Wer wissen will, was Konkurrenzdenken heisst, muss in die Augen von Joe Jimenez blicken, wenn er übers Schwimmen redet: «Im Wasser zu sein, neben dich zu schauen und diesen unbedingten Willen zu spüren, den Typen auf der Bahn nebenan zu schlagen – das macht die Faszination des Rennens aus», sagt Jimenez – und blickt einen herausfordernd an. Wetteifern als Lustprinzip – für den 50-jährigen Amerikaner, der als junger Mann Captain des Schwimmteams seiner Universität war und täglich fünf Stunden trainierte, während sich die Kommilitonen die Nächte um die Ohren schlugen, ist der Lohn für die Strapazen simpel: «Belohnung ist der Erfolg, das Gewinnen.»

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Auch im Januar schlug Jimenez als Erster an: Der Verwaltungsrat von Novartis bestimmte ihn überraschend zum neuen CEO des Konzerns. Daniel Vasella, jahrelang Präsident und Konzernchef in Personalunion, gab seine Doppelfunktion auf.Operativ ist Jimenez nun für das Geschehen im Pharmakonzern verantwortlich. Als Präsident des Verwaltungsrats ist Vasella aber weiterhin mehr als nur der Grandseigneur im Hintergrund – er bleibt das Machtzentrum im Unternehmen.

Jimenez liess Chief Operating Officer Jörg Reinhardt, der als Kronfavorit für die Nachfolge galt, hinter sich. Die Begründung, die Vasella im Statement zur Wahl des neuen Konzernchefs abgab, könnte auch eine Auflistung von Tugenden sein, die einem Schwimmer zum Erfolg verhelfen: «Seine Energie, seine Selbstdisziplin und sein Engagement machen ihn zu einer idealen Wahl als CEO.»

Etwas erwähnte Vasella nicht: profunde Branchenkenntnis – in ähnlichen Fällen meist das erste Argument für die Bestimmung eines neuen Chefs. Seit 2007 ist Jimenez bei Novartis. Er leitete vor seiner Ernennung zum CEO zwar die Division Pharma, doch davor war er jahrzehntelang in der Konsumgüterindustrie tätig, etwa für die Ketchup-Firma Heinz.

Skepsis. Anderswo stiess die Ernennung von Jimenez denn auch auf Skepsis. Bei Roche wäre Jimenez nicht CEO geworden, sagte Franz Humer, Präsident des Lokalrivalen, im Mai im BILANZ-Interview. Denn: «Im Pharmabusiness muss man das Geschäft sehr gut kennen.»

«Ich war ehrlich gesagt etwas überrascht über die Aussage, denn Herr Humer kennt mich ja gar nicht», erwidert Jimenez. Die beiden haben sich bisher nicht persönlich getroffen.

Den Vorwurf, es sei ein Nachteil, einen Branchenoutsider als Chef zu haben, lässt er nicht gelten – im Gegenteil: Er sieht dies als Chance. «Die Trends, welche die Industrie in den letzten zwanzig Jahren geprägt haben, sind nicht die gleichen, die die nächsten zwanzig Jahre prägen werden», ist Jimenez überzeugt. Zulassungsbehörden etwa prüften Medikamente heute vermehrt hinsichtlich Sicherheit statt Effektivität, und angesichts leerer Staatskassen und höherer Gesundheitskosten seien die Margen unter Druck. Langjährige Branchenvertreter liefen Gefahr, sich zu sehr an den Erfolgen von gestern zu orientieren. «Ich habe einen frischen Blick auf die Dinge – das ist ein Vorteil.»

Mit solchen Aussagen manifestiert Jimenez eine seiner Stärken: Er ist – wie viele amerikanische Manager – sehr wortgewandt. Er, der in der Konsumgüterindustrie seine Sporen abverdiente, ist ein guter Verkäufer – auch seiner selbst.

Doch das ist nur ein Faktor, der seinen Erfolg erklärt. Wichtig sind weitere: Er arbeitet enorm hart. Und er lernt schnell.

Jimenez habe sich in kurzer Zeit einen guten Ruf in der Pharmabranche schaffen können, sagt Paul Sekhri, Chef der Biotech Operations Group bei TPG Biotech, der von 1999 bis 2003 bei Novartis war. «Er hat schnell begriffen, wie die Grundzüge der Industrie funktionieren», so Sekhri. Jimenez gelte zudem als fairer Manager: «Die Leute mögen ihn.»

Vasella schätzt an Jimenez dessen Implementierungskraft und die ausgeprägte Fokussierung auf die Arbeit: «Er ist hundert Prozent bei der Sache», so der Novartis-Präsident zur BILANZ. Auch die Fähigkeit, mit Leuten umzugehen, sei eine Stärke. Er habe schnell einen Draht zu den Forschern und Entwicklern gefunden. Mit wichtigen Schlüsselfiguren, etwa Forschungschef Mark Fishman, habe er sehr gut zusammengearbeitet. Zudem habe Jimenez eine dicke Haut: «Er kann mit Kritik konstruktiv umgehen, ohne gleich zusammenzuklappen.»

Ein Verwaltungsrat von Novartis betont zudem die kommerzielle Ader des Managers: «Er spürt sehr gut, wo man Geld verdienen kann.»

Eine der Aufgaben von Jimenez wird sein, neue Aufbruchkräfte bei Novartis zu wecken. Der Aktienkurs dümpelt seit zehn Jahren dahin (siehe Grafik im Anhang). Mit guten Semesterzahlen hat Jimenez zwar im Markt Vertrauen schaffen können. Doch sein Elan ist weiter gefordert.

Ein Chrampfer war Jimenez schon immer. Praktisch jedes Wochenende arbeitet er. Fürs Schwimmen bleibt ihm wenig Zeit. In seinem Haus in der Nähe von Basel, wo er mit Frau Denise und den drei Kindern im Teenageralter wohnt, hat er einen Pool mit Gegenstromanlage, in dem er zwei- bis dreimal pro Woche trainiert. Zudem stemmt er Gewichte und spult seine Runden auf dem Laufband ab: «Ich liebe das Gefühl, fit zu sein», sagt er.

Überflieger. Kein Vergleich allerdings mit den Tagen, als er Captain des Schwimmteams an der kalifornischen Eliteuniversität Stanford war und im Jahr nur zwei Tage nicht trainierte – an Weihnachten. Er finanzierte sein Studium mit einem Stipendium und war verpflichtet, selbst in den Ferien zu schwimmen. «Es war wie ein Job.» Eines seiner Lieblingsbücher ist ein Werk des kanadischen Autors Malcolm Gladwell («Überflieger. Warum manche Menschen erfolgreich sind – und andere nicht»). Gladwell sagt, um in etwas wirklich gut zu sein, müsse man 10  000 Stunden damit verbringen. Jimenez denkt, er habe in der Tat so viele Stunden geschwommen. Er schaffte es bis auf Platz fünf im Ranking der US-Schwimmer.

2007, als er zu Novartis kam, zog er in die Schweiz. Er schätzt die Schweizer Berge, macht gerne Ausflüge, etwa nach Interlaken. Ski fährt er nicht, im Gegensatz zu seinen Kindern. Diese haben sich bereits gut eingelebt: Die beiden Söhne spielen Fussball im Lokalverein. Gemeinsam besuchen Vater und Söhne auch gerne die Heimspiele des FC Basel.

Die Kinder sprechen Schweizerdeutsch, er selber nicht. Dafür lernt er Hochdeutsch; frühmorgens, wenn der Tag noch ruhig ist, kommt ein Privatlehrer.

Seine knapp bemessene Freizeit verbringt er am liebsten mit der Familie. An gesellschaftlichen oder kulturellen Anlässen sieht man ihn kaum. Nur an die Fasnacht gehen er und seine Kinder immer, um zu schauen. Statussymbole oder schnelle Autos bedeuten ihm wenig. Lässt sich Vasella auch gerne mal in Ledermontur auf dem Motorrad ablichten, so ist Jimenez «low-key»: In seiner Garage steht ein Volvo Kombi, als Firmenauto benützt er einen Mercedes.

Herausragendes Merkmal von Jimenez ist sein Pragmatismus. Sich über ungünstige Marktbedingungen zu ärgern oder über Regulatoren zu schimpfen, die seine Medikamente nicht bewilligen, ist seine Sache nicht: «Nicht klagen, sondern verändern», lautet sein Arbeitsgrundsatz.

Aufräumer. Als Spartenchef Pharma zeigte er Aufräumerqualitäten. Geschickt setzte er auf jene Stärken, die er auch ohne lange Branchenerfahrung einbringen konnte, wie Kostenreduktion und bessere Abläufe – klassische Management-Aufgaben halt. Unter dem Namen «Forward» setzte er ein Sparprogramm durch und baute Hunderte von Jobs ab. «Beim ‹Project Forward› ging es um mehr als nur Einsparungen», präzisiert Jimenez. «Es ging darum, unsere operativen Prozesse effizienter zu gestalten.» Dass das Kostendenken auch unter seiner Ägide als CEO Priorität hat, manifestierte er mit einer der ersten Massnahmen nach seiner Berufung: Kaum im Amt, verordnete er dem US-Geschäft eine Schlankheitskur und strich 400 Jobs im Novartis-Zentrum in East Hanover, New Jersey.

Wer das Curriculum Vitae von Jimenez auf der Firmenwebsite anklickt, findet viel Lob für dessen Leistungen in der Pharmasparte. So etwa, dass Novartis mehr Produkte auf den Markt brachte als jedes andere Unternehmen. Kritiker monieren, Jimenez dürfe sich nicht zu sehr mit dem Erfolg schmücken, weil vieles schon die Vorgänger einleiteten. Diesem Einwand gibt Chairman Vasella teilweise recht. Der Erfolg im Pharmabusiness sei in der Tat von sehr langfristigen Entwicklungen geprägt, weil Medikamente in langen Zyklen marktreif werden. Doch darum allein gehe es nicht: Die Branche sei im Umbruch. Als CEO brauche es da die Qualität, den Wandel offen und gezielt anzugehen. Dafür sei Jimenez der richtige Mann.

Mit Jimenez hat er einen CEO, der sowohl im Kernmarkt USA als auch in Europa gearbeitet hat. 1959 in Kalifornien geboren, wuchs er in der Nähe von San Francisco auf. Er studierte Wirtschaft in Stanford und Berkeley und schloss 1984 mit einem MBA ab. Die Familie ist spanischer Herkunft: Der Grossvater stammt aus einem Dorf in der Nähe von Salamanca. Der Vater war auch Manager. Lange arbeitete dieser beim Nahrungs- und Putzmittelhersteller Clorox in Oakland, Kalifornien – in jenem Unternehmen, in dem auch Joe seine Karriere startete. 1984 trat er bei Clorox ein, arbeitete zunächst in der Salatsaucen-Division und stieg später zum Marketingchef auf.

1998 wechselte er zum Ketchup-Hersteller Heinz. Von 2002 bis 2006 leitete er das Europa-Geschäft des Konzerns. Er zog samt Familie nach London. Parallel dazu nahm er Einsitz im Verwaltungsrat des schwedisch-britischen Pharmakonzerns AstraZeneca. Geholt hat ihn Ex-ABB-Chef Percy Barnevik – der Schwede war bis 2004 Chairman von AstraZeneca.

Zu Daniel Vasella indes bestanden keine persönlichen Bande – der Wechsel von Jimenez zu Novartis erfolgte durch die Vermittlung eines externen Headhunters.

Im April 2007 trat Jimenez in Basel an, zunächst als Chef der kleinen Sparte Consumer Health, die unter anderem Tierarzneien vermarktet. Doch nur sechs Monate später, im Oktober 2007, legte ihm Vasella bereits die Paradedisziplin des Konzerns in die Hände: die Pharmasparte, die für rund die Hälfte des Konzernumsatzes sorgt. Der bisherige Spartenleiter Thomas Ebeling wurde querverschoben.

Was war in diesem halben Jahr geschehen, dass Jimenez einen derartigen Blitzaufstieg hinlegen konnte?

2007 war ein schwieriges Jahr für die Pharmadivision. Ebeling, der den Bereich seit 2000 leitete, sah sich mit einer Wachstumsdelle konfrontiert. Der Umsatz dümpelte dahin, der Gewinn sank. Im US-Markt gab es Probleme: 2007 wurden lediglich zwei neue Medikamente zugelassen – so wenig wie nie zuvor.

Im Sommer 2007 teilte Vasella Ebeling Knall auf Fall mit, er werde seinen Bereich Jimenez übergeben. Ebeling verliess Novartis im Jahr darauf. Heute leitet er den Medienkonzern ProSiebenSat.1.

Vasella will seinen damaligen Entscheid nicht als Kritik an Ebeling gelten lassen. «Ich halte Herrn Ebeling für einen sehr begabten Manager», so Vasella. Grund für seinen Entscheid sei der allgemeine Grundsatz gewesen, das Management im Konzern rotieren zu lassen. In der Erfüllung der primären Aufgaben könne man sehen, wie die Leute funktionierten. Dies auch mit dem Gedanken, dem Verwaltungsrat eine Auswahl möglicher Nachfolger zu präsentieren. Ebeling sei nicht versetzt worden. De facto sei es ein horizontaler Move gewesen. Dass dies vom Betroffenen möglicherweise anders wahrgenommen wurde, respektiert Vasella, trotzdem zählt es für ihn nicht. «Ob es aus seiner Sicht eine Zurückstutzung war, ist für mich letztlich irrelevant. Wichtig ist einzig, ob der Entscheid richtig ist», so der Novartis-Präsident.

Mehr Mut. Für Jimenez wurde die Rochade zur grossen Chance – und er packte sie. Es habe eine Atmosphäre der Angst geherrscht in der Division, fiel ihm schon bald nach Amtsantritt auf. Fehler zu machen, sei kaum toleriert worden. Dies habe dazu geführt, dass den Leuten der Mut fehlte, etwas Neues auszuprobieren. Das sei aber wichtig für den Wandel.

Er äussert damit indirekt Kritik an Vorgänger Ebeling. In der Tat galt jener als cholerisch, seine Wutausbrüche sind manchen Novartis-Mitarbeitern ungut in Erinnerung. Dennoch war Ebeling nicht unbeliebt. Er entschuldigte sich nachher oft, wenn er sich im Ton vergriffen hatte, und war nicht nachtragend.

Viele Novartis-Mitarbeiter glauben denn auch, die Kultur der Angst habe weniger mit dem Spartenchef als dem Mann ganz oben zu tun – mit Vasella, der mit seinen harten Anforderungen und der Unberechenbarkeit, mit der er seine Gunst verteilt und entzieht, übergrossen Druck aufs Management ausübte. «Ich verlange, dass die Qualität der Arbeit stimmt», sagt Vasella dazu unbeeindruckt, «Angst muss keiner haben, solange er nicht inkompetent, unehrlich oder unengagiert ist.» Es brauche als Chef Mut, stets Qualität einzufordern: «Es ist viel einfacher, nett und freundlich zu sein und die unangenehmen Sachen nicht anzusprechen.»

Jimenez sorgte mit seiner offenen Art für frischen Wind in der Sparte und fand schnell Akzeptanz bei den Mitarbeitern. Auch heute als CEO trifft er sich wöchentlich zum Lunch mit Vertretern unterer Chargen: «Eine gute Methode, um zu spüren, was im Betrieb abgeht», sagt er.

So etablierte sich Jimenez schnell bei Novartis – auch die Kollegen in der Geschäftsleitung berichten kaum Negatives über ihn. Auffallend sei gewesen, dass er einen guten Draht zu Vasella entwickelte. Wie kaum einer habe er es verstanden, Vasellas Anliegen zu adaptieren – etwa indem er die Meinung des Chefs übernahm. Dennoch glaubte keiner, dass er schon bald zum Nachfolger erkoren würde.

Schliesslich hatte Vasella 2008 den Posten eines Chief Operating Officer (COO) geschaffen, der sich um das operative Klein-Klein zu kümmern hatte. Es war die Plattform für eine Art Schaulaufen für höhere Weihen in operativen Belangen – für den CEO-Job. Den COO-Posten bekam Jörg Reinhardt, seit Jahren einer von Vasellas engsten Vertrauten.

Doch dann geschah zunächst einmal wenig – Vasella machte 2009 keinerlei Anstalten, von seinem Doppelmandat zurückzutreten. Die Vermutung, der Mann, der seit der Fusion von Sandoz und Ciba-Geigy 1996 die neue Novartis leitete, werde niemals abtreten, schien sich zu bestätigen. Und der Verwaltungsrat, dem dieser Entscheid oblag, galt als handzahm.

2009 stieg der Druck von aussen. Kritische Aktionärsgruppierungen wie Ethos, die bei anderen Konzernen wie Nestlé Druck auf das Doppelmandat gemacht hatten, bliesen zum finalen Kampf gegen Vasella. Schliesslich stand das Ende seiner Amtszeit an, seine Wiederwahl in den VR musste traktandiert werden.

Indem man die Kräfte bündelte – Ethos tat sich mit der amerikanischen RiskMetrics zusammen –, erhoffte man sich grössere Schlagkraft an der Generalversammlung vom Frühling 2010. Auch wenn die Stimmmacht nicht genügen würde, um die Anliegen durchzusetzen, so drohte mit jedem Prozent mehr an Stimmen doch ein Imageverlust für Vasella – dem «Pillen-König» («Süddeutsche Zeitung») drohte zumindest eine schallende Ohrfeige.

Nachfolge akut. Im Sommer 2009 kam im Verwaltungsrat auch die Nachfolgefrage zur Sprache. Dies hatte laut Vasella nichts mit dem Druck kritischer Aktionärsgruppen zu tun, denn das Thema sei jedes Jahr jeweils im Juni am traditionellen Strategiemeeting auf der Traktandenliste gestanden. Doch in jenem Juni wurde die Frage der Nachfolge erstmals akut. Denn Vasella tat kund, er wolle das Thema nun konkret angehen, und zwar in mehreren Schritten. Zunächst sollten generell Ablauf und Grundzüge der Nachfolgeregelung bestimmt, in einem zweiten Schritt dann über Personen gesprochen werden. Für alle war klar, dass dabei die Frage im Vordergrund stand, ob es besser sei, einen neuen CEO zu bestimmen oder die COO-Lösung zu erweitern.

Doch dann präsentierte Vasella dem VR eine unerwartete Option: ganz zurückzutreten, also den CEO-Job und den Präsidentenposten zugleich abzugeben.

Der Verwaltungsrat lehnte diese Option umgehend ab, wie ein VR-Mitglied gegenüber BILANZ bestätigt. Die Option war dem Rat zu risikoreich, zudem ist ihm die Kontinuität wichtig. Wurde der Vorschlag nur pro forma gemacht, in Erwartung der wohltuenden Bitten der Kollegen im Rat, er möge doch bleiben? «Nein», sagt Vasella, «es war für mich keine hypothetische Option.» Denn der andere Vorschlag, die CEO-Rolle abzugeben, definiere seine Rolle neu: Erstmals in seiner Karriere bedeute dies einen Rücktritt – bisher seien seine Aufgaben und Verantwortlichkeiten nur gewachsen. Für ihn sei da die Frage aufgetaucht, ob es nicht besser sei, einen radikalen Schnitt zu machen. «Für Vasella war es wirklich eine Option, für den Verwaltungsrat nicht», sagt ein Mitglied des Gremiums.

Ob gewollt oder nicht: Es war ein geschickter Schachzug von Vasella. Der Vorschlag und die umgehende Ablehnung desselben durch den VR haben ihn noch stärker gemacht und seine Stellung als Präsident zementiert. Das mag dazu beigetragen haben, dass auf der operativen Ebene Raum für jemand anders entstand.

Gegen Ende 2009 befasste man sich mit der zweiten Stufe: der Wahl der Personen. Der Pool der Kandidaten schmolz auf zwei: Reinhardt und Jimenez. Was die Waagschale auf die Seite von Jimenez kippen liess, will Vasella nicht sagen. Nur dass für ihn an Weihnachten 2009 festgestanden habe, dass Jimenez die richtige Wahl sei. Entschieden hat der Verwaltungsrat am Montag, 25.  Januar, einen Tag vor der Bilanzpressekonferenz in Basel, an welcher der Entscheid kommuniziert wurde.

An jenem Montag bat Vasella Jimenez in sein Büro und teilte ihm den Entscheid mit. Abends trafen sich alle zum Dinner auf dem Campus, dem Firmengelände in Basel: Vasella, der neue CEO Jimenez, Verlierer Reinhardt und die Mitglieder der GL. «Es war ein Essen unter Kollegen, in angenehmer und freundlicher Atmosphäre», sagt einer, der dabei war.

Rivalen weg. Am 1.  Februar trat Jimenez sein Amt an. Die zurückgestutzten Topleute Jörg Reinhardt, Andreas Rummelt und Thomas Wellauer verliessen den Konzern.

Zum Pharmachef aufgestiegen ist der bisherige Leiter der Onkologie, David Epstein. Der Pharmakologe ist seit 1989 im Konzern. Als ausgewiesener Pharmafachmann gilt er als ideale Ergänzung zum Generalisten Jimenez. Ebenfalls ein wichtiger Vertrauter ist der neue Finanzchef Jon Symonds, den Jimenez aus gemeinsamen Tagen bei AstraZeneca kennt.

Als frischgebackener CEO musste sich Jimenez auch auf eine besondere Herausforderung einstellen: die Abgrenzung zu Vasella. Funktioniert die Machtaufteilung in der Praxis? Man habe Aufgaben und Pflichten vorweg genau definiert, sagt Jimenez. An die vorgegebene Ordnung hielten sich beide. «Hätte es Konflikte gegeben, wären sie in den ersten sechs Monaten aufgetaucht», ist Jimenez überzeugt. Er habe deshalb ein gutes Gefühl.

Er wolle sich ja auch nicht zu sehr vom Chairman distanzieren, denn er schätze dessen Erfahrung. «Vasella ist mein Mentor», sagt er.

Die Treffen zwischen ihm und Jimenez seien nicht übermässig häufig, sagt Vasella. «Zweimal im Monat sind schon viel.» Man pflege aber regen Austausch per E-Mail oder Telefon. Nur wenn, wie in diesen Tagen, ein Strategiemeeting anstehe, seien die persönlichen Kontakte häufiger. «Ich mache keine Termine um der Termine willen. Man soll sich treffen, wenn es echte Inhalte zu besprechen gibt.»

Jimenez habe schnell eigene Akzente gesetzt, sagt Vasella. Will er ihm die nötige Freiheit lassen, sich zu entfalten? Der Chairman spielt den Ball seinem CEO zu: Das liege nicht zuletzt an Jimenez selber. «Freiheiten», sagt Vasella, «muss sich ein CEO zu nehmen wissen.»