Fitnesscenter-Betreiber können es kaum fassen, was da draussen abläuft: «Man soll sich doch bitte erst die notwendige Rumpfkraft im Fitnessstudio holen, bevor man die Leute mit Stöcken bewaffnet die Hügel hochhetzen lässt», so und ähnlich lesen sich die leicht neidischen Kommentare in einschlägigen Fachzeitschriften der Fitnessindustrie zum Thema Nordic Walking, zum zügigen Gehen am Stock, draussen in der Natur. Tatsächlich hat die seit Jahren schwächelnde und nach neuen Konzepten ringende Branche einen schweren Stand gegen die Mitte der 90er Jahre initiierte Nordic-Welle des führenden finnischen Herstellers von Verbundfasertechnologie, Exel.

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3 Millionen Aktive im deutschsprachigen Raum

Nordic Walking, forsch betrieben, vorzugsweise in hügeligem Gelände, verbindet Ausdauer mit Kraft, schreckt auch Unsportliche und Übergewichtige nicht ab und lässt sich gut in der Gruppe ausüben. Die Strategie, erst Kursleiter auszubilden, welche wiederum in ihrer jeweiligen Region bewegungswillige Menschen aller Couleur zum gemeinsamen Walking animieren, anfänglich über den finnischen Volkssportverbund Suomen Latu, danach über einen selbst ins Leben gerufenen Verband, haben sich die Aktionäre des in Helsinki börsenkotierten Unternehmens Exel schon längst vergolden lassen. 2004 wies Exel einen operativen Gewinn von 12,5 Mio Euro am Gesamt-Nettoumsatz von 83,9 Mio Euro aus. Wobei die Sport-Division, zu der nebst den Stöcken auch Surfboard-Masten und Unihockey-Schläger gehören, mit 35,5 Mio Euro Umsatz gut 42% zum Gesamtergebnis beisteuert.

In den deutschsprachigen Ländern ist die neue Sportart Nordic Walking besonders populär. Auf gut 3 Mio wird die Zahl aktiver Nordic Walker in Deutschland, Österreich und der Schweiz mittlerweile geschätzt, bei weiterhin starken Zuwachsraten. Ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen, denn der finnische Innovator von Nordic Walking, mit einem geschätzten Marktanteil von ungefähr 45% am Stockmarkt, investiert derzeit stark in die noch jungfräulichen Märkte Nordamerika, Japan und China.

Ausdauertraining mit kontrolliertem Puls

Der Wunsch zur Entwicklung, Produktion und Kommerzialisierung eines zuverlässigen Messgerätes zur Messung der Herzfrequenz und Kontrolle des Trainings bei Ausdauersportlern stand Pate in der Geschäftsidee des Elektroingenieurs Seppo Säynäjäkangas aus dem nordfinnischen Oulu. 1977 gründete er Polar Electro Oy. Heute begleiten die smarten Handgelenk-Computer nicht mehr nur Leistungssportler beim Training, sondern sind auch oder gerade deshalb für viele Einsteiger in ein Fitnesstraining zum unverzichtbaren Hilfsmittel zur Steuerung und Verbesserung der Kondition geworden. Ob als Ausdauersportler, Kletterer im Himalaja oder Taucher in den Tiefen des Meeres unterwegs, an den finnischen High-tech-Sportuhren Polar und Suunto kommen Outdoor-Freaks nur schwer vorbei. Die immer breitere Palette von Uhren mit unterschiedlichen Funktionen und Ansprüchen, gepaart mit der zunehmenden Resonanz von klassischen und neuen Ausdaueraktivitäten, spiegelt sich in einem deutlichen Umsatzzuwachs wieder. Zwischen 2001 und 2004 erzielte das global tätige Familienunternehmen einen Umsatzanstieg von 117 Mio auf 162 Mio Euro.

Weiteres Potenzial sieht der Weltmarktführer in der steigenden Zahl fitnessbewusster Frauen. Design und Farben werden entsprechend angepasst. Auf rund 60%:40% schätzt Sven Vogt, Area Manager bei Polar Deutschland, das Verhältnis Männer zu Frauen im Gebrauch von Herzfrequenzuhren. Gut möglich, dass das auch der Weihnachtsmann mitbekommt. Der wohnt ja auch in Finnland, am Polarkreis, fast in Nachbarschaft des «Silicon Valley des Nordens», wie die Wirtschaftsregion Oulu auch gerne bezeichnet wird.

Nordic Walking in der Schweiz

Die Sportartikelbranche spricht von einem Markt mit 50 Millionen Franken Umsatz

Eine neue, eigenständige, auch für die Breite geeignete Sportbewegung zu starten, braucht Mut und Engagement. Dazu sind Promotoren gefragt, die überzeugt sind von der Sache und stark sind in der Kommunikation des praktischen Nutzens in einer ansonsten bewegungsarmen Umwelt. «Am Stock laufen» schien dafür nicht gerade dazu bestimmt, die damit verbundenen Assoziationen und Vorurteile wegzuwischen. «Wir mussten auf unser Netzwerk von ausgebildeten Aqua-Fit-Kursleitern und -leiterinnen zurückgreifen, um genügend Masse zu schaffen, die neue Sportart zusammen mit Walking-Leitern und -Leiterinnen bekannt zu machen», sagt Thomas Thierstein, Leiter Nordic-Walking-Kurse bei Ryffel Running Kurse GmbH in Gümligen.

Geradezu phänomenal ist der Zulauf der Nordic Walker beim Swiss Walking Event in Solothurn. Der Anteil der Nordic Walker an den über 7200 Teilnehmern (Zuwachs +50%) lag dieses Jahr bei 77%. Nach wie vor sind die Frauen unter den Nordic Walkern mit einem Anteil von 70% klar in der Mehrheit.

«Für den Sportfachhandel sind Walking und Nordic Walking ein erfreuliches Thema. Grob geschätzt bewegt sich der Markt für Nordic-Walking-Ausrüstung in diesem Jahr bei 50 Mio Fr.», meint Beat Ladner vom Verband Schweizer Sportfachhandel (ASMAS).

Nicht dass die traditionellen, praktischen Teleskop-Wanderstöcke bald ausgedient hätten, das nicht, aber auch die in diesem Bereich führende Traditionsmarke Leki wird dieses Jahr erstmals mehr Nordic-Walking-Stöcke verkaufen, wie René Urfer von Leki unumwunden preisgibt. Auch Ärzte, Physiotherapeuten und Krankenkassen sehen in der neuen Gesundheitswelle rundweg Positives, denn rund ein Drittel der Schweizer Bevölkerung bewegt sich zu wenig oder gar nicht. «Mit dem Sponsoring von Walking Events und dem Ausbau von Swiss Running Walking Trails konnten wir uns imagemässig bisher sehr gut positionieren», stellt Christian Beusch, Leiter Unternehmenskommunikation beim Krankenversicherer Helsana, fest.

Peter Salvisberg, Initiator des Netzwerkes Nordic Fitness Point, sieht in Nordic Walking ein enormes touristisches Potenzial: «Der Alpenraum mit seinem coupierten Gelände, mit den Tausenden von Kilometern bestens ausgeschilderten Sommer- und Winterwanderwegen ist ein Eldorado für Nordic Walker.» Ob sich die speziell ausgeschilderten Strecken nun Swiss Nordic Park (Goms, Zermatt, Rigi), Engadin Nordic Park oder Nordic Fitness Park Appenzellerland nennen, gemeinsam ist ihnen allen das Laufen mit Stöcken.

Thomas Kirchhofer vom Kur- und Verkehrsverein Pontresina sieht in den bisher getätigten Investitionen von rund 10000 Fr. für den Ausbau des Nordic-Walking-Trail-Netzes einen bescheidenen Einsatz im Vergleich zur erwarteten Mehrwertschöpfung in Form einer in Zusammenarbeit mit lokalen Dienstleistern ergänzenden Angebotsgestaltung wie dem Smart-Mountain-Walking-Programm. (trö)