit wem nicht.
Sanktionen in Bezug auf nichtstaatliche Akteure (wie etwa US-Sanktionen gegen ein chinesisches Unternehmen) sollten nicht durch ein Land allein durchgesetzt werden, sondern im Einklang mit Vereinbarungen, die innerhalb des UN-Sicherheitsrats erzielt wurden. In dieser Hinsicht fordert die Resolution 2231 des Sicherheitsrates alle Länder auf, im Rahmen des Nuklearabkommens von 2015 ihre Sanktionen gegenüber dem Iran fallen zu lassen. Doch die USA – und nur die USA – verwerfen nun die Rolle des Sicherheitsrats in derartigen Fragen. Die Trump-Regierung, und nicht Huawei oder China, ist heute die grösste Bedrohung für die internationale Rechtsordnung und damit für den Weltfrieden.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
* Jeffrey D. Sachs ist Professor für nachhaltige Entwicklung, für Gesundheitspolitik und -management und Direktor des Earth Institute der Columbia University. Er ist ausserdem Sonderberater des UN-Generalsekretärs in Bezug auf die Millenniumsziele.
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