Mit dem neuen Projekt Lago Bianco kann eine wesentlich ökologischere Energieproduktion umgesetzt werden, als dies bisher vorgesehen war. Kernelement des 1000-Megawatt-Kraftwerks ist ein Pumpspeicherbetrieb zwischen den beiden bestehenden Stauseen Lago Bianco am Berninapass in 2235 Metern Höhe und dem auf 960 Metern gelegenen Lago di Poschiavo. Diese werden durch einen 17,5 Kilometer langen Druckstollen und einen Druckschacht von 2,5 Kilometern Länge zur Kraftwerkzentrale Camp Martin verbunden.
Alternativprojekt bringt Umweltvorteile
Anstelle des aufgrund eines Bundesgerichtsverfahrens sistierten Konzessionsprojekts 95 gab die Energiegesellschaft Repower eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Diese kam zum Schluss, dass ein Alternativprojekt mit einem Pumpspeicherwerk (PSW) zwischen dem Lago Bianco und dem Lago di Poschiavo zusammen mit einem angemessenen Weiterbetrieb von bestehenden Kraftwerkanlagen deutliche ökologische Vorteile gegenüber dem ursprünglichen Projekt aufweist. Damit gelang es der Energiegesellschaft, den Anliegen der Beschwerdeführer entgegenzukommen und sich mit Pro Natura, Greinastiftung, WWF Schweiz, Fischereiverband Graubünden und der Gemeinde Poschiavo zu einigen. Ende Oktober hat nun die Standortgemeinde dem Projekt zugestimmt und damit grünes Licht erteilt.
Einspracheargumente der Umweltorganisationen waren das zu grosse Schwall- /Sunk-Verhältnis im Fluss Poschiavino und die zu geringe Restwassermenge. Für eine Lösung zeichnete sich als eine der wichtigsten Kompensationsmassnahmen die Revitalisierung der Gewässer im Val Poschiavo ab. Das sich in Arbeit befindende und von Pro Natura und WWF begleitete Gewässerentwicklungskonzept, das Hochwasserschutz und Revitalisierungen koordiniert, bringt grosse Herausforderungen, besonders für die Landwirtschaft.
Da die bisherigen Kraftwerke Robbia und Cavaglia künftig nicht mehr das Wasser des Lago Bianco nutzen, sondern nur noch mit den natürlichen Zuflüssen aus dem Einzugsgebiet arbeiten, werden die Schwankungen bei der Wasserrückgabe im Poschiavino geringer ausfallen.
Die Eckdaten der Kraftwerkanlage Lago Bianco wurden vor gut einem Jahr erstmals öffentlich vorgestellt. Seither wurden die Planungsarbeiten intensiv vorangetrieben und das Konzessionsprojekt fertiggestellt. Der zusammenfassende Technische Bericht wurde nach Angaben von Repower gemeinsam mit Umweltorganisationen und Behörden erarbeitet und Mitte Juni verabschiedet. «Einen positiven Ausgang der nötigen Konzessions- und Bewilligungsverfahren vorausgesetzt, könnte mit dem Bau im Jahre 2013 begonnen werden», gibt sich die Energiegesellschaft Repower optimistisch. Nach sechsjähriger Arbeit und mit einem Kostenaufwand von 1,5 Milliarden Franken könnte die Anlage dann 2019 ans Netz gehen.
Das Pumpspeicherwerk nutzt den Lago Bianco am Berninapass sowie den Lago di Poschiavo als Speicher. Sie werden durch einen Druckstollen entlang der rechten Talflanke des Puschlavs bis Plan di Laghett auf 2137 Metern über Meer sowie einen hier beginnenden Druckschacht verbunden. Über zwei Wasserfassungen unterhalb des Palü-Gletschers und beim Zufluss Cancian wird dem Druckstollen zusätzliches Wasser zugeführt. In Plan di Laghett wird das Wasserschloss erstellt, von dem aus die gepanzerte Druckleitung zu einer neuen Kraftwerkzentrale am Lago di Poschiavo führt. Hier werden Turbinen und Pumpen installiert, welche einerseits Strom produzieren, anderseits Wasser aus dem Puschlaversee zurück in den Lago Bianco pumpen. Die Maschinengruppe umfasst sechs Generatoren mit einer installierten Leistung von 1050 Megawatt. Die Zentrale ist mit einer 1,7 Kilometer langen unterirdisch verlegten Leitung über ein neu zu erstellendes Unterwerk an die bestehende 400-Kilovolt-Stromleitung angeschlossen. Diese verbindet die Schweiz, Österreich und Italien und sichert damit den Stromaustausch.
Angriff über zwei Grossbaustellen
Für die Errichtung der umfangreichen Anlagen des neuen Projekts wird die Kraftwerkgesellschaft nicht um grössere Landschaftseingriffe und Umweltauswirkungen herumkommen. Der gemeinsam verabschiedete Technische Bericht sieht zwei Grossbaustellen im Bereich Cambrenadelta nördlich der Passhöhe sowie bei Camp Martin am Lago di Poschiavo vor. Nebenbaustellen befinden sich bei Plan di Laghett auf 2100 Metern über Meer sowie bei den Zugängen für die Wasserfassungen Palü und Cancian.
Für den Vortrieb von Druckstollen und Druckschacht werden zwei Tunnelvortriebsmaschinen eingesetzt, während Zugangsstollen, Wasserschloss und ein Teil der Wasserwege im Sprengverfahren ausgeführt werden. Die Grossbaustellen sind über die Berninastrasse und die Rhätische Bahn (RhB) gut erschlossen. Bei den anderen Bauplätzen sind Optimierungen bei der Erschliessung notwendig, wobei auf die vorhandenen Güter- und Forststrassen zurückgegriffen werden kann. Die Baustellen von Plan di Laghett und für die Wasserfassungen werden durch eine Bauseilbahn ab dem Talgrund erschlossen.
Eine logistische und ökologische Herausforderung ist für die Repower der Umgang mit dem Stollenausbruch. Etwa ein Drittel des Materials, insgesamt rund 3,5 Millionen Tonnen, kann zum grossen Teil für den Bau der Anlagen wiederverwertet werden. Ein Teil davon wird für die vorgesehene Staumauererhöhung um 4,5 Meter eingesetzt. Das restliche Material schliesslich muss deponiert werden. Dafür wurden Örtlichkeiten im Umfeld der Baustellen eruiert, wo dies ökologisch und landschaftlich vertretbar ist. Die Materialaufbereitung für die Baustellen am Bernina kann direkt im Cambrenadelta erfolgen. Am Lago di Poschiavo wird das Material in Li Geri aufbereitet. An beiden Orten arbeiten bereits heute private Unternehmungen im Bereich der Kiesgewinnung und der Aufbereitung von Baumaterial. Der Transport des Materials von Camp Martin nach Li Geri erfolgt per Transportschiff über den Lago di Poschiavo.