Bergsteiger und braun gebrannt zum schönsten Manager wurde Peter Brabeck schon oft gekürt. Und bald wird er es wohl auch zum schönsten VR-Präsidenten schaffen. Über Schönheit lässt sich streiten, nicht jedoch über seine zunehmende Machtfülle.
Nächstes Jahr fällt die Altersguillotine über den 72-jährigen Nestlé-Verwaltungsratspräsidenten Rainer E. Gut. Dann soll sein Vize Peter Brabeck nachrücken und als Kapitän und Steuermann in Personalunion den Supertanker führen. Das pfeifen die Spatzen von den Dächern des imposanten Glaspalasts in Vevey.
Die absehbare Machtkonzentration an der Konzernspitze geschieht nach einem für Nestlé nicht berauschendem Jahr. Die Umsätze stagnieren, und ob das anvisierte Ziel von 5 bis 6% Wachstum bis Ende Jahr erreicht wird, ist mehr als fraglich. Zudem sorgen Krisen etwa bei Perrier in Frankreich oder der Aufstand der Belegschaft bei Maggi in Deutschland für negative Schlagzeilen.
Eine Machtfrage
Die Verschmelzung von Präsidium und CEO-Funktion hält Christian Muggli, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Egon Zehnder, für keine gute Konstellation: «Es gibt bei Nestlé genug Arbeit für den CEO und den Präsidenten, um zwei verschiedene Personen damit zu beschäftigen. Ich sehe keinen Grund dafür, diese Funktionen in Personalunion auszuüben.» Bei kleineren und mittleren Unternehmen fehle es manchmal an Managementkapazität, um beide Funktionen mit verschiedenen Führungskräften zu besetzen. Bei Nestlé sei dies nicht der Fall. «Letztlich geht es um die Machtfrage.»
Diese Macht zu zelebrieren, versteht Brabeck bestens. An Medienkonferenzen wie letzte Woche in Vevey werden zwar alle Generaldirektoren aufgeboten, aber ausser Brabeck darf sich nur der Finanzchef äussern. So erinnern die zehn in Reih und Glied auf dem Podest erstarrten Konzernleitungsmitglieder eher an das Zentralkomitee an Maifeiern der verblichenen Sowjetunion als an ein dynamisches Grossunternehmen des 3. Jahrtausends.
Erst beim Apéro nach der Medienkonferenz dürfen sie Fragen beantworten, aber nur, weil der oberste Chef dort durch Abwesenheit auffällt. Die Frage «Wer von Ihnen wird einmal Brabeck als CEO ablösen?», löst bei Luis Cantarell, Generaldirektor der Division Ernährung, ein schockiertes Kopfschütteln aus. Und Werner Bauer, Generaldirektor für Forschung und Entwicklung, kann dazu nur lachen: «Das steht überhaupt nicht zur Diskussion.»
Bei Nestlé muss ein Platz an der Konzernspitze über Jahrzehnte hinweg ersessen werden. Bauer ist mit 15 Jahren der Dienstjüngste. Im Durchschnitt haben die zehn Generaldirektoren 29 Jahre lang für den Nahrungsmittelmulti gearbeitet. Der Dienstälteste, Michael W.O. Garrett, wird gar mit 44 Nestlé-Jahren auf dem Buckel im nächsten April abtreten. Eine Frau hat es noch nie in diese Männerbastillon an der Konzernspitze geschafft. Immerhin wird Nelly Wenger nun Chefin von Nestlé Schweiz.
Die Uhren ticken in diesem Konzern eben anders. Anderswo muss ein Manager Flexibilität beweisen und Erfahrungen in verschiedenen Firmen sammeln, bevor er zum CEO erkoren wird. Bei Nestlé dagegen wird auf Kontinuität und Beharrungsvermögen gesetzt. Brabeck hat bei Nestlé 1968 als Glacéverkäufer in Österreich angefangen und seither nie in einem anderen Unternehmen gearbeitet.
Umstrittene Personalunion
Doppelmandate haben Vor- und Nachteile. «Aus der wissenschaftlichen Literatur gibt es keineSchlussfolgerung, wonach Gesellschaften mit Doppelfunktionen sich besser entwickeln als solche, bei welchen die Funktionen getrennt ausgeübt werden», sagt Kurt Schiltknecht, der soeben ein Buch zu Corporate Governance geschrieben hat (siehe «HandelsZeitung Nr. 40 vom 29. September 2004). Gegen eine Doppelfunktion spreche das System von «Checks and Balance», für eine Personalunion aber die genauen Informationen über ein Unternehmen, die dem Verwaltungsrat oft fehlen, wenn der CEO nicht auch VR-Präsident sei. «Im Fall eines Doppelmandats ist es wichtig, dass ein starkes Gegengewicht im Verwaltungsrat besteht.» Da Brabeck der einzige Interne von Nestlé im Verwaltungsrat ist, sind die übrigen Verwaltungsräte stark von seinen Informationen abhängig. Als Präsident würde sich deshalb seine Macht noch potenzieren.
Eine ähnliche Meinung wie Schiltknecht vertritt auch Conrad Meyer, Direktor des Instituts für Rechnungswesen und Controlling der Universität Zürich: «Empirische Untersuchungen bezüglich der Performance der jeweiligen Unternehmen bestätigen weder einen Vorteil einer Funktionstrennung noch einer Personalunion.» Sein Institut hat soeben die Geschäftsberichte 2003 der an der SWX kotierten Unternehmen untersucht und herausgefunden, dass 76% der Firmen eine Funktionstrennung und 24% eine Personalunion aufweisen. Meyer meint: «Die Personalunion hat den Vorteil, dass die Gefahr einer Lethargie bei zwei starken Führungspersönlichkeiten, die sich paralysieren, gebannt ist. Umgekehrt ist eine Funktionstrennung dann vorteilhaft, wenn es gelingt, beide Positionen mit Persönlichkeiten zu besetzen, bei denen die Zusammenarbeit zweier starker Charaktere Kompetenz und Stabilität schafft.» Interessant: Auch der zweitgrösste Schweizer Konzern, Novartis, hat mit Daniel Vasella einen CEO und Chairman in Personalunion. Auch dort ist diese Kombination nicht unumstritten.
Eine andere Schlussfolgerung zieht Richard Bernstein, Chef-Stratege der Merill Lynch, nachdem er die 100 grössten Firmen der USA über die letzten zehn Jahre betrachtet hat: Unternehmen, welche die Rolle von Chairman und CEO getrennt haben, seien profitabler. Kein Wunder, läuft in den USA der Trend Richtung Rollenteilung.
Die Doppelfunktion an der Führungsspitze gab es beim weltgrössten Nahrungsmittelkonzern schon früher. Brabecks Vorgänger Helmut Maucher war VR-Präsident und Delegierter, bis er 69 Jahre alt war. Brabeck selber hält ein «Doppelmandat für kein Dogma». Am 13. November 2004 feiert er seinen 60. Geburtstag. Er sitzt auch im Roche-VR. Sein VR-Mandat bei Credit Suisse soll er demnächst abgeben. Kürzlich hat er erwähnt, dass er «wegen zusätzlicher Verpflichtungen» sich aus einem Gremium verabschieden möchte. Mit der Entlastung will er sich wohl mehr Raum für sein VR-Präsidium bei Nestlé schaffen.
Wenig Wachstum: Der Supertanker dümpelt dahin
Obwohl keine Gewinnwarnung ausgesprochen wurde, sind die Ergebnisse des grössten Nahrungsmittelkonzerns der Welt mager und die Aussichten eher grau. Die Umsätze stagnierten in den ersten neun Monaten bei 64,6 Mrd Fr., der Aktienkurs verlor innerhalb eines Jahres 4,5%. Anfangs Jahr war Nestlé-CEO Peter Brabeck noch optimistisch gewesen und prognostizierte ein Umsatzwachstum von 5 bis 6%. Nun beträgt das organische Wachstum nach neun Monaten nur 4,6%. Kein Wunder, dass Brabeck das ursprüngliche Umsatzziel nicht mehr bestätigen will. Wenn er es noch erreichen möchte, müsste das Unternehmen im letzten Viertel um happige 6,5% zulegen. Immerhin soll die Ebita-Marge Ende Jahr höher liegen als vor einem Jahr. Die Margenentwicklung stellt aber wegen der vom Erdölpreis bestimmten Verpackungs- und Vertriebskosten und dem ungünstigen Währungsumfeld im zweiten halben Jahr ein Risiko dar. (gh)