Bei Übernahmen geht es meist um eine – hoffentlich – bessere Zukunft, doch oft kauft man sich damit auch ein Stück unschöne Vergangenheit ein. Beispiel dafür ist die 9,7 Milliarden Dollar teure Übernahme von The Medicines Company (Medco) durch Novartis.
CEO des US-Unternehmens, das eine innovative Therapie gegen zu hohes Cholesterin in der Pipeline hat und Novartis, so die Hoffnung, Spitzenumsätze von 6 Milliarden Dollar bringen soll, ist Mark Timney. Timney war zuvor Chef von Purdue, des Pharma-Giganten, der im Zentrum des Skandals um süchtig machende Schmerzmittel steht. Die Krise um Opioide hat in den vergangenen Jahren Hunderttausende von Amerikanern das Leben gekostet.
Bedenken eingeräumt – aber nur intern
Purdue, Hersteller des bekannten Schmerzmittels OxyContin, sieht sich einem Sturm von Klagen gegenüber. Mehr als 1000 Bundesstaaten und Städte sollen das Unternehmen wegen aggressiver und verharmlosender Marketingmethoden verklagt haben.
Der Name Mark Timney taucht dabei in Dutzenden Rechtsfällen auf, mindestens zweimal, in Massachusetts und Connecticut, als Beklagter. Der State of Connecticut wirft dem Pharma-Manager, der das Unternehmen von 2014 vis 2017 leitete, vor, "wissentlich irreführende Verkaufs- und Marketingmethoden" forciert zuhaben. Mark Timney habe 2015 in einer internen Präsentation eingeräumt, dass die suchthemmenden Eigenschaften von OxyContin– ein wichtiges Verkaufsargument für das Schmerzmittel – nicht geeignet seien "das Problem des Überkonsums" zu adressieren. Die Abhängigen würden wahrscheinlich einen Weg finden, die entsprechende Technologie zu umgehen, soll er gemäss Anklageschrift gesagt haben. Zur gleichen Zeit habe der Konzernchef seine Verkaufsmannschaft angewiesen, OxyContin zu bewerben, ohne auf die kritischen Tatsachen hinzuweisen.
Eine gewaltige Gesundheitskrise
Die Krise um die auf Heroinbasis hergestellten Schmerzmittel begann in den Neunzigerjahren und hat unzählige Familien und Existenzen zerstört. 2017 starben dem amerikanischen Gesundheitsministerium zu Folge 70237 Menschen an einer Überdosis, meist von synthetisch hergestellten Opioiden. Die Mortalitätsrate stieg von 19,8 drogenbedingten Todesfällen pro 100000 Einwohner auf 21,7; die Staaten mit den höchsten Todesraten sind West Virginia (57,8 Drogentote pro 100000 Einwohner, Ohio (46,3), Pennsylvania (44,3), District of Columbia (44,0) und Kentucky (37,2).
Die Opioid-Krise zählt zu den grössten Gesundheitskrisen der amerikanischen Geschichte. Einem kürzlichen Bericht des Magazins "Nature" zu Folge ist sie dafür verantwortlich, dass die Lebenserwartung 2015 zum ersten Mal seit fast 100 Jahren wieder sank, und zwar von 78,8 auf 78,7 Jahren.
Die Lebenserwartung war das letzte Mal 1915 bis 1918 zurückgegangen, wegen der jungen Männer, die im ersten Weltkrieg fielen, und wegen der spanischen Grippe 1918. Zwischen 1999 und 2007 verdreifachte sich die Zahl der Drogentoten, die der Opioid-Toten versechsfachte sich sogar.
Novartis "fühlt sich wohl mit allem, was Medco angeht"
Mark Timney verliess Purdue 2017 und kam im Dezember vergangenen Jahres als CEO zu Medco, wohl, um das unter dem Eindruck eines Aktivisten stehende Unternehmen zu verkaufen.
Nun darf er sich auf einen Geldsegen in Millionenhöhe freuen. Gemäss Recherchen des Branchenportals «Endpoints» wird er über seine Anteile am Medco bei der Übernahme durch Novartis 85 Millionen Dollar kassieren.
Novartis wird 85 Dollar pro Aktie bezahlen. Das entspricht einer Prämie von 41 Prozent gegenüber dem 30-Tage-Mittel. Um die Jahreswende 2018/2019 hatte der Kurs noch bei unter 20 Dollar gelegen.
Novartis schreibt, man fühle sich «wohl mit allem, was Medco betrifft». Die Rechtsfälle gegen Mark Timney seien öffentlich und zu weiteren Schritten bezüglich Medco könne das Unternehmen nicht Stellung nehmen, bevor die Übernahme abgeschlossen sei.