Richterin Miriam Forni zerzauste jüngst am Bundesstrafgericht das Dossier der Bundesanwaltschaft – formaljuristisch wie materiell. Die Klageschrift gegen die Zürcher Privatbank Hottinger sei «ohne die dazugehörigen Akten und Dokumente» übermittelt worden. Schlimmer jedoch als die Dokumentationsmängel wiegt: Jene Straftaten, auf denen sich die Unternehmenshaftungsklage abstützt, seien noch gar nicht «Gegenstand einer endgültigen Verurteilung».
Mit anderen Worten: Die Strafverfolger des Bundes wollten das Pferd von hinten aufzäumen und wurden nun von Richterin Forni zurück in den Stall beordert. Dies wohl für immer, denn im Fall Hottinger droht in wenigen Monaten die Verjährung.
Präzedenzfall Hottinger
Dass Bellinzona die Anklageschrift gegen die Bank Hottinger aufhebt und «zur weiteren Bearbeitung» zurückweist, ist eine Schlappe für Michael Lauber. Schliesslich ist der angezählte Bundesanwalt in der Verfahrensführung gegenüber seinen Strafverfolgern weisungsbefugt. Insbesondere in einem Leitverfahren wie diesem: Gilt Hottinger doch als Präzedenzfall für Banken, die von der BA aufgrund von Organisationsmängel in Unternehmenshaftung genommen werden sollen.
Die Bundesanwaltschaft führt gleich mehrere Verfahren gegen hiesige Finanzinstitute. Der Fall der konkursiten Zürcher Privatbank ist nun aber der erste eines Finanzinstituts, über den auch eine Richterin befunden hat.
Basis für die Haftungsverfahren gegen die Banken bildet der Artikel 102 des Strafgesetzbuches. Er ist ein Ausfluss der Brandkatastrophe von Schweizerhalle. Als 1986 giftiges Löschwasser den Rhein verseuchte, war der Chemiekonzern Sandoz als Betreiberfirma der Lagerhalle fein raus. Das Strafrecht konnte das kollektive Versagen der Unternehmung nicht fassen. Daraufhin wurde der Gesetzgeber aktiv.
Busse von einer halben Million gefordert
Seit gut fünfzehn Jahren gibt es im Strafgesetzbuch nun den Artikel 102, der eine Haftung der Unternehmen vorsieht, wenn die Organisationsmängel keiner bestimmten natürlichen Person zugeordnet werden können. Dabei sind Bussen von bis zu fünf Millionen Franken möglich.
Im Fall Hottinger forderte die Bundesanwaltschaft eine Busse von einer halben Million Franken. Die Anwendung der Strafnorm bedingt zwei Voraussetzungen: Erstens braucht es eine Anlasstat wie Korruption, Terrorfinanzierung oder Geldwäsche, die ein Mitarbeiter verschuldet hat. Und zweitens muss ein struktureller Organisationsmangel vorliegen, der die Anlasstat in der Firma überhaupt erst möglich machte.
Transaktion für Kirchengüter-Fonds
Warum die Bundesanwaltschaft im Fall Hottinger vor Gericht abblitzte, hat mit der mutmasslichen Anlasstat zu tun. Zwischen 2010 und 2012 war R. H. (Name der Redaktion bekannt) Compliance Officer bei der inzwischen konkursiten Zürcher Privatbank. Dabei segnete er zwischen Juni und Oktober 2012 vier Auszahlungen im Umfang von rund einer halben Million Euro ab. Die Transaktion erfolgte im Namen eines Fonds des italienischen Staates, der sich um den Erhalt kirchlicher Immobilien kümmert. Wie sich später herausstellte, handelte sich aber möglicherweise um eine betrügerische Transaktion eines mit Hottinger assoziierten Vermögensverwalters.
Gegen den italienischen Finanzmakler selbst läuft deswegen ein Verfahren wegen Betrug, Urkundenfälschung und weiteren Straftaten. Er soll für einen damaligen Spitzenbeamten des italienischen Inlandsgeheimdienstes gehandelt haben, berichteten dortige Medien. Insgesamt sollen gegen zehn Million Euro des staatlichen Kirchengüterfonds über Schweizer Geheimkonten versickert sein.
Geldwäscherei verlangt Eventualvorsatz
Fünf Jahre nach den vier verdächtigen Transaktionen nahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen auf. Der Staatsanwalt des Bundes, Stefano Herold, warf Compliance Officer R.H. Geldwäscherei vor, weil er unter anderem den Bankkunden nicht als politisch exponierte Person (PEP) identifiziert habe.
Dabei setzt Geldwäscherei einen Eventualvorsatz voraus: Der Compliance Officer hätte demnach bewusst das Risiko in Kauf genommen, deliktisches Geld zu transferieren. Allerdings betont R. H. im Gespräch mit der «Handelszeitung», er habe das Konto des mutmasslichen PEP gar nicht selbst eröffnet.«Der Fehler passierte vor meiner Zeit durch einen früheren Vorgesetzten».
«Wir hatten riesige Pendenzen»
Zudem habe er seinerzeit Tausende von Transaktionen in der Bank abzuarbeiten gehabt. «Wir hatte riesige Pendenzen.» Trotz der hohen, strafrechtlichen Hürden für Geldwäscherei liess die BA nicht locker: Sie verhörte R. H. im Frühjahr 2017 sieben Stunden lang im Tessin und verurteilte ihn ein Jahr später zu vier Monaten bedingt.
Der Strafbefehl bedeutete für R. H. eine private wie berufliche Zäsur: Der Compliance Officer arbeitete inzwischen bei einer Ostschweizer Regionalbank. Sie löste nach dem Strafbefehl den Arbeitsvertrag mit ihm vorzeitig auf. R. H. erlitt einen Herzinfarkt. Der inzwischen arbeitslose Finanzfachmann akzeptierte den Strafbefehl nicht, worauf die BA im Spätherbst Anklage erhob. Die Verteidigung von R.H. wird finanziert durch die Konkursmasse der Bank Hottinger. Denn die Haftungsklage bedingt ja die Anlasstat des ehemaligen Bankmitarbeiter.
Der zuständige Liquidator Karl Wüthrich, bekannt durch die Swissair-Abwicklung, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Und wie schon die Haftungsklage gegen die Bank wies Bundesstrafrichterin Miriam Forni auch die Anlasstat, nämlich die vermutete Geldwäsche des Compliance Officers, an die Bundesanwaltschaft zurück.
Richterin Forni bemängelt im Urteil unter anderem, dass aus dem Strafbefehl der BA gar nicht wirklich hervorgehe, ob es sich bei den Transaktionen um deliktisches Geld gehandelt habe. Schliesslich ist das Verfahren gegen den mutmasslichen Betrüger, den italienischen Finanzmakler, nicht abgeschlossen.
Mit Fornis Verdikt im Geldwäscherei-Fall R.H. erleidet höchst wahrscheinlich auch die Unternehmenshaftungsklage gegen die konkursite Bank Hottinger Schiffbruch. Denn jene von R. H. abgesegneten Transaktionen stammen von 2012. Sie werden bis spätestens im Herbst verjährt sein.
Kritik an Praxis der BA
Unabhängig vom Ausgang der Haftungsklage gegen die Bank Hottinger kritisiert der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli die Verfahren gegen Finanzinstitute grundsätzlich. «Der Wahrscheinlichkeit von Organisationsdefiziten nach Artikel 102 ist bei Banken extrem klein», sagt Niggli. Schliesslich seien die Banken der Finanzmarktaufsicht unterstellt und würden durch die Finma fortlaufend intensiv auf Organisationsmängel hin geprüft. «Bevor die Strafermittler aktiv werden, sollte also eigentlich schon die Finma eingeschritten sein.»
Niggli vermutet deshalb, dass die BA mit den Verfahren vor allem eine Drohkulisse gegen die Bankkonzerne aufbaue, die mehr politisch-medial begründet sei denn juristisch fundiert. Überhaupt findet Strafrechtsprofessor Niggli den Artikel 102 problematisch: Das Gesetz verlange, dass eine privatrechtliche Unternehmung «alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen» zu treffen haben, um Anlasstaten wie Korruption oder Geldwäscherei zu verhindern.
«Was heisst schon zumutbar?»
Nur, so Niggli: «Was heisst schon zumutbar?» Der Gesetzgeber bürde «über das Strafrecht den Unternehmen Polizeiaufgaben auf.» Das gehe zu weit.
Insofern müsse die Anwendung des Artikels 102 eine Ausnahme bleiben. Anders sieht dies Bundesanwalt Lauber, der in einem Interview mit der «Sonntagszeitung» im letzten Frühjahr «neue Instrumente» in grossen Korruptions- und Geldwäscherei-Verfahren forderte: «Heute dauern die Verfahren viel zu lange und sind sehr schwierig zu führen.»
Lauber möchte, abseits der Gerichtsbarkeit, mit Unternehmen Vereinbarungen abschliessen können.
Professor Niggli sieht in Laubers Forderungen nach Deals im Unternehmensstrafrecht die Gefahr einer Checkbuchjustiz: «Es geht nicht mehr um die Schuld, sondern darum, wie viel ein Urteil kostet.»