Spaghetti Carbonara, Brathähnchen mit Knoblauch, Risotto mit Meeresfrüchten: wenig Aussergewöhnliches, was es in den letzten Februartagen in der Kantine am Nestlé-Hauptsitz in Vevey zu essen gibt. Ungewöhnlich schon eher, dass für jeden Gang auf der Speisekarte peinlich genau die Anzahl Kalorien angegeben ist. Demnächst sollen die Nährwerte noch deutlich detaillierter aufgeschlüsselt werden. Die Informationsoffensive ist Teil des strategischen Plans von Konzernchef Peter Brabeck, das Bewusstsein seiner Manager für Gesundheitsfragen zu schärfen. Und das nicht nur aus Sorge um ihr Wohlergehen. Sondern weil Brabeck den gesamten Foodmulti in Richtung Gesundheitskonzern neu ausrichten will.

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Am 14. April wird CEO Peter Brabeck-Letmathe zum Verwaltungsratspräsidenten von Nestlé gewählt werden. In seiner Doppelfunktion ist er dann der uneingeschränkte Herrscher über den grössten Nahrungsmittelkonzern der Welt mit 253 000 Mitarbeitern und rund 90 Milliarden Franken Umsatz. Und hat nun umso mehr Spielraum, um seine Strategie umzusetzen.

Und die heisst: wachsen, wachsen, wachsen. «Wenn Sie aufhören zu wachsen, dann fangen Sie an zu sterben», ist das Credo von Brabeck. Grenzen gibt es dabei für ihn nicht: «Das ist wie das Universum», sagt er, «wenn es sich nicht mehr ausdehnt, beginnt es zusammenzufallen.» Damit ist Nestlé ein Sonderfall in der Nahrungsmittelbranche. Die meisten Konkurrenten suchen ihr Heil in der Fokussierung: Die britisch-niederländische Unilever hat seit dem Jahr 2000 über 33 000 Stellen abgebaut, die Anzahl Marken von 1600 auf 400 reduziert und 100 Fabriken geschlossen. Auch die englische Cadbury Schweppes und die amerikanische Kraft streichen massiv Jobs und Fabriken, um die Rendite zu steigern. Denn alle Foodhersteller geraten zunehmend unter Druck durch den Vormarsch von Aldi, Denner & Co. Den eigenmarkenstarken Discountern gegenüber müssen sie Preiszugeständnisse machen, wollen sie nicht aus den Regalen fliegen.

Nestlé freilich will die Nummer eins im Food bleiben und weiterhin in allen Bereichen präsent sein. Also muss das Unternehmen wachsen, mindestens fünf bis sechs Prozent pro Jahr. Peter Brabeck kann nicht anders, will er die Analysten zufrieden stellen. Denn gegenüber den Rivalen hat die Nestlé-Aktie lange Zeit underperformt. Heute ist sie sogar weniger wert als vor der Berufung von Rainer E. Gut zum Präsidenten des Verwaltungsrates.

Um wachsen zu können, so Peter Brabecks Vision, soll Nestlé nicht der Nahrungsmittelhersteller früherer Tage bleiben. Der Österreicher will Nestlé neu erfinden als Gesundheits- und Wellness-Unternehmen. Mit Nutrition, also Nahrung, die gesundheitsfördernde Substanzen enthält und die dafür sorgt, dass sich der Kunde nicht nur satt, sondern auch wohl fühlt. Das Unternehmensmotto hat Brabeck bereits im Jahr 2001 entsprechend angepasst: «Good food, good life», heisst es seither unter dem Nestlé-Logo.

Eine zukunftsträchtige Strategie, denn die Menschheit wird im Schnitt immer
älter. «Langfristig rechnen wir mit einer Lebenserwartung von bis zu 140 Jahren», sagt Brabeck. «Diese Konsumenten brauchen eine neue, differenzierte Ernährung.» Und das Gesundheitsbewusstsein der Kunden steigt: Bei den französischen Konsumenten beispielsweise ist der Gesundheitsaspekt inzwischen zum wichtigsten Kriterium für den Einkauf von Lebensmitteln geworden – noch vor dem Geschmack. In Japan, einem Land, das eine besonders alterslastige Bevölkerungsstruktur aufweist, wird das auf Gesundheit getrimmte Essen sogar von der Regierung gefördert. Zehn Prozent Marktanteil hat das so genannte Functional Food dort bereits erreicht.

Wobei Brabeck den Begriff «Functional Food» gar nicht mag: «Jede Nahrung hat eine Funktion», entgegnet er jedem, der ihm mit dem Begriff kommt. Die Funktion änderte sich im Lauf der 140-jährigen Nestlé-Geschichte freilich immer wieder: Bis vor einem Jahrhundert bestand sie ausschliesslich darin, die Grundernährung sicherzustellen. Später ging es darum, den Produkten einen guten Geschmack zu geben. In jüngerer Zeit rückte dann die bequeme Zubereitung (Convenience) in den Vordergrund. Nun will Nestlé als weiteren Meilenstein die Elemente Nutrition und Wellness hinzufügen.

«Die Strategie ist Bullshit!», sagt ein langjähriger Nestlé-Kadermann. «Dahinter steckt doch nur die Angst des CEO vor dem Alter!» Tatsächlich ist der Weltmarkt für angereichertes Funktionsessen noch relativ klein: Auf 64 Milliarden Euro schätzt ihn die Unternehmensberatung Arthur D. Little. Doch die Margen sind doppelt so hoch wie in der übrigen Branche. Das Geschäft mit den gesundheitsfördernden Joghurts, Säften oder Margarinen boomt mit zweistelligen Wachstumsraten. «Es ist sicher, dass diese Produkte in den nächsten Jahren ein für das Unternehmen überdurchschnittliches Wachstum ausweisen werden», ist Peter Brabeck überzeugt.

Das kann der neue Nestlé-Präsident brauchen, denn Wachstumsmöglichkeiten für normale Lebensmittel gibt es nur noch dort, wo auch die Bevölkerung wächst – vornehmlich in Schwellenländern. Marktanteilsgewinne durch Zukäufe sind ebenfalls schwierig: In vielen Bereichen (wie Kaffee oder Schokolade) scheitern Akquisitionen am Veto der Wettbewerbshüter. Damit ist der Nutritionmarkt der grösste Hoffnungsträger für Brabeck.

Der Plan, Nestlé zum globalen Gesundheitskonzern zu entwickeln, ist indes schon fast zwanzig Jahre alt. Peter Brabecks Vorgänger Helmut Maucher war es, der die Weichen Mitte der achtziger Jahre in diese Richtung gestellt hat. Auch er hatte mit dem ständigen Margendruck in der hochkompetitiven Nahrungsmittelbranche zu kämpfen. «Der rote Faden in der strategischen Geschichte von Nestlé ist die Frage: Wie schaffen wir zusätzliche Margen mit Produkten, die andere nicht haben?», erinnert sich Reto Domeniconi, ehemaliges Verwaltungsratsmitglied des Nahrungsmittelmultis und bis 1996 Finanzchef des Konzerns. Oder wie es Helmut Maucher selber in seinem Anfang der neunziger Jahre erschienenen Buch «Marketing ist Chefsache» ausgedrückt hat: «Manchmal betritt Nestlé neue Felder. In solchen Fällen wählt Nestlé Gebiete, die als Anknüpfungspunkte bestimmte mit der angestammten Tätigkeit übereinstimmende Merkmale – beispielsweise Marketing oder Forschung – aufweisen.»

Höhere Preise, das war dem Ex-Präsidenten klar, können im Nahrungsmittelbereich nur dann vom Konsumenten verlangt werden, wenn man ihm etwas Zusätzliches verspricht. Wie eben Gesundheit oder Wellness. Der japanische Hersteller Yakult beispielsweise exportierte seine gesundheitsfördernden Trinkjoghurts schon seit den sechziger Jahren zu Premium-Preisen in die ganze Welt.

In die Strategiediskussion eingebunden war auch Fritz Gerber, lange Präsident des Pharmakonzerns Roche und Ausschussmitglied im Verwaltungsrat von Nestlé. Gerber, ein enger persönlicher Vertrauter von Helmut Maucher, konnte diesem Einblick in die Mechanismen und Trends der Pharmaindustrie liefern. Die beiden prägten in der Folge den Masterplan für die langfristige Entwicklung des Konzerns aus Vevey. Und die sah den Wandel vor «vom weltweit führenden Nahrungsmittelhersteller zum weltweit führenden Nahrungsmittel-, Nutrition-, Gesundheits- und Wellness-Unternehmen», wie es im Nestlé-Jahresbericht offiziell heisst.

Legte Maucher das Fundament dieses strategischen Gebäudes, so ist es Brabecks Mission, das Haus fertig zu bauen. Als er 1997 zum CEO ernannt wurde, packte der energiegeladene Hobbybergsteiger die Umsetzung des Plans mit viel Eigeninitiative an. Nicht nur stiess er konsequent margenschwache Geschäfte ab (Findus-Tiefkühlkost, Kakaoverarbeitung) und baute dafür renditestarke Bereiche aus, so etwa die Produktion von Tierfutter durch die Übernahme der amerikanischen Ralston Purina im Jahr 2001. Der 16,8-Milliarden-Franken-Deal war die teuerste Akquisition in der Nestlé-Geschichte. Im Zuge dieser Umgruppierung innerhalb des Konzerns wurden weltweit auch 150 Fabriken zusammengelegt oder auch verkauft, wenn sie nicht mehr in die Strategie passten. Nestlés grosse Kostensparprogramme mit ihren klingenden Name wie «FitNes» oder «Target 2004» sind ebenfalls vor dem Hintergrund der knappen Margen zu sehen. Jährlich will Peter Brabeck damit zusätzlich eine Milliarde Franken an Kosten einsparen. Bislang mit Erfolg: Seit Amtsantritt hat Brabeck die Marge im Konzern praktisch Jahr für Jahr auf heute zwölf Prozent verbessern können. Ein Nestlé-Prinzip hat er diesem Wettlauf um Margen und Renditen nie geopfert: dass eine bessere Marge nie auf Kosten des langfristigen Wachstums erzielt werden dürfe.

Mit diesem Credo stieg Peter Brabeck auch in ein neues, renditestarkes Gebiet ein: Die Gründung der Sparte Nutrition war eine seiner ersten Amtshandlung. Geleitet wird die Sparte vom Spanier Luis Cantarell (53), der dem Nestlé-Chef direkt unterstellt ist. Ziel dieses Geschäftsbereichs: gesundheitsfördernde Substanzen in möglichst vielen Produktkategorien unterzubringen, sei es im Wasser, in der Säuglingsnahrung oder im Hundefutter. Solche Zusätze sollen zum Beispiel den Stoffwechsel ankurbeln, Eisenmangel bekämpfen, die Haut straffen oder gar medizinischen Problemen wie etwa dem Knochenschwund vorbeugen.

Wie immer, wenn Nestlé etwas macht, macht sie es systematisch. Rund ein Fünftel ihres Forschungsbudgets, also rund 200 Millionen Franken im Jahr, investiert das Unternehmen in diesem Bereich. In den Entwicklungslabors oberhalb Lausannes spüren 300 Forscher gesundheitsfördernde Ingredienzen und Moleküle auf, die dann als Marken geschützt werden. Zum Beispiel lagern bereits 4000 Bakterienstämme für Gärungsprozesse in den Kühlräumen des Multis – weitaus mehr, als die Konkurrenz vorweisen kann.

So hat Nestlé in den letzten zwei Jahren rund 700 neue oder veränderte Produkte hergestellt und auf den Markt gebracht. Das wohl bekannteste Beispiel, inzwischen zehn Jahre alt, ist das LC-1-Joghurt, das mit Bakterien angereichert wurde, welche die Darmflora stärken und die Verdauung verbessern. Für Sportler hat das Westschweizer Unternehmen die Powerbar-Reihe im Programm, die dem Körper in Pulver- oder Riegelform schnell Kohlenhydrate, Mineralien, Vitamine oder Eiweisse zuführt. Und unter dem Label Clinutren bietet Nestlé spezielle Nahrung für Krebs-, Alzheimer- und Chirurgiepatienten an.

Damit die Pipeline auch in Zukunft gefüllt bleibt, hat Brabeck im Jahr 2002 einen mit 150 Millionen Euro dotierten Venture-Fonds gegründet, der Jungunternehmen an der Schnittstelle zu Biotech oder Pharma fördert. «Ein deutliches Zeichen, dass sich Nestlé in diesem Bereich stärker engagieren will», sagt ein Finanzanalyst.

Der Aufbau des Bereichs Nutrition ist nicht nur vom Standpunkt der höheren Margen aus geschickt, er bietet noch zwei weitere Vorteile: Erstens werden kleinere Konkurrenten damit im Markt bedrängt – nicht jeder Nahrungsmittelhersteller kann sich eine derart aufwändige und langwierige Forschung leisten. Auch die Eigenmarken von Aldi, Denner & Co. kann Nestlé so auf Distanz halten. Zudem sind Gesundheit und Wellness gut für die Reputation. «Das positive Image der Gesundheitssparte strahlt auf die gesamte Produktpalette aus», sagt Stefan Odenthal, Partner bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Für den Nahrungsmittelkonzern, der bis heute immer wieder für seine Produktions- und Vertriebsmethoden in der Dritten Welt kritisiert wird, ein wichtiger Aspekt.

Nebst der Grundlagenforschung pusht Nestlé das Thema Gesundheitsnahrung auch durch eine ganze Reihe wichtiger Joint Ventures. Zusammen mit dem französischen Kosmetikkonzern L’Oréal wurde die Firma Innéov gegründet. Das Joint Venture hat bereits konkret vermarktbare Produkte hervorgebracht, beispielsweise Nahrungszusätze, welche die Haut bei Frauen nach der Menopause verbessern. Auch an Food-Ingredienzen zur Haar- und Nagelpflege arbeitet Innéov. Mit L’Oréal betreibt Nestlé noch ein zweites Joint Venture namens Galderma, das im Bereich Hautkrankheiten tätig ist. Fast eine Milliarde Franken setzte Galderma vergangenes Jahr unter anderem mit Aknemitteln um.

Klar ist, dass sich die Grenzen zwischen der Nahrungsmittel- und der Pharmaindustrie immer mehr verwischen. Auch Nestlé ist im Medizinalbereich tätig und erzielt zum Beispiel mit Pharma- und Chirurgieprodukten im Bereich Augenheilkunde durch ihre Tochterfirma Alcon Laboratories rund sechs Prozent des Konzernumsatzes. Gewachsen wird ausschliesslich organisch, Grossakquisitionen wird es nicht geben: «Dies ist nicht unser Kerngeschäft», stellt Peter Brabeck klar, «Alcon ist ein kleines Juwel, das lassen wir, wie es ist.» In der Tat: Alcon, die Nestlé zu 75 Prozent gehört, erreicht heute einen Börsenwert von über 22 Milliarden Dollar.

Die Synergieeffekte der Gesundheitsstrategie sind ersichtlich. Peter Brabeck selbst ist seit dem Jahr 2000 Verwaltungsrat des Medikamentenherstellers Roche: «Es ist kein Zufall, dass ich dieses Amt angenommen habe», sagt Brabeck, «es ist offensichtlich, dass es zwischen der Genetik, der Diagnostik und der Präventiv-Nutrition eine Beziehung gibt.» Der ehemalige Roche-Präsident Fritz Gerber ist überzeugt, dass Brabeck für den Pharmakonzern einiges bringen kann: «Schliesslich überschneiden sich die Bereiche Food und Pharma immer mehr.» Andersherum wird Roche-Vizepräsident Rolf Hänggi, seit letztem Jahr im Verwaltungsrat, an der kommenden Generalversammlung zum Vizepräsidenten von Nestlé gewählt. Auch Günter Blobel, Nobelpreisträger für Medizin, wird dann ins oberste Gremium aufgenommen werden. Er ersetzt den führenden Ernährungswissenschaftler Vernon Young, der bisher im Board in seinem Fach wissenschaftliches Know-how und Kontakte zu Universitäten eingebracht hat. Young verstarb vergangenen März.

Bereits wird spekuliert, der Nahrungsmittelkonzern peile langfristig die ganz grosse Vision an – den Zusammenschluss mit einem Pharmakonzern. Die meisten Experten halten eine derartige Fusion dennoch für wenig wahrscheinlich. «Die margenverwöhnten Pharmahersteller haben wenig Interesse am vergleichsweise renditeschwachen Geschäft mit Functional Food», sagt Stefan Odenthal von Arthur D. Little. Aber auch Nestlé zeigt bisher keinerlei konkrete Anzeichen, dass ein derartiges Zusammengehen bevorstünde. «Eine Fusion mit einem Pharmaunternehmen wird es auch langfristig nicht geben», bestätigt ein Verwaltungsgratsmitglied von Nestlé, «die Gebiete sind zu unterschiedlich. Man kann voneinander lernen, aber that’s it.» Noch gut sind in Vevey die zwiespältigen Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Pharmakonzern Baxter in Erinnerung. Gemeinsam bearbeitete man in den späten achtziger Jahren den Markt für klinische Ernährung. Doch im Lauf der Zeit wurden die Ziele der beiden Partner immer unterschiedlicher. Ende der neunziger Jahre wurde die Vernunftehe wieder geschieden.

Das Problem: Pharma- und Foodhersteller ticken grundsätzlich anders. Etwa bei den Forschungszyklen. Ein normales Nahrungsmittel zu entwickeln, dauert in der Regel ein halbes Jahr, bei Functional Food sind es fünf Jahre. In der Pharmabranche sind Entwicklungszyklen von 12 bis 15 Jahren die Regel. Entsprechend müssen sich die Nestlé-Mitarbeiter umstellen, wenn das Unternehmen in die Grenzbereiche vorstösst.

Auch was den Marktauftritt angeht. So musste Nestlé bei der Lancierung des LC-1-Joghurts Lehrgeld bezahlen – wissenschaftlich ein Erfolg, marketingtechnisch ein veritabler Flop. Das Joghurt wurde mit einem probiotischen Bakterienstamm angereichert, der die Verdauung fördert. Nestlé argumentierte in der Werbung medizinisch akkurat mit der Darmflora und damit, was die Bakterien für sie Gutes tun. Im Markt kam diese Botschaft nicht an. Gänzlich nach hinten los ging der Schuss in den Vereinigten Staaten. Dort isst niemand Bakterien. Konkurrent Danone wählte eine bessere Taktik: Ihr Joghurt Actimel stärke das Immunsystem, lautete die einfache Botschaft. Kein Wort von Darmflora oder Bakterien. Mit Erfolg. Während Nestlé ihr LC 1 aus mehreren Ländern zurückgezogen hat, weitet Danone den Marktanteil stetig aus und macht mit diesem Produkt mittlerweile einen Umsatz von umgerechnet einer Milliarde Franken.

Nestlé hat überdies das Problem, dass sich die Marke für Gesundheitsprodukte nur bedingt eignet. Seit Unternehmensgründer Henri Nestlé im Jahre 1866 das so genannte Kindermehl erfunden und damit den Grundstein für einen Weltkonzern gelegt hat, pflegt der Westschweizer Konzern zwar ein gesundheitsorientiertes und wissenschaftliches Image. In manchen Ländern wird der Konzern allerdings noch heute in erster Linie mit jenen Schokoriegeln, Eiscrèmes und anderen Dickmachern assoziiert, mit denen die Firma mehr als 15 Milliarden Franken umsetzt. LC 1 beispielsweise floppte in Grossbritannien und Frankreich, weil man Nestlé dort vor allem von Schokolade oder Kaffee her kennt. «Kein einfaches Spiel», so das Fazit von Bereichsleiter Luis Cantarell, «wir haben aus unseren Fehlern allerdings gelernt, aber wir glauben, dass Gesundheit und Well-being zusammenwachsen.»

Brabeck ist mit seiner Nutrition-Strategie nicht allein. Auch die Konkurrenz sucht ihr Glück in angereicherten Nahrungsmitteln: Unilever hat mit ihrer cholesterinsenkenden Becel-Margarine grossen Erfolg, Danone glänzt mit Actimel, Coca-Cola hat unter der Marke Minute Maid Heart Wise einen Orangensaft im Programm, der das Risiko von Herzkrankheiten senkt. Aus der Schweiz sind Emmi mit ihrer Energy Milk und mit Benecol (cholesterinsenkendes Trinkjoghurt) sowie Hero mit Hochdorf Nutritec (angereicherte Kindernahrung) aktiv. Doch kein anderer Nahrungsmittelhersteller betreibt so viel Aufwand für Gesundheitsforschung und verfolgt so viele verschiedene unterschiedliche Ansätze wie der Multi aus Vevey. «Die Konkurrenz ist noch längst nicht so weit wie Nestlé», sagt ein Analyst. Der Startvorsprung bedeutet nicht nur, dass Nestlé als Erster im Markt potenziell einen Vorteil hat. Es bedeutet auch, dass der Westschweizer Multi nicht von den Fehlern der Konkurrenten lernen kann. «Ich sehe niemanden, an dem sich Nestlé orientieren könnte», sagt ein Verwaltungsrat.

Bisher geht Peter Brabecks Strategie auf: Nutrition und Pharma sind die wichtigsten Wachstumstreiber des Konzerns. Um neun Prozent wuchs das Geschäft mit dem gesunden Essen in den ersten neun Monaten des vergangenen Geschäftsjahres; inzwischen macht Nutrition rund acht Prozent des Konzernumsatzes aus. Die Pharmasparte legte gar um 11,5 Prozent zu und erwirtschaftet ordentlich Geld: Auf satte 29 Prozent schätzt die Bank Sal. Oppenheim die Betriebsgewinnmarge. Zum Vergleich: Milchprodukte und der Bereich Schokolade und Süsswaren kommen jeweils lediglich auf 11 Prozent, Tierfutter auf 15, Getränke auf 18 Prozent Marge.

Und dies, obwohl Nestlé ihre globale Stärke in diesem Bereich noch gar nicht ausspielen kann. Derzeit machen die Vereinigten Staaten und Europa zwei Drittel des Weltmarktes für Functional Food aus. In den Schwellenländern hingegen hat der Durchschnittskonsument andere Sorgen als den Wunsch nach faltenfreier Haut oder glänzendem Haar. Mit steigenden Einkommen in diesen Gebieten wird allerdings auch das Bedürfnis nach Functional Food steigen. «Wellness und Nutrition werden in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren ein globaler Markt sein, ob mit oder ohne uns», heisst es aus dem Verwaltungsrat von Nestlé.

Bis dahin muss Brabeck, soll Nestlé im Markt mit dabeibleiben, noch einiges investieren: Er muss die Forschung ausbauen, um die Produktpipeline füllen zu können, Marketing und Vertrieb stärken, allenfalls kleinere Konkurrenten übernehmen. Ein Marathon. Aber Langfristigkeit war schon immer das Markenzeichen von Nestlé. Hier ist Peter Brabeck seinen Vorgängern treu geblieben.