Wegen der seit Jahren anhaltenden Wirtschaftskrise haben die meisten internationalen Konzerne ihre Geschäftstätigkeit in Venezuela auf ein Minimum reduziert. Staatliche Kontrolle und Misswirtschaft haben das ölreichste Land der Welt an den Rand des wirtschaftlichen Ruins geführt. Rund ein Drittel der Bevölkerung ist arbeitslos. Tausende von Unternehmen haben ihre Produktion heruntergefahren – mindestens 20 Prozent mussten sie ganz einstellen – entweder aus Mangel an Rohstoffen oder wegen fehlender Aufträge wie eine Umfrage des venezolanischen Industrieverbandes Conindustria zeigt.
Den vollständigen Rückzug aus dem Land scheuen einige internationale Grosskonzerne jedoch, denn sie haben ihre Marktpräsenz über Jahrzehnte aufgebaut. So auch Nestlé: Seit 75 Jahren ist der Schweizer Lebensmittelkonzern in Venezuela und heute einer der grössten Lebensmittelhersteller im Land. Zum Jubiläum lanciert Nestlé jetzt sogar eine Sonderedition seiner Schokolade Savoy. Die Tafel «Chocolate Oscuro Savoy 75 Años» wird ausschliesslich aus Kakao aus heimischen Anbau hergestellt, heisst es.
Trotz aller Schwierigkeiten hält der Schweizer Lebensmittelkonzern an seinen Geschäften in Venezuela fest. Andere Schweizer Firmen haben Venezuela längst verlassen oder ihre Geschäfte stark abgebaut. Seine fünf Standorte und die Produktion will Nestlé Venezuelaaufrechterhalten – zum Wohle der Bevölkerung wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilt: «Nestlé setzt sich in Venezuela stark für die Produktion und Verteilung von Lebensmitteln in dem Land ein. Wir sind entschlossen, unsere Tätigkeiten aufrecht zu erhalten und weiterhin hochwertige Produkte an Haushalte in Venezuela zu liefern», so ein Konzernsprecher.
Staatliche Preiskontrolle
Auch die rund 3200 Angestellten in Venezuela sollen im Fall von reduzierter oder unterbrochener Produktion gehalten werden. Angaben darüber, wie stark sich die Wirtschaftskrise des Landes auf das Geschäft von Nestlé auswirkt, wollte das Unternehmen auf Anfrage nicht machen. Dabei könnten Nestlé vor allem die Preisvorgaben der Regierung zu schaffen machen. Anfang des Jahres hatte sie Preiskontrollen für Nestlé und weitere Lebensmittel und Konsumgüterhersteller angeordnet: Diese mussten die Preise ihrer Produkte an das Preisniveau von Dezember 2017 anpassen. Allerdings hat sich seither die Inflation mehr als verzehnfacht. Für den Schweizer Lebensmittelriesen könnte das höhere Produktionskosten bedeuten, da er seine Produkte unter dem Einkaufspreis für Rohstoffe verkaufen muss.
Mit der Preiskontrolle will die Regierung die gravierende Lebensmittelkrise im Land lösen. Doch Regierungskritiker und die Wirtschaft werfen ihr vor, das Gegenteil zu bewirken und die Angst der Bevölkerung vor einer Verschärfung der Lebensmittel- und Medikamentenknappheit zu schüren. Nestlé Venezuela hält sich auf Anfrage allerdings bedeckt: «Nestlé hält sich immer an lokale Gesetzgebung, und respektiert die Preisbestimmungen in allen unseren Geschäftstätigkeiten».
Seit Jahren steckt das südamerikanische Land in einer schweren sozialen und wirtschaftlichen Krise. Durch den Verfall des Ölpreises vor vier Jahren fehlt dem Staat das Geld. Mittlerweile hat Venezuela kaum noch Devisen, um Lebensmittel und Medikamente zu importieren. Die Folge sind gravierende Versorgungsengpässe, unter denen die Bevölkerung massiv leidet.
Produktionsausfälle durch Lieferengpässe
Unternehmen müssen aus Mangel an Rohstoffen zunehmend Produktionsausfälle hinnehmen. Nestlé musste vergangenes Jahr beispielsweise die Herstellung von Baby-Fruchtsäften einstellen, weil es keine Glasflaschen gab. Oder Anfang des Jahres: Wegen der Lieferengpässe von Obst bekam Nestlé Probleme mit der Herstellung von Fruchtdesserts und musste zeitweise die Produktion in einer der fünf Fabriken einstellen, die der Lebensmittelmulti in Venezuela betreibt.
Noch scheint Nestlé zum Feiern zumute. Wie lange noch, ist unklar, denn der wirtschaftliche Schaden könnte gravierend sein. Venezuela droht eine Hyperinflation: Bis Ende 2018 könnte die Entwertung der Landeswährung Bolívar auf 1 Million Prozent ansteigen und die Wirtschaft um 18 Prozent einbrechen, prognostizierte jüngst der Internationale Währungsfonds (IWF).