Die Online-Apotheke Valisure meldete den US-Regulierungsbehörden, dass sie eine weitere krebserregende Chemikalie in weit verbreiteten Blutdrucktabletten fand. Das wirft neue Fragen über ein komplexes globales Netz von Unternehmen auf, das Medikamente für Millionen von Menschen herstellt.
Ein Lösungsmittel namens Dimethylformamid wurde in dem Medikament Valsartan entdeckt, das von mehreren Unternehmen, darunter dem Schweizer Pharmakonzern Novartis, hergestellt wurde. DMF, wie das Lösungsmittel genannt wird, wird von der Weltgesundheitsorganisation als wahrscheinliches Karzinogen eingestuft.
Dutzende Formen Valsartan zurückgerufen
Dutzende von Formen von generischem Valsartan wurden seit Juli 2018 zurückgerufen, als die krebserregende Chemikalie N-Nitrosodimethylamin oder NDMA in einer Version des Medikaments eines chinesischen Unternehmens nachgewiesen wurde. Valsartan ist eine jahrzehntealte Behandlung der Hypertonie, die häufig mit anderen Medikamenten in einer einzigen Pille kombiniert wird.
Valisure fand DMF nun nicht nur in Valsartan, sondern auch in Medikamenten, welche die FDA als Alternative zu zurückgerufenen Medikamenten empfohlen hatte. Die Ergebnisse könnten die Bemühungen der Behörde verkomplizieren, kontaminierte Medikamente zurückzurufen und gleichzeitig Ärzte und Patienten darüber zu informieren, welche Medikamente sicher sind. DMF ist das vierte potenzielle Karzinogen, das in den Herztabletten enthalten ist.
Komplexe Lieferkette
Laut einigen Arzneimittelherstellern, deren Pillen positiv auf DMF getestet wurden, verwendeten weder sie noch die externen Zulieferer, das Lösungsmittel. Doch eine komplette Übersicht über die Lieferkette sei schwer zu erreichen. «Novartis kann derzeit nicht vollständig ausschliessen, dass Spuren von DMF (innerhalb akzeptabler Grenzen) in Materialien vorhanden waren, die ihren Lieferanten zur Verfügung gestellt wurden», so Novartis-Sprecher Eric Althoff in einer E-Mail.
Die FDA untersucht, wie die zurückgerufenen Medikamente verunreinigt wurden. Es besteht die Möglichkeit, dass die Verwendung von DMF im Herstellungsprozess zu chemischen Reaktionen führte, die die anderen Karzinogene bildeten. Auch wenn sie zurückgerufen wurden, sollten Patienten dennoch weiterhin ihre Blutdruckmedikamente einnehmen, sagt die FDA. Ein plötzliches Absetzen solcher Medikamente könne zu Gesundheitsschäden führen.
DMF ist ein attraktives Lösungsmittel
Bei der Herstellung von Medikamenten müssen Ausgangsrohstoffe ihre Form ändern, bevor sie in eine Pille gelangen. Dazu kann ein Lösungsmittel wie DMF verwendet werden. Dieses muss aber weitgehend verschwinden, bevor eine Pille in den Verkauf kommt. DMF ist billiger als einige andere Lösungsmittel, was es für Unternehmen attraktiv macht.
Die FDA erlaubt es, dass Medikamente das Äquivalent von etwa 8,8 Millionen Nanogramm täglicher DMF-Exposition enthalten. Die Agentur hat ihre zulässigen Lösungsmittelgehalte zuletzt 2017 überprüft; die WHO hat DMF 2018 als wahrscheinliches Karzinogen eingestuft.
Valisure fand DMF in Valsartan, das von fünf der sechs getesteten Arzneimittelhersteller hergestellt wurde. Dazu gehört Novartis, das die Markenversion namens Diovan herstellt. Dieses Medikament wurde erstmals 1996 in den USA zugelassen. Diovans DMF-Werte gehörten zu den niedrigsten, die positiv getestet wurden.
Novartis verwendet DMF nicht, um Diovan herzustellen. Und auch die Lieferanten würden es nicht nutzen, so Sprecher Althoff. Die Zulieferer der Lieferanten könnten es dagegen verwenden. Diese liefern Komponenten einschliesslich inaktiver Inhaltsstoffe, von denen Diovan etwa acht hat. Die FDA reguliert diese weniger streng als die Wirkstoffe, die Krankheiten bekämpfen. Im Visier stehen dabei die Firmen Zhejiang Huahai in China und Hetero Labs in Indien.
Sammelklage und Petition
Anwälte reichten am Montag eine Sammelklage im Namen von 34 Personen und Versicherern ein. Darin heisst es, dass Zhejiang Huahais Handlungen «eine ausdrückliche Anstrengung darstellen, Beweise zu verbergen und zu vernichten und absichtlich und rücksichtslos verfälschte und/oder missbräuchliche Marken auf den Markt zu bringen.»
Die Anwälte der Kläger reichten auch eine separate Sammelklage im Namen von Patienten ein, die kontaminiertes Valsartan einnahmen.
Zudem bittet Valisure in einer Petition die FDA, das zulässige DMF auf weniger als 1000 Nanogramm täglich zu reduzieren. Die FDA befolge international vereinbarte Richtlinien für die zulässige tägliche Exposition gegenüber Restlösungsmitteln, sagte Kahn, der Sprecher der Behörde. Er sagte nicht, warum die DMF-Richtlinien seit der Klassifizierung durch die WHO nicht mehr überprüft wurden.
(bloomberg/gku)