BILANZ: Sie haben in Ihrem Buch «The Alchemists – Inside the Secret World of Central Bankers» die Geschichte der Zentralbanken von 1668 bis heute nachgezeichnet. Waren die Notenbanker jemals so mächtig wie heute?
Neil Irwin: Die Notenbanker sind heute so mächtig wie nie zuvor. In der Finanzkrise hatten sie den Mut und die Entscheidungskraft zu Rettungsmassnahmen, welche die anderen Institutionen nicht leisten konnten. Seitdem haben sie ihren Einfluss auf die Finanzmärkte massiv ausgedehnt und sind zudem als Regulatoren noch viel bedeutender geworden. Die Notenbanker sind heute viel mächtiger, als es sich ihre Vorgänger jemals erträumt hätten.
Ist das nicht eine Gefahr – unkontrollierte Macht?
Aus demokratischer Sicht ist das ein Grund zu grosser Sorge. Die Notenbanken sind die unabhängigsten Institutionen der Wirtschaft. Aber die Alternative ist auch nicht besser: Wir wollen nicht, dass die Notenbanker der Politik ausgesetzt sind und parteipolitische Entscheide fällen. Die Notenbanker haben die Mission, Preise stabil zu halten und Wachstum zu erzeugen.
Aber produzieren sie mit Niedrigzinspolitik und Geldschwemme nicht vor allem neue Blasen?
Sie schaffen ein unausgeglichenes Wachstum. Während in vielen Ländern – den USA, England, Südeuropa – stark gespart wird und die Löhne dadurch sinken, steigen die Aktienkurse wegen der Niedrigzinspolitik. Das ist nicht gesund.
Selbst der frühere US-Notenbankchef Paul Volcker kritisiert mittlerweile, die Notenbanker hätten zu viel Macht.
In den USA hat es seit der Gründung der Fed vor 100 Jahren immer wieder Kritik an der angeblich zu grossen Macht der Zentralbank gegeben. Auch nach der Finanzkrise sollte die Macht der Fed reduziert werden. Doch sie ist noch gewachsen.
Fed und EZB übernehmen jetzt sogar noch mehr Macht bei der Bankenregulierung, die Bank of England ist sogar der alleinige Regulator in England. Die Schweiz leistet sich mit Finma und Nationalbank weiter zwei Regulatoren. Ist das sinnvoll?
Beide Lösungen sind valabel. Allerdings kann ich gut verstehen, wenn die EZB oder die Bank of England auch die Banken genau kontrollieren wollen, für die sie ja im Notfall als «lender of last resort» einstehen müssten.
Haben die Notenbanken die Finanzkrise gut gemanagt?
In der akuten Krisenzeit 2008 und 2009 haben sie genau richtig gehandelt, sie haben die Welt vor einer Depression gerettet. Nach 2009 war vor allem die EZB zu zögerlich, und das hat die Eurokrise verschärft. Und wir sollten auch nicht vergessen: Keine Notenbank hat vor der Krise die Risiken für die Weltwirtschaft vorhergesehen.