Den Entschluss, den väterlichen Betrieb zu übernehmen, fällte Barbara Meyer innerhalb von nur zwei Wochen. Dies, obwohl sie von Kind auf davon überzeugt war, dass es für sie überhaupt nicht in Frage käme, als Vaters Tochter ins Familienunternehmen einzusteigen. Dass sie sich 1996 mit knapp 28 Jahren dennoch dazu entschloss, lag einerseits daran, dass sie mit ihrer damaligen Stelle nicht mehr so richtig zufrieden war, und andererseits an der Lust auf eine abenteuerliche Herausforderung.

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Und eine solche war der Entscheid. Denn bis auf das Wissen, das sie sich am Familientisch angeeignet hatte, war Barbara Meyer völlig unerfahren in Sachen Geschäftsführung und Lederwaren. Zudem stand das 1858 gegründete und seit 1932 auf Lederaccessoires für Damen spezialisierte Unternehmen damals auf der Kippe.

Der seit Mitte der Siebzigerjahre andauernde Strukturwandel in der Textil- und Modebranche hatte den Frauenfelder Produktionsbetrieb an den Rand des Abgrunds getrieben. «In den Blütezeiten beschäftigte die Firma rund 100 Mitarbeitende. Mein Vater war ein Patron alter Schule. Als er auf Grund der billigen Ware aus Fernost damit beginnen musste, einen um den andern zu entlassen, litt er mit jedem mit.»

Facts & Figures
Lady Lederwaren



Firma: Lady Lederwaren AG, Frauenfeld, www.lady.ch



Gegründet: 1858


Reorganisation: 1996


Anzahl Mitarbeitende: 5


Geschäftsleitung: Barbara Meyer (Geschäftsführerin)


Verwaltungsrat: besteht aus Familienmitgliedern.


Finanzierung: bestehende Firma übernommen und umstrukturiert. Grosse Teile der Räumlichkeiten fremdvermietet, Liquidation von Einrichtungen, Unterstützung durch Bankkredit.


Geschäftsidee: Lederaccessoires für Damen; entstanden ist die Idee bereits 1932, als der Grossvater von Barbara Meyer eine Nische suchte und dabei auf die Idee kam, die damals sehr modische Flügeltasche für Frauen zu produzieren.


Firmenphilosophie: «Wir fördern die unternehmerische Haltung und damit die Eigenverantwortung unserer Mitarbeiterinnen. Alle tragen damit Verantwortung für das Unternehmen und dessen Erfolg.»


Führungsgrundsätze: Transparenz, Ehrlichkeit, offene Türen und Ohren, gute Streitkultur, Eigenverantwortung, Spass an der Arbeit.

Barbara Meyer übernahm noch 15 Mitarbeitende. Die meisten von ihnen arbeiteten in der Produktion. «Mit Hilfe eines Kollegen, der sich als Unternehmensberater in diesen Bereichen bestens auskennt, arbeitete ich mich in die Themen Kostenstellenrechnung sowie Budget ein. Dank seiner Gratisarbeit konnte ich beides schon bald im Unternehmen einführen.»

Darauf musste Barbara Meyer schon wieder eine ihrer Maximen über den Haufen werfen. «Ich habe immer gesagt, es gibt keine Firma Lady ohne Produktion», schmunzelt die 35-Jährige. «Nach einem Jahr sah ich aber ein, dass der Betrieb nur ohne diese eine Überlebenschance hatte.»

Sie orientierte die Mitarbeitenden und stellte sie vor die Wahl: «Entweder wir alle verzichten auf einen Teil unseres Lohnes und versuchen so, die Produktion zu retten, oder aber wir schliessen.» Die Mitarbeitenden entschieden sich für mehr Lohn und suchten sich andere Stellen.

Nun sass sie im viel zu grossen Fabrikationsgebäude inmitten eines stillstehenden Maschinenparks sowie eines riesengrossen Taschenlagers. Als Erstes liess sie die Maschinen und das Lager liquidieren, und um sich eine Einnahmequelle zu erschliessen, begann sie damit, die Räume unterzuvermieten.

Und sie hatte Glück. Als Hauptmieterin konnte sie eine kantonale Stiftung gewinnen, die beinahe alle leer stehenden Räume und Hallen benötigte. Für ihr eigenes Unternehmen behielt Barbara Meyer einen kleinen Lagerraum, zwei Büros und den Fabrikladen.

Um ihre Idee – modische Handtaschen für 25- bis 45-jährige berufstätige Frauen – umzusetzen, kam sie nicht darum herum, wieder Personal einzustellen. Neben drei Mitarbeiterinnen, die ihr aus dem «alten» Unternehmen die Treue hielten, stellte sie noch eine Frau für den Bereich Auftragsabwicklung und Innendienst ein. Das Frauenteam ist reiner Zufall, denn für Barbara Meyer ist sowohl beim Personal als auch bei den Lieferanten oder Produzenten die Chemie wichtiger als das Geschlecht.

Parallel zum turbulenten Einstieg versuchte Barbara Meyer, eine neue Kollektion auf den Markt zu bringen. Der Schalk blitzt aus ihren Augen, wenn sie an diese Zeit zurückdenkt. «Ich entwarf einfach mal ein paar Modelle, die mir gefielen. Ich merkte dann aber ziemlich schnell, dass diese nicht unbedingt dem Geschmack einer grösseren Kundschaft entsprachen.»

Doch sie lernte rasch. Über ihren italienischen Produzenten, einen neunköpfigen Familienbetrieb, erhielt sie Kontakt zu einem Designbüro, mit dem sie noch heute zusammenarbeitet. «Die Ideen stammen aber nach wie vor von uns. Die Spezialisten stehen uns beratend zur Seite und helfen uns beim Aufspüren von Trends und Materialien.» Und noch etwas ist Barbara Meyer ganz wichtig: Obwohl sie für die Entwicklung neuer Modelle verantwortlich ist, haben alle Mitarbeiterinnen das Recht, ihre Ideen in die Kreationen einzubringen.

Kaum hatte sie das Unternehmen neu organisiert, kam aus dem Bekanntenkreis ihres Vaters die Anfrage, ob sie für eine grosse Versicherungsgesellschaft PC-Taschen aus Leder herstellen könne. Sie nahm den Auftrag an und hatte den Rücken frei, sich wieder der Kernkompetenz des Unternehmens, den Damentaschen, zu widmen und ihr Know-how in diesem Bereich zu verbessern.

1998 schlug das Glück erneut zu. An einer Messe tauchte Bruno Bencivenga, der Gründer des Schweizer Schuhherstellers Navyboot, in Barbara Meyers Showroom auf, weil er auf der Suche nach einem Lizenznehmer für Taschen war. «Ich war verblüfft und skeptisch, denn für horrende Lizenzgebühren hatte ich absolut kein Geld», schmunzelt Meyer.

Einmal mehr entschied die Chemie, und die beiden arbeiten bis heute per Handschlag miteinander. «Wir verstanden uns auf Anhieb, und die Lizenzgebühren zahlen wir Navyboot in Form eines gewissen Prozentsatzes pro verkaufte Tasche.» Nicht einmal einen Lizenzvertrag hat Barbara Meyer unterschrieben. «Und zwar bewusst, denn wenn wir uns verkrachen, nützt auch ein Schriftstück nichts.» Zudem gehöre es zum Unternehmertum, Risiken einzugehen.

Ein Risiko ist es auch, dass Lady Lederwaren exklusiv für Navyboot arbeitet. «Dafür können wir uns diesem Kunden voll und ganz widmen. Und wenn es nicht mehr klappt, schauen wir halt wieder weiter.» Dies ist nicht die überhebliche Meinung einer privilegierten Geschäftsführerin, sondern eine Einstellung, die das gesamte Team mitträgt. Alle Mitarbeiterinnen helfen Barbara Meyer, das Risiko zu tragen, dafür kommen aber auch alle in den Genuss von Erfolgsbeteiligungen. Und auch Geschäftsgeheimnisse kennt Barbara Meyer keine. Transparenz, Ehrlichkeit sowie eine gute Streitkultur gehören für sie genauso zu den Führungsprinzipien wie das Eingehen auf die Leute.

Zu Beginn der Zusammenarbeit mit Navyboot liess Barbara Meyer bei ihrem italienischen Produzenten pro Modell maximal 60 Taschen herstellen. Dieser sagte ihr damals: «Wenn ich für dich einmal 8000 Taschen pro Jahr machen kann, bin ich der glücklichste Mensch auf Erden.» Wie hätte er auch ahnen können, dass diese Zahl schon sehr bald sehr deutlich übertroffen würde.

Und zwar mit den Kantonstaschen, die Barbara Meyer 2003 zusammen mit Navyboot auf den Markt brachte. 2003 gingen schweizweit 13 000 Stück über die Ladentische. Im laufenden Jahr erweiterte sie die Kollektion um Ländertaschen – auch diese fanden grossen Anklang. 4500 Stück wurden bereits verkauft, und auch die Kantonstaschen sind weiterhin beliebt.

Wie so manche gute Idee entstanden auch die plakativen Taschen nicht am Schreib- sondern am Wirtshaustisch. Zusammen mit ein paar Freunden aus der jungen Wirtschaftskammer sass Barbara Meyer bei einem Glas Wein. «Ich erzählte, dass ich die Idee hätte, Taschen mit Sprüchen drauf zu lancieren und ich noch ein paar kernige Sätze brauchte. Irgendwann sagte ein Kollege, schreib doch ‹Du Aargauer› drauf, da machte es klick in meinem Kopf.» Nicht «Du Aargauer» sollte es sein, sondern Aargauerin, Zürcherin, Baslerin usw.

Zurzeit ist in Frauenfeld die Herbst-Winter-Kollektion 2005 am Entstehen. Zudem plant Barbara Meyer den Ausbau der Gürtelkollektion. Zusammen mit Navyboot denkt sie zudem über eine Expansion ins Ausland nach. Doch allzu langfristige Pläne macht Barbara Meyer keine. «Ich habe noch die Idee einer Sport- und Freizeitkollektion, aber zu stark wachsen möchte ich nicht», meint sie, auf die Zukunft angesprochen. Denn mehr Leute zu beschäftigen, bedeute mehr Verantwortung und mehr Druck. «Ich möchte lieber weiterhin auf den Bauch hören und nach freiem Willen entscheiden können.»