Ferien bringen auch etwas.» Mit diesem saloppen Vergleich im Schweizer Fernsehen goss Bundesrat Pascal Couchepin Öl ins Feuer einer ohnehin schon hitzigen Diskussion. Gefragt worden war der Gesundheitsminister nach dem Nutzen der Komplementärmedizin. Grund für die Frage war der Streit darüber, ob die fünf komplementärmedizinischen Methoden Homöopathie, anthroposophische Medizin, Neuraltherapie, Phytotherapie und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) in der Grundversicherung bleiben sollen oder nicht.

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Der Nutzen dieser Methoden ist das eine, die Nachfrage nach den Naturheilmethoden das andere. Klar ist: Das Interesse an alternativen Heilmitteln und pflanzlichen Medikamenten ist gross. Ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung der Schweiz bezieht komplementärmedizinische Leistungen, dies haben Umfragen ergeben. Die einen nehmen Johanniskraut gegen ihre Depression, die andern überwintern mit Burgerstein-Vitaminen, und die dritten versuchen ihre aufkommende Grippe mit Echinaforce oder Oscillococcinum-Kügelchen zu lindern.

Geringe Kosten

Die allerwenigsten dieser Heilmittel werden von den Krankenkassen vergütet. Immerhin zahlten die Versicherer einen Teil der erbrachten Leistungen, de facto die Arzthonorare. 2003 waren dies 30,3 Mio Fr. im Rahmen der obligatorischen Grundversicherung. Das entspricht 0,2% der gesamten Kosten in der Grundversicherung. Diese Leistungen könnten künftig wegfallen, wenn der Bundesrat so entscheidet.

Der Umsatz der Naturheilmittel in der Schweiz liegt aber viel höher, nämlich bei rund 250 Mio Fr. Die für die Selbstmedikation von der Schweizer Bevölkerung in Apotheken und Drogerien gekauften Produkte belaufen sich laut IMS auf 137,6 Mio Fr. Dazu kommen Produkte im Wert von gut 100 Mio Fr., die am Grosshandel vorbei geliefert wurden oder die keinen Pharmacode aufweisen, also von der Swissmedic nicht registriert wurden.

Die Debatte darüber, ob die fünf komplementärmedizinischen Methoden in der Grundversicherung bleiben oder nicht, ist für die betroffenen Unternehmen wichtig. Fallen sie aus der Grundversicherung, droht ihnen ein Negativimage. Für die bekanntesten Unternehmen wie Weleda, Similasan, A.Vogel, Zeller, Omida, Schwabe und Antistress (Burgerstein) könnte dies böse Folgen haben. Beispielsweise für Weleda. Die Herstellerin von antroposophischen Heilmitteln schätzt, dass 2004 5,5 Mio Fr. ihres Heilmittelumsatzes durch die Krankenversicherer vergütet wurden. Diese Summe müssten künftig die Patienten selber übernehmen. Für Weleda-Geschäftsführer Moritz Aebersold wäre dies deshalb stossend, weil gerade auch junge Familien (Babypflege!) und ältere Chronischpatienten zu den wichtigsten Kunden zählen. Aebersold geht es aber auch um die Therapiewahlfreiheit, die bedroht sei.

Dazu kommen die ökonomischen Aspekte. Die komplementärmedizinischen KMU in der Schweiz könnten nur bescheidene Deckungsbeiträge ausweisen, sagt Aebersold, der auch Präsident des Schweizerischen Verbandes für komplementärmedizinische Heilmittel (SVKH) ist. Ihre Kosten seien in den letzten Jahren enorm gestiegen wegen erhöhtem Personalbedarf für Analytik und Dokumentation und wegen grossen Investitionen für GMP-Massnahmen und in die Herstellinfrastruktur; bei Weleda und Similasan werden zurzeit neue Pharmagebäude gebaut. Wenn nun die Umsätze wegbrechen, würde es für alle, insbesondere aber die kleinen Unternehmen, die teils aus einem einzigen Labor bestehen, sehr eng.

Davon ist auch Similasan-Geschäftsführer Danny Chandler überzeugt. «Wir wollen neue Kunden gewinnen und nicht alte Kunden verlieren.» Doch Chandler ist sich sicher: «Was auch immer geschieht, die Konsumenten wollen homöopathische Arzneimittel und werden sich auch durch politische Bevormundung nicht davon abbringen lassen.» Sein Unternehmen, das zwei Drittel des rezeptfreien Homöopathiemarktes hält, ist der schlagende Beweis dafür, dass immer mehr Patienten alternativen Heilmethoden vertrauen. Im Markt der frei verkäuflichen Medikamente, den so genannten OTC-Produkten, erzielt Similasan den sechsthöchsten Umsatz in der Schweiz. Vor dem Unternehmen aus Jonen im Kanton Aargau liegen einzig die Pharmariesen Novartis, Roche und Pfizer sowie Vifor und Ibsa. Similasan ist zurzeit daran, die Produktion zu verdreifachen. Noch vor drei Jahren hat sie 4 Mio Heilmittel verkauft, heuer 11 Mio.

Vom Gesamtumsatz von 40 Mio Fr. erzielt Similasan knapp ein Drittel im Heimmarkt. Auf 20 Mio Fr. bringt es Similasan in den USA, wo das Unternehmen genauso Branchenleader ist wie in Österreich. Bei Weleda beträgt der Schweizer Anteil gar nur 10%; die Gruppe mit 23 Niederlassungen im Ausland erzielt einen Gesamtumsatz von 250 Mio Fr.

Fatale Folgen im Ausland

Der Streit um die Anerkennung der Komplementärmedizin wird nicht nur in der Schweiz geführt. Frankreich hat im letzten Jahr die homöopathischen Heilmethoden zurückgestutzt, indem es die Rückvergütung der Kassen von zwei Drittel auf einen Drittel reduzierte. In der Folge mussten die beiden Marktführer Boiron und Dolisos fusionieren. Und in Deutschland zahlen die Kassen seit 2004 keine pflanzlichen Präparate mehr. Die Hersteller erlitten Einbussen von bis zu 80%.

Eine solche Entwicklung könnte sich in der Schweiz auch anbahnen. Dies verhindern will eine Volksinitiative. Ein halbes Jahr nach ihrer Lancierung sind bereits 100000 Unterschriften beisammen. Die Initiative verlangt von Bund und Kantonen die umfassende Berücksichtigung der Komplementärmedizin. Konkret sollen die alternativen Heilmethoden politisch und rechtlich der Schulmedizin gleichgestellt werden.

Wie gross hier die Differenzen sind, zeigt sich etwa daran, dass an den Universitäten neben mehreren 100 Lehrstühlen für Schulmedizin gerade mal deren zwei für Komplementärmediziner besetzt sind. «Dazu kommt, dass viele Ärzte den alternativen Heilmitteln den Nutzen absprechen», sagt Robert Gübeli, Geschäftsführer der Antistress AG, die die Burgerstein-Produkte im Sortiment führt. Nicht nur die Ärzte, auch die Pharmaunternehmen stehen der Komplementärmedizin äusserst kritisch gegenüber. Die Hersteller chemischer Substanzen fürchten sich vor dem wachsenden Erfolg der Naturheilmittel. Doch noch ist dies ein Kampf David gegen Goliath.

Komplementärmedizin in der Grundversicherung

(in Mio Fr.)

2001: 20.2

2002: 22.3

2003: 30.3

2004: 30.0*

Quelle: BAG; * Schätzung «HANDELSZEITUNG»

Naturheilmittelmarkt Schweiz Menge und Wert zu Ex-Factory (2004)

Komplementärmedizin

Vielfältig, bewährt

Komplementärmedizin ist der Sammelbegriff für die Vielfalt von begründeten, eigenständigen Heilmethoden, Diagnoseverfahren und Heilmitteln. Die meisten haben eine jahrzehnte- oder sogar jahrhundertelange Tradition. Die Vielzahl der komplementärmedizinischen Methoden entstammt bewährten einheimischen Traditionen (beispielweise Pflanzenheilkunde, Homöopathie, anthroposophische Medizin, naturheilkundliche Verfahren) oder andern Kulturen (traditionelle chinesische Medizin, tibetische Medizin, Ayurveda) oder stellt neuere Entwicklungen dar (Neuraltherapie, Kinesiologie). Ihr Einsatz erstreckt sich im Sinne der Therapiefreiheit sowohl auf den ambulanten wie stationären ärztlichen Bereich als auch auf den Bereich der nicht-ärztlichen Behandlung. Viele Patienten beziehen (und bezahlen) diese Produkte in Eigenverantwortung.