Passen sich im Fussball zwei Spieler abwechselnd den Ball in die Füsse, nennt man das Doppelpass. Auf dem Feld des Kaffeekapselmarktes beherrschen das der Discounter Denner und der Kaffeekapselhersteller Nespresso ganz vorzüglich. Mit dem Schönheitsfehler, dass sie nicht im selben Team spielen. Trotzdem erinnern ihre jüngst geschalteten Anzeigen an ein virtuoses Doppelpassspiel. Während der Discounter «weiterkämpft, dass die günstigen Kaffeekapseln erhältlich bleiben», soll Nespressos jüngste Brühmaschine, das Modell Pixie, mehr können, als man sieht. Was die Maschine auf jeden Fall kann: Sie ist kompatibel mit einigen Nachahmerkapseln und brüht etwa Kaffee aus den günstigeren Denner-Kapseln. Nespresso passt das überhaupt nicht.
Diese führt mit Denner seit Monaten ein juristisches Hickhack. Nespresso hat den Discounter wegen Patentrechtsverletzungen eingeklagt und einen Verkaufsstopp erwirkt. Seit Anfang April stehen die vom Tessiner Hersteller Alice Allison fabrizierten Kapseln auf Geheiss des St. Galler Handelsgerichts wieder in den Regalen der Deutschschweizer Denner-Filialen. Nun brüten die obersten Richter in Lausanne über dem Fall (siehe «Lausanne ist am Zug» unter 'Nebenartikel'). «Wir wollen damit 25 Jahre harter Arbeit und Innovationen schützen und die nötigen Schritte unternehmen, um das geistige Eigentum zu verteidigen», erklärt Nespresso-Chef Richard Girardot gegenüber BILANZ.
«Das ist ein klassischer Rückzugskampf», schmunzelt Giovanni Alberti, der 44-jährige Chef der Denner-Kapsel-Herstellerin Alice Allison. «Nespresso versucht zu verteidigen, was es zu verteidigen gibt.» Der ETH-Ingenieur ist guter Dinge, dass in Lausanne das Urteil des St. Galler Handelsgerichts bestätigt wird. Abwarten will er es nicht. «Die neuen Produktionsmaschinen werden noch dieses Jahr ihren Betrieb aufnehmen», dann «vervielfachen wir die Kapazität» und «verkaufen unsere günstigeren Kapseln auch im angrenzenden Ausland», sagt er.
Renditeträchtiges Fahrwasser. Alice Allison beschäftigt heute wieder knapp 30 Leute. 25 hatten nach dem Verkaufsstopp die Kündigung erhalten. «Die Zeit spielt für einen offenen Markt», glaubt Alberti. Der umtriebige Kapselhersteller ist davon überzeugt, dass früher oder später auch Nespresso-kompatible Kaffeemaschinen als Nachahmerprodukte auf den Markt drängen werden. Ein Markt, ein Produkt, eine freie Marktwirtschaft, so Albertis Credo.
Wüsste man es nicht besser, er würde glatt als Nespresso-Getreuer durchgehen. Als hätte er die Philosophie des Lausanner Konzerns verinnerlicht, sprudeln Sätze wie «Nespresso hat die Kraft, die Konsumgewohnheiten zu ändern» und «Wir bauen eine Nespresso-Kultur auf» aus seinem Mund. Die Schwärmerei für den Konkurrenten ist nachvollziehbar: In Nespressos Fahrwasser lässt es sich vorzüglich leben. Jährliches «double digit»-Wachstum, Umsatz von über drei Milliarden Franken, traumhafte Margen. Die Produktion einer Kaffeekapsel mit Inhalt koste nicht mehr als 20 Rappen, heisst es in der Branche. Nespresso-Kapseln gibt es für 50 bis 57 Rappen. BILANZ schätzt die Bruttomarge auf rund 60 Prozent. Nespresso hält sich bedeckt und erklärt, dass die Schätzungen nicht alle Kosten hinter dem Nespresso-Businessmodell berücksichtigten.
Der Lausanner Kapselhersteller spurt vor, die anderen ziehen nach. Das gilt sowohl für die Expansion – etwa in den asiatischen oder amerikanischen Markt – als auch für Nespressos intensive Werbekampagne mit George Clooney. Was der Mime kostet, verrät man nicht. Billig ist er sicher nicht, aber der Werbeträger macht sich offenbar bezahlt. «Wir haben mit George Clooney jüngst einen neuen Vertrag für eine weitere Periode abgeschlossen und wollen die Zusammenarbeit ausdehnen», betont Nespresso-Chef Girardot. Konkurrent Alberti kann die Nespresso-Expansion recht sein. «In Ländern, in denen Nespresso präsent ist, haben auch wir Kapazitäten», weiss er nur zu gut. Setzt Nespresso ihren Siegeszug mit ihrem Portionenkaffee global fort, reiben sich die Nachahmer die Hände. Wachstumspotenzial besteht zur Genüge. Denn heute entfallen geschätzte 90 Prozent des Nespresso-Umsatzes auf Europa.
Grossoffensive in den USA. Für die Nestlé-Tochtergesellschaft ist zentral, dass sie den Marketingcoup, Kaffee als edles Lifestyle-Produkt zu positionieren, im wenig kaffeefreundlichen Wachstumsmarkt Asien wiederholen kann. China etwa, das bevölkerungsreichste Land der Welt, zieht Tee und heisses Wasser dem Kaffee vor. Nespresso lässt sich davon nicht beirren. Zehn Jahre nach der ersten Boutique in Paris eröffnete Girardot letztes Jahr die 200. Boutique weltweit in Shanghai – die dritte insgesamt in China. Heute können die global mehr als zehn Millionen Mitglieder des Nespresso Club in 215 Shops (bis Ende Jahr sollen es rund 250 sein) die farbigen Kapseln kaufen.
Wie oft die mit mehr als 1700 Patenten geschützten Kapseln in den einzelnen Ländern über die Tresen gehen, darüber schweigt sich die Nestlé-Tochter aus. «2010 entfielen bereits 14 Prozent des Umsatzes auf aussereuropäische Märkte», verrät der 56-jährige Girardot, der Nespresso seit 2007 führt. Die US-Bank Morgan Stanley schätzt, dass die Vereinigten Staaten aktuell drei Prozent zu Nespressos Gesamtumsatz beisteuern, gut 100 Millionen Dollar. Es verbleiben, gemäss Analysten, sieben Prozent für den Rest der Welt, der grösste Teil davon dürfte auf den asiatischen Markt entfallen.
Morgan Stanley sieht den nächsten Wachstumsschritt allerdings eher in den USA als in Asien. Denn mit Starbucks will die grösste Kaffeekette der Welt den dortigen Kapselmarkt entern, in Zusammenarbeit mit Keurig Green Mountain Coffee. Letztere beherrscht ungefähr zwei Drittel des amerikanischen Kaffeekapselmarktes. Die Analysten raten zur Eile: Der US-Markt ist härter umkämpft, als es der europäische zum gleichen Expansionszeitpunkt war. Nespresso ist zwar drittgrösster Player in Übersee, allerdings mit happigem Abstand zu Keurig. Die Nestlé-Konzernspitze in Lausanne ist sich dessen bewusst. Im jüngsten Quartalsbericht kündigte der Nahrungsmittelmulti weitere Expansionsschritte an, auch in den USA, trotz dem «intensivierten Wettbewerb». Selbst mit verstärktem Gegenwind hält Morgan Stanley bis 2015 eine Verfünffachung des aktuellen Nespresso-Umsatzes in den USA für realistisch.
Doch selbst mit den jährlichen Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich bleibt der Kaffeekapselmarkt zwar ein schnell wachsender Markt, aber vorerst dennoch ein Nischenmarkt. Nicht einmal zwei von 100 Tassen Kaffee weltweit kommen aus der Kapsel. Das entspricht jährlich gut zwölf Milliarden Portionen. Mehr als die Hälfte davon gehen auf das Konto von Nespresso – schwierig, dieses Niveau zu halten.
«Für 2020 schätzen wir, dass der Markt im Bereich von 150 Milliarden Kapseln liegen wird», sagt Pascal Schlittler, CEO der im vergangenen Jahr gegründeten Firma Mocoffee. Sie ist Lizenznehmerin bei Monodor, dem Unternehmen des Nespresso-System-Erfinders Eric Favre. «Die Vorteile der aktuellen Monopolisten werden wegfallen», glaubt Favre, zumal im kommenden Jahr einige wichtige Kapselpatente auslaufen. Bisher entfallen in der Schweiz bloss drei Prozent auf Nachahmerprodukte (siehe Grafik unter 'Downloads'). Doch sowohl Unternehmen aus der Kaffeebranche als auch branchenfremde Firmen dürften sich einen Einstieg in den lukrativen Kapselmarkt überlegen. Denner-Kapsel-Produzent Alberti vergleicht die Nespresso-Kapseln mit einem guten Wein, den man sich ab und an gönne, während andere, günstigere Kapseln eher die tägliche Kaffeelust befriedigten.
Im preisgünstigen Segment erwächst Nespresso wohl bereits im September erneut Konkurrenz. Der ehemalige Nespresso-Chef Jean-Paul Gaillard lanciert mit Ethical Coffee Kopien im Heimmarkt – auch seine Firma befindet sich im Rechtsstreit mit Nespresso, in Frankreich. Die Kapseln sollen gut 20 Prozent günstiger sein als jene des Branchenkrösus. Dem Vernehmen nach sollen die Kapseln dann in den Coop-Regalen stehen – der Detailhändler dementiert: Man sei mit verschiedenen Produzenten im Gespräch. In Gaillards Umfeld heisst es freilich, der Deal sei beschlossene Sache.
Langfristiger Marktführer. Nespresso kümmert die Bewegung am Markt wenig. «Der Kaffeekapselmarkt ist kompetitiv, Erfolg zieht Nachahmer an», sagt Girardot lapidar. Auch Vorwürfe, wonach die neuste Maschine so modifiziert worden sei, dass die Konkurrenzkapseln etwa von Denner, des US-Konzerns Sara Lee oder von Ethical Coffee beschädigt würden, weist Girardot zurück. «Wir wollten damit bloss Schwierigkeiten mit eigenen Kapseln beheben. Die Entwicklung haben wir bereits 2008 lanciert.» Neue Vertriebswege sind ebenfalls kein Thema. Heute treffen 51 Prozent der Bestellungen online ein, 35 Prozent kommen über die Boutiquen, der Rest übers Callcenter.
Viel werde sich im Markt nicht ändern, bestätigt Monodor-Chef Favre. «Die Erfahrung, die sich die Marktführer während mehrerer Jahrzehnte angeeignet haben, verhilft ihnen zu einer langfristigen Leaderposition am Markt.» Ein Steilpass, den Favres ehemaliger Arbeitgeber mit Sicherheit aufnimmt.