Die Schweizer Möbelbranche muss sich mit stetig zunehmenden Veränderungstendenzen auseinander setzen: Neben Verschiebungen im Rahmen der Konkurrenzsituationen und den damit verbundenen neuen Herausforderungen erfahren die traditionellen Strukturen ebenfalls eine Neubewertung. «Casa» hat sich mit Philippe Walther er ist bei «Girsberger Wohnen» in Bützberg seit zwei Jahren als Marketing-Verkaufsleiter tätig über das Thema «Neuorientierung unter dem Gesichtspunkt der Marktfähigkeit bzw. des Designs eines Möbels» unterhalten. Die Seite der Möbelgestaltung vertrat an diesem Roundtable-Gespräch der Designer Kurt Müller, der im erwähnten Unternehmen seit 1998 verantwortlich für die Produktentwicklung ist.

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Herr Walther, Girsberger ist bekannt als eine Schweizer Firma mit weltweiter Ausstrahlung, die einen hervorragenden Ruf als Hersteller ergonomischer Bürositzmöbel besitzt. Es gibt allerdings auch Möbel für den Wohnbereich. Wie würden Sie diese definieren?

Philippe Walther: Bis noch vor wenigen Jahren hätte man das Sortiment wohl eher als «traditionell» bezeichnet. Wir befinden uns seit rund drei Jahren in einer Phase der Neuorientierung, was sich sehr deutlich an unseren topaktuellen Produkten Stühle, Bänke und Tische aus der Kollektion «più» ablesen lässt. Sie entsprechen modernen Klassikern puristisch, einfach und eigenständig in ihrer Formgebung. Denn es ist unser Bestreben, attraktive Möbel als Beitrag zu einer lebhaften ästhetischen Alltagskultur zu schaffen. Sie sollen sich ebenso formschön wie funktionell präsentieren und der Preis muss marktgerecht sein, aber trotzdem einer klaren Positionierung entsprechen.

Zwei gute Stichwörter: die Ästhetik, damit ist wohl vor allem das Design gemeint, und der Preis. Wer Designobjekt hört, denkt jedoch unwillkürlich an teure Kreationen. Müssen bei der Umsetzung des Designs letztlich nicht Abstriche vorgenommen werden zugunsten einer moderaten Preisgestaltung?

Walther: Nicht unbedingt. Ein Möbel kann sehr wohl extrem designwürdig und gleichzeitig durchaus auch marktfähig sein...

Kurt Müller: Ich nehme einfache Dinge des Alltags und interpretiere sie neu. Dabei achte ich jedoch streng darauf, dass die Aspekte «klare Linie, Einfachheit und Technologie» eine Symbiose eingehen, da sich gerade diese Punkte letztlich positiv auf die Preise auswirken.

Neben dem Design besitzt ja auch die Funktionalität einen hohen Stellenwert. Was bedeutet für Sie als Entwerfer «Funktionelles Design»?

Müller: Dieser Begriff umfasst meines Erachtens Individualität, Sinn für Dauerhaftigkeit und zeitlose Gestaltungsqualität. Besonders wichtig sind ebenfalls die eigenständige Form sowie die bedienungsfreundliche Konstruktion eines Modells. Als Beispiel denke ich da an eines unserer Tisch-Auszugs-Systeme, das sich mühelos für bis zu vierzehn Personen vergrössern lässt.

Kommen wir zur Herstellung was führt im Endeffekt zur Produktionsauslösung?

Walther: Zuerst erstellen wir für jedes einzelne Produkt ein schriftliches Pflichtenheft. Es enthält alle Angaben über formale Aspekte, die zu berücksichtigen sind, sowie über die zu verwendenden Werkstoffe bzw. Materialkombinationen, die geplante Stückzahl usw. Dieses Pflichtenheft stellt gleichzeitig den Auftrag an den Gestalter dar, einen entsprechenden Entwurf auszuarbeiten.

Was verstehen Sie als Designer unter einem Entwurf?

Müller: Für mich ist ein Entwurf das Zusammenspiel zwischen Designgedanken, Kundenwünschen und Firmenphilosophie. Gestalterische Intuition, Marketingstrategie und Ökologie sind wichtige Bausteine dafür.

Apropos Ökologie: Wie wird diese bei Girsberger in die Praxis umgesetzt?

Walther: Wir nehmen unsere Verantwortung wahr und setzen auf ganzheitliches Denken sowie den sinnvollen Umgang mit den Ressourcen. Dies bedeutet: Langlebigkeit und grösstmögliche Wiederverwertbarkeit aller Materialien, energiesparende Produktion und verpackungsarme Logistik.

Wie lange dauert es bis zur ersten Präsentation eines neuen Möbels?

Walther: Normalerweise benötigen wir ein halbes Jahr, wobei dies sei betont nur ein sehr kleines Team mit der Ausarbeitung befasst ist. So beschäftigen sich mit dem Entwurf lediglich ein bis zwei Personen, das heisst: der Designer und/oder der Modellbauer. Für die Umsetzung des Projekts braucht es anschliessend zwei bis drei Fachleute den Designer und professionelle Zeichner, die selbstverständlich durch CNC-fähige Programme unterstützt werden. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass Girsberger einen eigenen Stahl- und Holzbau, eine Näherei, Polsterei und Oberflächenfabrikation besitzt dies führt letztlich zu einer enorm hohen Wertschöpfung.

Herr Müller, das erste Produkt aus Ihrer Hand im Wohnbereich war der Stuhl «Balzaro»: Als ursprünglich gelernter Metallbauschlosser stellte diese Aufgabe wohl eine besondere Herausforderung für Sie dar?

Müller: Ja, denn in diesem Möbel wurde erstmals Chromstahl professionell verarbeitet. Den Entwurf habe ich 1997 für Girsberger geschaffen. Dabei habe ich versucht, den Stuhl einerseits möglichst schlicht und spannungsreich zu gestalten, andererseits jedoch die Idee auf klassische Art umzusetzen. Auch hier kommt die Ökologie zum Tragen: Die verwendeten Materialien sind naturbelassen und unverfälscht. Ausserdem weist der Stuhl einen hohen Sitzkomfort auf, denn bei der stabilen und langlebigen Konstruktion des Stuhls ist die Schale auf einem Kunststoffkern flexibel gelagert, sodass ein Gefühl von leichtem Schwingen den Sitzgenuss spürbar erhöht.

«Balzaro» hat somit im Stuhlbereich das Zeug zum Klassiker. In den letzten zwei Jahren zeigte sich dies vor allem in der Signalwirkung bei der Bank «Permesso» ?

Müller: Das stimmt. Im Zentrum der Entwicklung stand ursprünglich die Polsterung dieser Sitzbank. Es sollte eine neue Art des Sitzens werden, was ja auch erfolgreich gelungen ist. Die Bank lädt zu einer Berührung ein, animiert zum Sitzen und strukturiert den Raum.

Zu einem Stuhl oder einer Bank gehört auch ein Tisch? Vielleicht zum Beispiel das Modell «Bottone»?

Müller: Ja, denn dieser massive Holztisch besticht vor allem durch seine Sachlichkeit und Schlichtheit kurz: durch seine formale Reduktion. Die optimale Holzverarbeitung lässt sich bis ins letzte Detail verfolgen. Und so überzeugt der Tisch nicht nur durch seine Form, sondern auch durch die Verarbeitungsqualität und die technischen Raffinesse des Details «Bottone».

«Bottone», auf deutsch «Knopf», ist denn auch das zentrale Verbindungselement von Tischblatt zum Fuss. Der «Knopf» besteht aus Chromnickelstahl, einem Drehteil mit Gewinde. So puristisch dieses Element auch ist, so bedeutend sind seine Funktion und Eigenständigkeit. Das massive Tischblatt, welches zeitgemäss mit Öl und Wachs oberflächenveredelt wird, kann wahlweise unterstützt werden von drei verschiedenen Materialkonzepten im Fussbereich: Aluprofil eloxiert, Rundfuss Chromnickelstahl und Winkelfuss Massivholz.

Nebst der Tischherstellung liegt ein Schwergewicht der Produktion auf den Stühlen und hier sticht vor allem «Nanu» ins Auge, der mit dem Designpreis «best selection» von red dot ausgezeichnet worden ist ...?

Müller: Genau. Normalerweise entspricht der Stuhl in seiner Synthese dem Körperbau des Menschen und zeigt Symmetrie. Doch «Nanu» verlässt diese Ebene ... Die Dimensionen dieses Stuhls in seiner völligen Asymmetrie sind so ausgelegt, dass vieles möglich ist: sowohl eine «korrekte» Sitzhaltung für die Essenszeit, eine Verlagerung des Körpers und eine 45¡-Drehung als auch eine «Lümmelposition». Schliesslich ist es nicht nur das Materielle, das unsere Stühle und Tische auszeichnet, sondern auch das Ideelle. Zudem sollen sich die Benützer rundum darin wohl fühlen und dies sowohl in körperlicher als auch geistiger Hinsicht.