Wer den Einzug von Farbfotos im Nachrichtenteil der «Neuen Zürcher Zeitung» als Vorboten eines grösseren Wandels sieht, hat sich getäuscht. Verwaltungsratspräsident Conrad Meyer: «Anpassungen beim gestalterischen Auftritt oder den Inhalten der «NZZ» an veränderte Lese- oder Informationsgewohnheiten erfolgen immer so, dass die Identität der «NZZ» erhalten bleiben kann.» Für Chefredaktor Hugo Bütler steht bezüglich Farbkonzept fest: «Die Farben werden in den Beilagen verwendet und in allen anderen Teilen für Grafiken, Karten und Fotos, falls dies einen zusätzlichen Informationswert bringt.» Seine weiteren Aussagen sind exemplarisch für die sanften Modifikationen, bei gleichzeitiger Verteidigung des 225-jährigen Auftritts: «Tendenziell wird es mehr Farbe geben, weil sich deren Qualität verbessert hat.» Aber: «Es wird nicht alles farbig.»

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Zwang zur Modernisierung

Nicht zuletzt wegen Einbrüchen bei Auflage und Inseraten sowie aggressiver Konkurrenz ist die «NZZ» verstärkt gezwungen, auf das Umfeld zu reagieren. Die «NZZ» kann sich laut Medienexperte Roger Blum einer Modernisierung nicht verweigern: «Die meisten internationalen Qualitätszeitungen haben den Wechsel zum Farbbild bereits vollzogen. Um nicht nur für die Elite, sondern auch für junge Aufsteiger attraktiv zu sein, kann sich die «NZZ» dieser Entwicklung nicht entziehen.» Vielleicht habe nicht zuletzt der Erfolg der «NZZ am Sonntag» zur Einsicht verholfen, dass auch eine farbige Zeitung seriös sein könne und dass man trotz Farbe nicht zu einem Boulevardblatt werde. Die Auflage der «NZZ am Sonntag» legte laut Wemf von Mitte 2003 bis Mitte 2004 um 19,8% auf 108011 zu, jene der «NZZ» sank um 2,5% auf 155010.

Im Gegensatz zum Flaggschiff blieb es beim Mutter-Konzern, der NZZ-Gruppe, in den letzten 15 Jahren nicht nur bei Retuschen. Unter der Leitung von Bütler hat die Gruppe im TV- und Online-Markt diversifiziert und im Verlags- und Druckereiwesen stark expandiert. Mit Beteiligungen am «St. Galler Tagblatt», dem «Bund» und der «Neuen Luzerner Zeitung» erstreckt sich das publizistische Reich fast über die ganze Deutschschweiz. Durch die Allianz mit der Publigroupe hat die «NZZ» 2004 zudem die Kräfteverhältnisse im Schweizer Verlegermarkt neu geordnet. Die zwei grossen Allianzen heissen jetzt «NZZ»/Publigroupe und Tamedia/Espace Media. Eine wichtige Beute beim Ringen um den Regionalzeitungsmarkt: Dank dem Deal mit Publigroupe konnte die NZZ-Gruppe bei der «Zürichsee Zeitung» und dem «Zürcher Unterländer» einsteigen. Das ist eine Niederlage für Tamedia, die ab März 2005 eine Regionalausgabe für das linke Zürcher Seeufer und das Sihltal herausgibt.

Dennoch kann sich die NZZ-Gruppe nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Der stärkere Auftritt des «Tages-Anzeigers» im Regionalzeitungsmarkt erfordere eine Reaktion der NZZ-Gruppe, sagt Medienexperte Blum. Allerdings könne das Medienhaus die Regionalzeitungen nicht zu Kopfblättern der «NZZ» machen, weil es sonst alle Doppelleser verlieren würde. Es ist eine Frage der Zeit, wie lange die NZZ-Gruppe sich publizistisch autonome Beteiligungen leisten kann. Wenn sich die Allianz zwischen Tamedia, «BernerZeitung» und «Basler Zeitung» verstärken sollte, sieht Blum allenfalls die Notwendigkeit eines gemeinsamen starken Mantels für «St. Galler Tagblatt», «Bund», «Neue Luzerner Zeitung» und die Zürcher Regionalzeitungen.

Eine verstärkte Kollaboration wurde zwar mit der Plattform Pressenetz, einem Austauschsystem für redaktionelle Texte, gestartet. Dass Pressenetz der erste Schritt einer Fusion der Regionalzeitungen zu einer Grosszeitung sei, weist Bütler als Spekulation zurück. Gemäss «NZZ»-Regionalzeitungschef Beat Lauber will Pressenetz eine solche Mantellösung für die Regionalzeitungen eben gerade verhindern. Pressenetz sei vor allem ein Netzwerk zur Qualitätssicherung bei den Regionalzeitungen.

Die Ägide Bütler ist wie keine andere geprägt vom Ausbau. Dennoch sagt er: «Wachstum ist bei uns nicht Selbstzweck, sondern das kann sich ergeben, weil wir auf die sich wandelnde Medienlandschaft reagieren müssen.» Auf die Frage, welches das höchste Ziel der NZZ-Gruppe sei, die starke Position des Flaggschiffs zu verteidigen oder Gewinn zu erzielen, erklärt der Chef mit Doppelfunktion: «Von Sonderinteressen unabhängige Qualitätsinformationen zu liefern und liberale Meinungsbildung zu fördern, ist das zentrale Ziel. Um das zu erreichen und unabhängig zu bleiben, ist Geld zu verdienen eine Voraussetzung.» 2003 erzielte die Gruppe rund 5 Mio Fr. Gewinn, nach 50 Mio Fr. Verlust im Vorjahr.

Führungsmodell im Prüfstand

Entscheidend für die Zukunft der «NZZ» ist nicht nur die Position im Zeitungsmarkt, sondern auch der anstehende Führungswechsel. Es ist fraglich, ob Bütlers Nachfolger gleichzeitig die Funktion des «NZZ»-Chefredaktors sowie des Gruppenleiters bewältigen kann. Der 61-jährige Bütler kann nicht sagen, welche Funktion ihn mehr Zeit kostet: «Wesentlich bei dieser Führungsstruktur ist, dass publizistische und journalistische Grundüberlegungen genügend in unternehmerische Entscheide einfliessen.» In Stein gemeisselt sei zwar nichts. Doch der Grundgedanke des Führungskonzepts werde von den zuständigen Gremien getragen. VR-Präsident Meyer: «Das zukünftige Führungsmodell der inklusive der zeitlichen Dimensionen sind vom VR zu bestimmen.» Und weiter: «Den Aktionären ist die Sicherstellung der Existenz der wichtiger als eine hohe Rendite.»

Auf eine Prognose, ob es die «NZZ» auch in 225 Jahren noch gibt, wollte sich Bütler nicht einlassen. «Ich hoffe aber, dass auch in Zeiten, für die wir keine Prognosen stellen können, gute Informationen immer noch gefragt sind. Auf welchen Kanälen sie zu den Menschen kommen werden, können wir heute nicht beantworten.»