Novartis zieht auf Druck von Nichtregierungsorganisationen eines der Patente auf seine Zelltherapie Kymriah zurück. Laut Konzernangaben hat das zwar kaum Auswirkungen. Doch der Fall zeigt: Weil Kymriah eine Therapie und kein Medikament ist, wird es für Novartis schwierig, die Therapie exklusiv und entsprechend teuer anzubieten. Denn Spitäler können ähnliche Behandlungen durchführen.
Einspruch zweier NGOs
Die zwei Nichtregierungsorganisationen (NGO) Public Eye und «Médecins du Monde» hatten beim Europäischen Patentamt (EPA) Einspruch gegen das Patent eingereicht.
Sie kämpfen damit gegen eine Monopolstellung des Pharmariesen. Eine solche Stellung ermögliche überrissene Preise, schrieb Public Eye in einer Mitteilung vom Montag. Public Eye begründet den Einspruch damit, dass Kymriah kein Medikament sei, sondern eine medizinische Dienstleistung.
Die Behandlung sei zudem nicht von Novartis neu erfunden worden, sondern baue massiv auf Vorentwicklungen und Mitfinanzierung durch öffentliche Institutionen auf. Mit der Vergabe eines Patents werde das Verfahren folglich privatisiert. Offiziell gehört das Patent der Universität Pennsylvania, die das Patent aber exklusiv an Novartis lizensiert.
«Kein zentrales Patent»
Kymriah werde von mehreren Patenten abgedeckt, schrieb Novartis in einer Stellungnahme. Novartis und die Uni von Pennsylvania glaubten zwar an die «Bedeutung an der Rechte zum Schutz des geistigen Eigentums für bahnbrechende Innovationen wie Kymriah».
Das beanstandete Patent sei aber nicht zentral für die weitere Entwicklung und das Marketing von Kymriah. Sie hätten es deshalb zurückgezogen.
Public Eye dagegen vermutet, Novartis wolle damit die offizielle Behandlung der NGO-Beschwerde durch das EPA vermeiden, um einem «gefährlichen Präzedenzfall» zu entgehen. Die unerwartete Wendung bestätige somit indirekt den «missbräuchlichen Charakter» des Patents.
Kein Milliardengeschäft
Bei Kymriah handelt es sich um eine neuartige personalisierte Krebsbehandlung, eine sogenannte CAR-T-Zell-Therapie. Bei dieser Behandlung werden weisse Blutkörperchen der Patienten genetisch so modifiziert, dass sie die Krebszellen erkennen und angreifen.
Auch Spitäler weltweit stellen eigene T-Zellen her, um Krebspatienten zu behandeln. In der Schweiz werden entsprechende Forschungen der Unispitäler von der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung (SAKK) koordiniert.
Kaum Auswirkungen auf das Geschäft
Der Widerruf des Kymriah-Patents dürfte zwar kaum auf das Geschäft auswirken, sagt ZKB-Analyst Michael Nawrath gegenüber der Nachrichtenagentur AWP. Es zeige aber die grundsätzliche Problematik. «Es stellt sich daher grundsätzlich die Frage, inwiefern solche Therapien patentierbar sind.» In Frage kämen allenfalls die Herstellungsverfahren.
Ohnehin bezweifelt der ZKB-Analyst, dass sich die Zelltherapie zu dem von Pharmakonzernen ursprünglich erhofften Milliardengeschäft entwickelt. Sie sei nämlich keine Erstlinientherapie, sondern sei die letzte Bastion, um bereits aufgegebenen Patienten doch noch zu einem längeren Leben bei guter Lebensqualität zu verhelfen.
Die Erwartungen sinken
Dazu könnten Spitäler die Therapie weit günstiger als Novartis anbieten. Und sie decke heute ohnehin erst Leukämie und Lymphdrüsenkrebs ab. 80 Prozent der Krebserkrankungen machten jedoch Organtumore aus. Entsprechend seien die Konsensschätzungen der Analysten zu den Umsätzen von Medikamenten wie Kymriah fortlaufend gesenkt worden.
Eine Revitalisierung der Zelltherapie könnte es laut Nawrath dann geben, wenn es zu einem Durchbruch bei universell einsetzbaren Zellen sowie deren Anwendung auf Organtumore kommt. Das könnte schon bald der Fall sein. Im Gegensatz zu heute würden dann nicht dem kranken Patienten Zellen entnommen und modifiziert.
Sondern es könnten Zellen gesunder Menschen gesammelt und auf Krebserkrankungen «abgerichtet» werden. Novartis habe bereits zwischen den Zeilen durchblicken lassen, dass man mit Blick auf dieses Geschäft an der Zelltherapie festhalte.
Hohe Preise
Novartis hatte für Kymriah im vergangenen Oktober auch in der Schweiz die Zulassung erhalten. Diese gilt für den Einsatz bei Kindern und Erwachsenen, die an bestimmten Formen von Blutkrebs leiden und bei denen vorherige Therapien nicht nachhaltig angeschlagen haben.
Der jetzige Rückzug eines Patents betrifft auch die Schweiz, wie Public Eye in der Medienmitteilung festhielt. Zwar beende die Annullierung nicht das Monopol von Kymriah, da die Behandlung durch andere Patente weiter geschützt bleibe. Sie schwäche aber die Position von Novartis bei Preisüberprüfungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Dieses müsse künftig vernünftigere Preise fordern.
Preisverhandlungen mit Versicherern
Das BAG sieht das indes anders: Bezüglich der Aufhebung eines Patents auf Kymriah könne keine Aussage über die Auswirkungen auf die Preisbildung gemacht werden, sagte ein Sprecher. Einerseits bestehe nach wie vor der Patentschutz, andererseits würden die Preise in Verträgen mit den Versicherern ausgehandelt. Dort spielten verschiedene andere Faktoren eine wesentlichere Rolle.
Die Preise werden deshalb mit den Versicherern ausgehandelt, weil Kymriah nicht als Medikament, sondern als Therapie gilt. Als Preis hat Novartis die Summe von 370'000 Franken ins Spiel gebracht. Allerdings soll der tatsächliche Preis, den die Krankenkassen zahlen, laut Novartis «klar darunter» liegen.
(awp/mbü)