Das Verdikt der Marketinggemeinde war eindeutig. Als Nespresso 1988 mit der Idee von 1975 auf den Markt kam, ihre Kunden mittels Hochdruck aus Kaffeeportionenkapseln, die nur in bestimmte Kaffeemaschinen passen, einen Espresso zubereiten zu lassen, winkten die Experten ab: Das kann gar nicht klappen. Wie sollte ein Nahrungsmittelhersteller die Kaffeemaschinenbauer dazu bringen, eigens für Nespresso gefertigte Maschinen zu verkaufen? Und die Idee, den Handel vom Kapselglück praktisch auszuschliessen und auf den Direktverkauf zu setzen, widersprach allem, was sich gehörte. Dazu kamen die Kaffeepreise: Die Maschinen mögen preisgünstig sein, aber Kaffeekilopreise von 70 Fr.? Keine Chance am Markt.

Als sich dann auch Qualitätsprobleme einstellten - die Maschinen tropften und versagten häufig ihren Dienst -, schien die Marketinggilde Recht zu behalten. In den Nespresso- und Nestlé-Chefbüros wuchs die Überzeugung, die Übung abzublasen. In einem Interview mit «Persönlich» erklärte Nespresso-CEO Gerhard Berssenbrügge, man hätte nach sieben erfolglosen Jahren fast «dichtmachen» wollen; die Wende sei mit einem neuen Management gekommen.

Eine letzte Anstrengung mit ausgeklügelteren Maschinen und technischen Verbesserungen an den Espressokapseln aus Aluminium war die letzte Chance. Und endlich zündete die Idee auch im Markt. 27 Maschinen der Marken Turmix, Koenig, Jura, Miele und neu Siemens stehen heute in der Schweiz zur Auswahl, in anderen Ländern kommen Krups, Alessi, Magimix und neu Delonghi dazu. Saeco ist aus dem Rennen. Insgesamt zählt Nespresso fast 1,5 Mio «Clubmitglieder».

Nespresso setzte knallhart auf die Karte Qualität: Wer so bequem einen guten Espresso mit richtiger «Crema», dem aromaschützenden Schäumchen, im eigenen Hause brauen kann, zahlt auch gerne etwas mehr. Mit knapp 50 Rp. pro Tasse muss rechnen, wer sich für eine der neun «Grands-Crus»-Espresso- und drei Kaffeecrème-Sorten aus der Schmuckschatullen-ähnlichen Auswahl entscheidet. Das Wasser wird mit nicht weniger als 19 Bar durch die Kapsel gedrückt. Die kann anschliessend in den passenden Behälter geworfen werden - der Handel nimmt sie zurück, und Nespresso trennt Kaffeesatz und Aluminium und führt beides wieder in den Stoffkreislauf. In der Schweiz wird fast jede zweite Alu-Kapsel rezykliert; Nespresso lässt sich das jährlich 1,5 Mio Fr. kosten.

Qualität und jede Menge Kundenbindung gibt es auch drumrum: Der Internetauftritt von Nespresso ist aufwendig und informativ gestaltet, der Kundenservice arbeitet während 24 Stunden und stellt bei längeren Reparaturen eine Ersatzmaschine zur Verfügung. Und in einer der sechs Schweizer «Boutiquen» - das Wort «Shop» wäre wohl zu wenig edel - kann man sich ausführlich über alle Aspekte guter Kaffeezubereitung beraten lassen. Weltweit sind es 31 Läden. Die Markenpositionierung hört denn auch auf den Namen «Perfection and pleasure, simplicity and aestheticism».

*Enormes Wachstum*

Die Nespresso-Lawine ist unterdessen kaum mehr zu stoppen. Nespresso, die knapp 1000 Personen Arbeit gibt, dürfte dieses Jahr mehr als 1 Mrd Kapseln in 32 Ländern verkaufen; der Umsatz steigt jährlich um bis zu 25%. 2004 liegen knapp 600 Mio Fr. Umsatz drin, etwa ein Drittel davon in der Schweiz. Für 2007 wird die Milliardengrenze angepeilt. Ein beeindruckendes Marketingkonzept steht dahinter - und jetzt hat Nespresso auch den Marketingpreis der Schweizerischen Gesellschaft für Marketing gewonnen (siehe Kasten).

Mit den abgepackten Portionen ist Nespresso nicht alleine auf dem Markt. Lavazza, die auch heisse Schokolade kredenzt, beherrscht den italienischen Markt, und der findige Kopf im damaligen Nespresso-Team, Eric Favre, führt das System seit neun Jahren unter dem Namen «Monodor» weiter. Damit konnte er keine nennenswerten Marktanteile erringen, und nun hat er sich mit der Migros zusammengetan, die das System seit Mittwoch, 27. Oktober, unter Lizenz als «Delizio» unter die Leute bringt. Und vor zwei Monaten startete Kraft Jacobs mit «Tassimo» ein ähnliches Produkt mit Schwerpunkt auf Kakaoportionen.

Die Migros-Kapseln bestehen aus Polypropylen, landen im Haushaltabfall und werden in der Kehrichtverbrennung nach Aussage der Migros schadstofffrei verbrannt. Das System arbeitet mit Maschinen der Saeco-Tochter Gaggia - ein Grund für die Vertragsauflösung mit Nespresso? - und drückt das Wasser mit 15 Bar durch die Kaffeekapseln; beim Tee sind es 8 bis 10 Bar. In einem Härtetest hat die Migros sichergestellt, dass der Plastik keinen Einfluss auf den Geschmack hat. Mit Lavazza, Delizio, Solis, Amici und Nespresso hat der «Kassensturz» vor gut einer Woche einen Geschmackstest durchgeführt - mit Nespresso als Siegerin.

*Kaum Streit um Marktanteile*

Vermiesen die Migros-Anstrengungen Nespresso das Geschäft? Inzwischen sind die Marketingfachleute optimistischer. Migros spreche eine andere Käuferschicht an, obwohl die Kaffeeportionen mit rund 40 Rp. nicht wesentlich günstiger sind als die von Nespresso (Gemäss K-Tipp kommt eine Tasse aus dem traditionellen Espressokocher auf knapp 7 Rp.). Nespresso setzt auf kompromisslose Qualität und entsprechendes Marketing, Migros hat diejenigen Käufer im Auge, die in den letzten Jahren ständig um die Nespresso-Maschinen herumgeschlichen sind und sich noch keinen Ruck geben konnten. Allen ist gemeinsam, dass die Kunden für das «Kaffeeerlebnis» und die Qualität auch einen guten Preis zu zahlen bereit sind. Nach Branchenschätzungen verkauft Nespresso rund ein Viertel seiner Kapseln in Büros, drei Viertel an Privathaushalte.

«Die Migros wird Nespresso vermutlich zunächst ein paar Marktanteilprozente wegnehmen. Da aber eine neue Käuferschicht aktiviert wird, wächst der Gesamtmarkt, und von der weiteren Verbreitung wird letztlich auch Nespresso profitieren», sagt Marketingexperte Stephan Feige, Chef der Marketingberatung HTP St. Gallen AG. Er prophezeit auch dem Migros-Vorstoss einen Erfolg. Ähnlich sehen es übrigens auch der Nespresso-Chef und die Marketingverantwortlichen der Migros. Die ersten Anzeichen jedenfalls sind ermutigend: Ohne dass die Mitarbeitenden die Maschine gesehen haben oder den Kaffee testen konnten, gingen von ihnen Bestellungen über knapp 60000 (!) Maschinen ein - freilich subventioniert zu 75 Fr. statt 298 Fr. Und bald wird Nespresso einen Nachteil gegenüber «Delizio» wettmachen: Es ist geplant, beim Kaffee sozial- und umweltverträgliche Anbieter ins Sortiment aufzunehmen. Dann schmeckt der Kaffee vielleicht sogar noch besser.

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